In seinem Buch D’une noblesse l’autre untersucht der französische Historiker Élie Haddad die Entwicklung des französischen Adels vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Haddad definiert Adeligkeit als eine soziale Beziehung, die immer wieder neu ausgehandelt werden musste, und nicht als feststehende Wesenhaftigkeit verstanden werden könne. Er geht von der These aus, dass es sich beim heute vorherrschenden Verständnis von Adel um einen Anachronismus handele, der erst am Ende des Ancien Régimes entstanden sei (9). Um die Entwicklung der Vorstellungen von Adeligkeit nachzuzeichnen, verfolgt der Autor einen multiarchivalischen Ansatz, der v. a. Heiratsverträge, Schenkungsurkunden, Testamente, Inventarlisten, Teilungsverträge, Vormundschaftsregelungen, Quittungen, Bescheinigungen über Renten, Kaufverträge, Rechnungen, Memoiren und Briefwechsel etc. von ca. 3000 adeligen Akteuren aus Nordfrankreich auswertet (17–18). Dabei geht Haddad nach einer Einleitung in vier Teilen bzw. in neun Kapiteln vor, die durch ein Fazit und einen Epilog abgeschlossen werden.

Der erste Teil behandelt die Sprache der Verwandtschaft und umfasst zwei Kapitel. Das erste Kapitel untersucht die sprachliche Konstruktion von Verwandtschaftsbeziehungen, die notwendig gewesen sei, um Erbschaftsforderungen zu stellen, Solidarität einzufordern und die eigene Zugehörigkeit zum Adel rechtfertigen zu können (26). In diesem Zusammenhang habe man sprachlich zwischen Blutsverwandtschaft und der angeheirateten Verwandtschaft unterschieden. Seit dem 16. Jahrhundert sei es unter den Begriffen der »lignée«, »race« bzw. »sang« zu einer begrifflichen Verengung der Familie in männlicher Erbfolge gekommen (39–40, 43, 45). Im 17. Jahrhundert sei dann der Begriff des »Hauses« zunehmend mit dem Familiennamen in Verbindung gebracht worden, das sich in mehrere Linien aufspalten konnte (51).

Das zweite Kapitel widmet sich der adeligen Namensgebung, bei der eine Verbindung zwischen dem persönlichen Familiennamen und dem Ortsnamen der realen Herrschaft festzustellen sei (54, 89). In diesem System sei es Männern und Frauen im Laufe eines Lebens gleichermaßen möglich gewesen, durch Heirat oder Erbfälle den Titel einer als prestigeträchtiger angesehenen Herrschaft anzunehmen und so aus gesellschaftlichen und politischen Erwägungen zum Teil mehrfach den Eigennamen zu wechseln (56–57, 69). Im Laufe der Frühen Neuzeit hätten sich daraus in männlicher Erbfolge feste, adelige Eigennamen entwickelt (90).

Der zweite Teil der Untersuchung hat in Kapitel drei und vier die Ehen des Adels zum Gegenstand. Das dritte Kapitel zeichnet die Entwicklung adeliger Eheschlüsse nach. Während im 16. Jahrhundert im untersuchten Quellenkorpus noch 2,25 Kinder pro Generation eine Ehe eingegangen seien, seien es im 18. Jahrhundert nur noch 1,84 gewesen, was zu einer verminderten Reproduktionsrate, vorrangig der nachgeborenen Brüder und Schwestern, geführt habe (99–100). Gesteigerte finanzielle Bedürfnisse hätten Heiraten zwischen Schwertadel, Federadel und der Hochfinanz gegen Ende des Betrachtungszeitraums begünstigt (123).

Das vierte Kapitel fragt folglich nach den materiellen Aspekten adeliger Eheschlüsse. Der in den Eheverträgen festgelegte Austausch von Besitz habe im 16. Jahrhundert den lokalen Zusammenhalt adeliger Familien gestärkt. Die funktionelle Diversifikation des zweiten Standes zwischen Land-, Hof-, Schwert- und Federadel habe jedoch seit dem 17. Jahrhundert diesen Zusammenhalt zunehmend aufgebrochen. Die Bedeutung des Grundbesitzes habe sich zusehends verringert, ohne ihre grundsätzliche Bedeutung zu verlieren. Während Mesalliancen einerseits verurteilt wurden, seien sie andererseits zur Aufrechterhaltung des materiellen Status einer Familie häufig als unumgänglich angesehen worden (155–156).

