Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Das interdisziplinär-wissenschaftliche sowie populäre Interesse an den epochenübergreifenden Themen »Magie, Zauberei und Hexerei« bleibt ungebrochen. Jedoch mangelt es an Grundlagenforschung, die methodisch sauber aufgearbeitetes einschlägiges Aktenmaterial aus verschiedenen lokalen und regionalen Verfolgungsszenarien bzw. angesiedelt an unterschiedlich involvierten Gerichtsinstanzen zur Verfügung stellt. Gleiches gilt für die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Texte des gelehrten Diskurses um die Wirkmacht des Dämonischen. Auch wenn die Zahl der Editionen oder der in Übersetzung erschienenen Texte inzwischen zugenommen hat,1 so bleibt doch zu bemängelnd, dass allzu häufig nur eine (meist die erste oder die letzte) der häufig von den Autoren überarbeiteten und ergänzten Auflagen ediert bzw. übersetzt worden ist. Zwar bieten einschlägige Plattformen relevante Handschriften, Drucke und deren verschiedenen Auflagen als Digitalisate an, doch erlauben Umfang, Schrift- bzw. Druckbild und Sprache (meist Latein) nur selten einen schnellen, vergleichenden Zugriff.
Die hier anzuzeigende, sechsbändige Edition der Disquisitionum magicarum libri sex des Jesuiten Martin Delrio (1551–1608) muss als höchstwillkommene Veröffentlichung bezeichnet werden. Ohne Zweifel gilt dieses umfangreiche, schon in der ersten Ausgabe der Jahre 1599/1600 weit über 1000 Seiten umfassende Werk als jene Dämonologie, welche die nachhaltigste Rezeption in der Frühen Neuzeit erreicht hat. Ihr Resonanzraum reichte bis nach Neuengland; noch im 18. Jahrhundert gehörte sie zur Standardlektüre einschlägig interessierter Theologen und Juristen jeglicher Konfession.2 An Wirkmacht haben die »Magischen Untersuchungen« den häufig überschätzten Malleus maleficarum (»Hexenhammer«; 1486/1487) aus der Feder des Dominikaners Heinrich Institoris (Kramer) übertroffen.
Bereits im Jahr 2000 hatte der an der University of St. Andrews lehrende Historiker Peter G. Maxwell-Stuart in englischer Sprache eine Teilübersetzung von Delrios monumentalem Werk publiziert. Dabei stützte er sich auf jene Ausgabe des Jahres 1608, die zuletzt von Delrio bearbeitet worden war. Ausdrücklich hatte Maxwell-Stuart eine gründliche Biografie des berühmten Jesuiten gefordert,3 da nur so die Disquisitiones magicae in den Kontext von dessen übrigem Schaffen gestellt werden könnten. Jan Machielsen hat mit seiner 2015 publizierten, ganzheitlich angelegten Studie diese Forschungslücke geschlossen. Unter anderem blieb es sein Ziel, den Jesuiten von der einseitig-diffamierenden Etikettierung eines schreibenden Hexenjägers zu befreien.4 Stattdessen enthüllte Machielsen das Bild eines überaus gelehrten Mannes, der – nach einer Karriere als geschulter Jurist und Beamter – seinen Platz in der Societas Jesu und in der République des lettres suchte. Diese Selbstpositionierung, ja Selbstinszenierung, betrieb der überzeugte Gegenreformator und Kämpfer für die katholische Wahrheit neben anderen Schriften mit seiner umfangreichen Abhandlung gegen gotteslästerliche superstitio, diabolische Magie und das die göttliche Ordnung und die katholische Christenheit wie eine tödliche Pest infizierende Hexenwesen, die übelste aller grassierenden Häresien.5
