Der Sammelband Kunst und Profit. Museen und der französische Kunstmarkt im Zweiten Weltkrieg, herausgegeben von Elisabeth Furtwängler und Mattes Lammert, vereinigt Beiträge eines Kolloquiums, das die Technische Universität Berlin gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Kunstgeschichte, dem Institut national d’Histoire de l’art und dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste im Jahr 2020 veranstaltete. Die 14 Beiträge teils in deutscher, teils in französischer Sprache (mit englischen Resümees) sind den Aktivitäten von Museen auf dem französischen Kunstmarkt während der deutschen Besatzung gewidmet, bzw. nehmen deren Auswirkungen in der ersten Nachkriegszeit in den Blick.
Dass Mitarbeiter deutscher Museen während des Zweiten Weltkrieges im besetzten Frankreich auf Einkaufstour gingen, mit Sondermitteln ausgestattet und damit politisch gewollt, war der Fachwelt schon länger und der Öffentlichkeit seit der Gurlitt-Affäre 2012 bekannt. Der Sammelband erweitert unser Wissen durch neue Fallbeispiele und macht zusätzlich auf einen wenig bekannten Umstand aufmerksam: Dass nämlich auch französische Museen aus dem durch Vertreibung und Ermordung jüdischer Sammler und Sammlerinnen sowie Kunsthändler angeheizten Kunstmarkt Nutzen zogen. Um dem Ausverkauf französischen Kunstbesitzes an die Besatzer entgegenzuwirken, wurden den französischen Nationalmuseen ebenfalls Sonderbudgets zur Verfügung gestellt.
Der Stoff ist in vier Themenbereiche gegliedert. Das erste Kapitel »Die Rolle der deutschen Museen « untersucht die Aktivitäten des Personals deutscher Museen. In drei Beiträgen und damit »ausführlich«, wie die Herausgeber betonen, wird auf die ambivalente Doppelreise einiger Direktoren aufmerksam gemacht, die als Beauftragte des militärischen Kunstschutzes für die Kontrolle des französischen Kunstbesitzes zuständig waren und sich zugleich auf dem Kunstmarkt bedienten. Dem Archäologen Hans Möbius sind gleich zwei Artikel gewidmet, denn er kaufte sowohl für die Staatliche Kunstsammlung Kassel (J. Lange und G. Kuss) als auch für das Martin-von-Wagner-Museum der Universität Würzburg (N. Halfbrodt). Den Erwerbungen Felix Kuetgens, Direktor der Museen in Aachen und ebenfalls Mitglied des deutschen militärischen Kunstschutzes, widmet sich H. Becker.
Der Sammelband macht anhand weiterer Fallbeispiele klar, dass die deutschen Ankäufer eng mit den NS-Dienststellen in Paris zusammenarbeiteten, auch mit ausgewiesenen Raubkunstorganisationen wie dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR). Ein mit sieben Parisreisen besonders eifriger Einkäufer war Walter Mannowsky, Direktor des Museums für Kunsthandwerk in Frankfurt am Main, der enge Kontakte zum Chefankäufer des »Sonderauftrags Linz«, Hildebrand Gurlitt, unterhielt. Mitherausgeber M. Lammert stellt einen besonders bemerkenswerten Fall vor: Der Leiter der Nationalgalerie in Berlin, Paul Ortwin Rave, der mit seinem Buch Kunstdiktatur im Dritten Reich nach 1945 das Bild von der Opferrolle der deutschen Museen grundlegend prägen sollte, setzte zur Akquise eines Corot‑Gemäldes Ausgleichszahlungen aus der Aktion »Entartete Kunst« ein.
Das zweite Kapitel »Die Rolle der französischen Museen « thematisiert deren Verhalten in der ersten Nachkriegszeit am Beispiel des Musée du Louvre und des Musée national des châteaux de Versailles et de Trianon. Da die Grundlagenforschung in Frankreich erst eingesetzt hat, konnten nur zwei Beiträge gewonnen werden. E. Polack beleuchtet die Ausstellung von Neuerwerbungen französischer Nationalmuseen, die ab September 1945 im Louvre stattfand. Die Kuratoren nutzten sie für ihre Selbstinszenierung als Retter nationalen Kunstguts, die Enteignung und Verfolgung jüdischer Sammler spielte dabei keine Rolle. Dass französische Museumsmitarbeiter aktiv mit den Besatzungsbehörden kollaborierten, zeigt der Beitrag von C. B. Khelil.
