Nationalistische Ideologien und Bewegungen waren auch schon vor der Jahrtausendwende im Aufwind, sie erhielten aber durch die erfolgreiche Brexit-Kampagne und die erste Präsidentschaft Donald Trumps noch einmal zusätzlich Auftrieb – und der Trend hält bis heute an. Ein Buch, das Aufklärung über dieses weltweite Phänomen verspricht, ist deshalb hochwillkommen. Eric Storm, der an der Universität Leiden Europäische Geschichte lehrt, leistet mit seinem globalgeschichtlich angelegten Buch einen wertvollen und neue Wege beschreitenden Beitrag zum Verständnis der Entstehung und Ausbreitung des Nationalstaats und nationalistischer Denkweisen.

Storm hat sich für einen chronologischen Aufbau entschieden; wichtige internationale Wendepunkte wie der Wiener Kongress, der Beginn des Ersten und das Ende des Zweiten Weltkriegs oder das Jahr 1979 als Ausgangspunkt für den Siegeszug des Neoliberalismus und der Identitätspolitik markieren die Zäsuren. Zum Einstieg werden frühe Nationalitätskonzepte vorgestellt: ungeachtet großer sozialer und religiöser Unterschiede, so der Autor, sei vor allem in stark urbanisierten und gut entwickelten Gebieten in Westeuropa eine stärker »national« geprägte Kultur entstanden.

Im Unterschied zu diesem ersten sind alle folgenden sieben Kapitel einheitlich gegliedert: erörtert werden jeweils die Ausbreitung des nationalstaatlichen Modells, die Ausweitung der Bürgerrechte, die Entwicklung des Nationalbewusstseins und die Nationalisierung des Alltagslebens und der Kultur. Die Geburt des Nationalstaats datiert Storm im Einklang mit der Forschung auf die Jahre 1775 bis 1815. Allerdings unterschieden sich diese Staaten deutlich von heutigen Nationalstaaten: So waren die Grenzen noch nicht klar festgelegt, und nicht alle Bewohner genossen Bürgerrechte. Es folgen Kapitel über den »romantischen Nationalismus«, der insbesondere in deutschen Ländern viel Zuspruch fand, und über die Erfolge des »Nation-Building« zwischen 1848 und 1885, verbunden mit der Errichtung von Denkmälern, Statuen und Nationalparks und der Verwendung von Nationalflaggen und ‑hymnen.

Die »nationalistische Radikalisierung« bis 1914 ist Thema des nächsten Kapitels. Insbesondere gegen Ende des 19. Jahrhunderts schwenkte der Nationalismus deutlich nach rechts, begleitet von einer Nationalisierung des Alltagslebens, der Wissenschaften und Künste. Solche Tendenzen unterminierten die internationale Ordnung und halfen mit, den Boden für die verheerenden globalen Kriege der folgenden Jahrzehnte zu bereiten. Diesem Zusammenprall der Extreme von 1914 bis 1945 widmet sich das sechste Kapitel: Nach 1918 entstanden zahlreiche neue Nationalstaaten, weltweit wurde der Nationalismus zur Massenbewegung, der Schutz ethnischer und anderer Minderheiten wurde zusehends zum Problem. Die Niederlage der Achsenmächte schwächte – zumindest zeitweilig – die Anziehungskraft des extremen Nationalismus, trotzdem blieb der Nationalstaat die hegemoniale Form der Staatlichkeit – ungeachtet des vorübergehenden Erfolgs etwa der panarabischen Bewegung oder des dauerhaften der europäischen Einigungsbestrebungen.

Dass damit nationalstaatliches Denken und entsprechende Organisationsformen wirklich nachhaltig in Frage gestellt werden könnten, scheint Storm nicht anzunehmen. Mit diesen Entwicklungen in Richtung einer Anpassung und Modernisierung des Nationalstaats setzt sich das siebte Kapitel auseinander, ehe das achte den Zusammenhang zwischen dem Aufstieg des Neoliberalismus und der Identitätspolitik analysiert. Erstaunlicherweise, so der Autor, begannen viele Neoliberale, die nationale Souveränität zu betonen, um den Nationalstaat vor der Verpflichtung zu bewahren, multilaterale Abkommen beispielsweise zur Einhaltung sozialer Standards oder zum Umweltschutz zu schließen. Der Verteidigung nationaler Eigenheiten diente auch die Abwehr multikultureller Denk- und Verhaltensweisen. Überdies sei eine postmoderne, spielerische Haltung gegenüber nationalen Identitäten allgegenwärtig geworden.

Storms Buch besticht durch den umfassenden Zugriff und die souveräne Kenntnis der einschlägigen Literatur. Zwar liegt der Schwerpunkt auf Europa, weil dort die Idee des Nationalstaats ihren Ausgang nahm. Aber die Entwicklungen auf anderen Kontinenten werden gebührend berücksichtigt. Mit Theorien und Theoretikern des Nationalismus hält sich der Autor nicht lange auf, gelegentlich blitzt eine Vorliebe für Benedikt Andersons Konzept der »imagined communities« auf. Storm betont jedoch, dass der Nationalismus viel stärker mit dem Staat als mit ethnischen oder kulturellen Gemeinschaften verbunden sei. Auch dass er Begriffe wie »Nation«, »Nationalität« und »Nationalismus« nicht präzise definiert, kann man bedauern. Aber die Fülle an Fakten, Beobachtungen – etwa zur Besinnung auf nationale deutsche Traditionen in Gestalt des Schlagersängers Guildo Horn oder der Band Rammstein (321) – und Überlegungen sind so beeindruckend, dass man solche kleinen Defizite gerne in Kauf nimmt.

Nationalismus und Nationalstaat, so das Fazit, haben nichts von ihrer mobilisierenden Kraft eingebüßt – im Gegenteil. Mögliche Widerstandskräfte gegen die weltweite Hegemonie vermag Storm allenfalls in Versuchen regionaler Kooperation, dem Wiedererstarken von Imperien und der Klimakrise zu erkennen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Werner Bührer, Rezension von/compte rendu de: Eric Storm (ed.), Nationalism. A World History, Princeton (Princeton University Press) 2024, 512 p., 34 b/w. ill., 7 maps, ISBN 978-0-6912-3309-3, EUR 39,95., in: Francia-Recensio 2025/3, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.3.112800