Der dritte Teil der Untersuchung beschäftigt sich mit dem Erbe der adeligen Nachkommenschaft. Ihr sind die Kapitel fünf bis sieben gewidmet. Das fünfte Kapitel thematisiert die Wege der Übertragung adeliger Güter im 16. Jahrhundert. Haddad stellt fest, dass in Nachlässen in erster Linie Blutsverwandte bedacht worden seien. Die männliche Erbfolge sei zwar ein Ideal gewesen, aber nicht durchgängig praktiziert worden. Während Landbesitz grundsätzlich teilbar gewesen sei, habe der Besitz von nicht teilbaren Ämtern eine Aufteilung des Geldwertes an die Erben notwendig gemacht (192).

Das sechste Kapitel widmet sich den Eigentumswechseln im 17. und 18. Jahrhundert. Einerseits habe der Grundbesitz immer noch den wichtigsten Vermögensbestandteil dargestellt, während sich das adelige Selbstbild zunehmend auf die Wertigkeit des »Blutes« gestützt habe (218). In diesem Zusammenhang sei es zu einer Stärkung der männlichen Erbfolge gekommen (193), die sich auf die ältesten Söhne konzentrierte. Die Mitgift der erstgeborenen Töchter als vorrangig erstrebenswerte Partien habe sich dadurch erhöht, wohingegen die nachgeborenen Söhne und Töchter zunehmend ehelos geblieben seien (196–200).

Diese Entwicklungen wirkten sich auch auf die Erinnerungskultur adeliger Familien aus, die sich zunehmend auf die Bedeutung der Erstgeborenen konzentrierte, wie Haddad im siebten Kapitel demonstriert. Seit die Krone Beweise für die Herkunft von Adeligen verlangte, habe sich der zweite Stand verstärkt seiner Archive bedient, um den eigenen Status zu legitimieren (250).

Der vierte Teil der Untersuchung widmet sich den sozialen Konflikten und Veränderungen innerhalb des Adels. Dabei untersucht das achte Kapitel die Auswirkungen der innerfamiliären Konflikte auf die Sozialstruktur des zweiten Standes, während das neunte Kapitel den Zusammenhang von politischen Auseinandersetzungen und sozialen Veränderungen zum Gegenstand hat. Durch die Verknappung der ökonomischen Ressourcen sei es zu einer Zunahme von Konflikten zwischen Geschwistern und Ehepartnern über Mitgift und Erbschaftsangelegenheiten gekommen (281). Ziel adliger Akteure sei es gewesen, durch den Beweis der adeligen Herkunft und des adeligen Lebensstils gegenüber der Krone die Steuerbefreiung zu bewahren bzw. neu zu erlangen (289, 292). Seit dem 17. Jahrhundert habe das Königtum somit zunehmend die Definitionsmacht darüber gewonnen, wer als adelig zu betrachten war (311, 314).

Élie Haddad kommt zu dem Schluss, dass sich der Adel im Verlauf der Frühen Neuzeit von einem Attribut zu einer klar abgegrenzten sozialen Gruppe entwickelt habe, die auf dem Besitz von Grundherrschaft und Ämtern, die im Dienst der Krone standen, fußte (331–332, 338). Zum wichtigsten Charakteristikum des Adels habe sich das Alter seiner Herkunft entwickelt (342). Die Suche nach den Ursprüngen des Adels habe aufgrund der Schwierigkeit einwandfreier historischer Belege zum Vorwurf der Usurpation geführt, der das Ende des Ancien Régimes eingeleitet habe (360).

Der Abschaffung der adeligen Standesvorrechte ist deshalb ein Epilog gewidmet. Durch die Aufhebung des Feudalismus sei die essentialistische Definition von Adeligkeit, die sich seit den Reformen Ludwigs XIV. herausgebildet habe, übernommen worden. Sie habe paradoxerweise die Grundlage für die Wiederherstellung des Adels in der Restauration gebildet (362‑363).

Innerhalb der einzelnen Kapitel hätte die quellengesättigte Darstellung, die eine Vielzahl von Fallbeispielen liefert, von einer stärkeren Thesenbildung profitieren können, die zum Teil erst in der Schlussbetrachtung vollzogen wird. Ungeachtet dieses darstellerischen Kritikpunktes gelingt es Élie Haddad eine essentialistische Sichtweise auf den Adel des Ancien Régimes zu überwinden, indem er nicht nur die bekannten internen Konflikte, sondern auch in einer Langzeitperspektive die Entwicklung gesellschaftlicher Reproduktionsmechanismen des Adels zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert nachzeichnet.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Christian Mühling, Rezension von/compte rendu de: Élie Haddad, D’une noblesse l’autre. France, XVIe–XVIIIe siècle, Ceyzérieu (Champ Vallon) 2024, 416 p., ISBN 979-10-267-1243-5, EUR 27,00., in: Francia-Recensio 2025/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.3.112990