Im dritten Kapitel »Akteure und Netzwerke« steht die Rolle von Vermittlern und ihrer Netzwerke im Mittelpunkt. Oft handelte es sich um in Paris ansässige deutsche Kunsthändler wie Adolf Wuester, dessen Aktivitäten A.-J. Weier analysiert. Solche Vermittler waren für den grenzüberschreitenden Finanz- und Kunsttransfer mit den unter Besatzungsbedingungen hohen bürokratischen Hürden zentral. Grundsätzlich aber war der private Kunsthandel gegenüber den Museumsankäufern benachteiligt, wie B. Joos am Beispiel der Münchner Kunsthandlung Julius Böhler zeigen kann. Denn Einkäufe von Kunstwerken in den besetzten Gebieten durften offiziell nur für öffentliche Sammlungen getätigt werden; und nur diese konnten Kunstwerke zollfrei ausführen. Um sich dennoch am großen Geschäft beteiligen zu können, verschleierten Kunsthändler ihre Geschäftswege mittels komplexer Transaktionen und pro-forma-Rechnungen, was ein Problem für die heutige Provenienzforschung darstellt.
Das vierte Kapitel stellt die Frage nach dem Umgang mit dem »schwierige[n] Erbe der Besatzungszeit« am Beispiel der oft schleppenden Restitutionsprozesse nach 1945. L. V. Pitteloud beschreibt den Kampf des Besitzers zweier Rembrandt-Gemälde um die Rückgabe seiner Bilder durch die Commission de Récupération Artistique zwischen 1945 und 1948. Er unterlag dabei dem Musée du Louvre, dem er die Gemälde schließlich unter politischem Druck »schenkte«. A. Baumann demonstriert die Schwierigkeiten der Provenienzforschung im Fall eines Modigliani zugeschriebenen Gemäldes des Landesmuseums Hannover, dessen Enteignungsgeschichte sie akribisch rekonstruierte, ohne indes den ursprünglichen Besitzer identifizieren zu können.
Dem Sammelband ist eine erste transnationale Darstellung von Ankaufspraktiken und Legitimationsstrategien deutscher und französischer Museen während der Besatzungs- und ersten Nachkriegszeit gelungen. Es wird deutlich, wie deren Konkurrenz dynamisierend wirkte. Mit Fragen nach den politischen Kontexten und strukturellen Voraussetzungen des Kaufrauschs wird der zukünftigen Forschung der Weg gewiesen. Dass hier allerdings noch erheblicher Forschungsbedarf besteht, ist unter Furtwängler, Lammert und den Autorinnen und Autoren Konsens.
Tatsächlich waren deutsche Museumsmitarbeiter, wie ihre hier leider nicht berücksichtigten österreichischen Kollegen, noch stärker in die NS-Besatzungspolitik und den NS-Kunstraub involviert, als in den Fallbeispielen des Sammelbandes greifbar wird. Das NS-Repatriierungsprogramm für in Frankreich befindliches deutsches Kunst- und Kulturgut bahnte ihnen im Sommer 1940 den Weg nach Frankreich und brachte sie mit der Besatzungsverwaltung in Kontakt. Hitlers Sonderbeauftragter Hans Posse war für dieses Programm im November 1940 in Paris unterwegs und erhielt von Felix Kuetgens die Auslagerungslisten des Musée du Louvre, aus denen er eine erste Auswahl von Kunstwerken traf, die als Kompensation für zerstörtes Kunstgut dienen sollten. Auch Walter Mannowskys Kooperation mit dem »Sonderauftrag Linz« war enger als bisher bekannt: Er war zeitweise als Experte für dessen kunstgewerbliche Bestände im Gespräch und führte im Frühjahr 1943 eine Inspektionsreise in dessen Depots durch (BArch B 323/115, Nrn. 257, 231). Die deutschen Museumsmitarbeiter versprachen sich Zuteilungen im großen Verteilungsprogramm von NS-Raubkunst, das der »Sonderauftrag Linz« im Auftrag Hitlers vorbereitete.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Birgit Schwarz, Rezension von/compte rendu de: Elisabeth Furtwängler, Mattes Lammert (Hg.), Kunst und Profit. Museen und der französische Kunstmarkt im Zweiten Weltkrieg, Berlin, Boston (De Gruyter Oldenbourg) 2022, 256 S., ISBN 978-3-11-073760-8, EUR 39,95., in: Francia-Recensio 2025/3, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.3.112792