Maxwell-Stuart hat dann die vollständige Edition und englische Übersetzung der »Magischen Untersuchungen« in Angriff genommen,6 wobei er mit José Manuel García Valverde (University of Seville) einen Experten für philosophisches Schrifttum der Antike und der Renaissance zur Unterstützung gewinnen konnte. Beide Autoren hatten bereits bei einem vorangegangenen Editionsprojekt zusammengearbeitet.7 Wahrscheinlich hat sich »Heterodoxia Iberica« als Publikationsort angeboten, da sich die Reihe dezidiert der »intellectual history« widmet. Erneut wurde Delrios Ausgabe letzter Hand aus dem Jahr 1608 zugrunde gelegt. Leider liegt keine Information vor, in welcher Weise sich die beiden Herausgeber die Aufgaben als Editoren, Übersetzer und Kommentatoren geteilt haben. Zweimal spricht eine Person in der Ich-Form Dankesbezeugungen an Jan Machielsen aus (Bd. 1‑6, 2, Anm. 2; 15, Anm. 31), was vermuten lässt, dass Maxwell-Stuart der Hauptautor der Einleitung ist. Die Erläuterungen zur Übersetzung und Wiedergabe des lateinischen Textes werden meist von nur einer Person vorgestellt (Bd. 1, 50–52). Wer ein wenig in den vorangegangenen Publikationen von Maxwell-Stuart zu Delrio blättert, kann an Aufbau und Inhalt leicht die Verwandtschaft mit vorliegender Einleitung erkennen, die jedoch erweitert, korrigiert und – gestützt auf die weiterführenden Ergebnisse von Machielsen – aktualisiert worden ist.8
Jeder der sechs Bände gliedert sich in gleicher Weise: Eine Einleitung (Bd. 1–6, 1–52, mit zum Teil variierendem Seitenumbruch) liefert Angaben zu Delrios Leben und Werk. Ein kurzer Abriss stellt die Disquisitiones magicae in den Kontext relevanter dämonologischer Schriften (ohne Originaltitel, dafür in englischer Übersetzung). Es folgen kurze Inhaltsangaben der sechs Hauptkapitel (libri) sowie eine knappe Übersicht zu den von Delrio herangezogenen Referenzen bzw. Quellen (erneut mit anglisierten Werktiteln). Erläutert werden sodann die vorangestellten Gedichte, darunter eines von Justus Lipsius, dem engen Freund Delrios (meist Lobpreisungen und – wenn man so will – Werbetexte für das Werk). Die Einleitung schließt mit Notizen zur späteren Wirkmacht von Delrios »Magischen Untersuchungen«; es folgen Bemerkungen zum Umgang mit der Übersetzung und dem lateinischen Text in der Edition (Bd. 1, 50–52).
Im Editionsteil werden zur englischen Übersetzung die von Delrio aufgeführten Autoren und deren Werke in knappen Fußnoten kommentiert, soweit deren Entschlüsselung möglich oder wichtig erschien. Im Anschluss daran folgen Verzeichnisse mit den jeweils zitierten Bibelstellen (AT/NT), den antiken Schriftstellern, Kirchenvätern, frühmittelalterlichen (bis 1000), mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Autoren. Lebensdaten und (meist) die jeweils zitierten Werke werden angegeben, diesmal mit originalen Titeln. Leider fehlen bei diesen Auflistungen die entsprechenden Seitennachweise. Zusätzlich liefert der 6. Band als Appendix die vom Jesuiten Heribert Rosweyde 1609 verfasste Vita Delrios. Jeder Band der Edition schließt mit einer Bibliografie der jeweils benutzten Sekundärliteratur und einem Namens- und Sachindex, welcher jedoch nicht alle im Text genannten Personen oder Autoren enthält. Die fehlende Stellenkonkordanz kann damit nicht ersetzen werden. Dieses Manko entfällt zumindest teilweise bei der e‑book‑Version der Edition.
Ohne Zweifel haben die beiden Herausgeber schwere Kärrnerarbeit geleistet. Bei aller Anerkennung dürfen einige wenige kritische Beobachtungen und Ergänzungen gemacht werden, die den Entstehungshintergrund der Disquisitiones und deren weitere Bearbeitungen durch Delrio beleuchten. So war das Werk zuerst in drei Bänden 1599/16009 in Löwen erschienen, auf der Grundlage einer 1596/97 von Delrio gehaltenen Vorlesung zum gleichen Thema (letzteres hebt die Einleitung richtig hervor). Bereits 1603 überarbeitete der Jesuit sein Werk, 1608 kamen weitere Ergänzungen hinzu, die sich unter anderem auf Delrios Auseinandersetzung mit jenen Zweiflern und Skeptikern bezogen, die ihre Argumente auf den Kanon Episcopi stützten wie es ebenfalls der 1593 in Trier zum Widerruf gezwungene, als patronus sagarum diffamierte Cornelius Loos getan hatte.10 Der Fall dieses katholischen Konfessionsmigranten und Kontroverstheologen scheint Delrio spätestens seit seiner Vorlesung in den Bann gezogen zu haben. Der Jesuit muss in Kontakt mit dem niederländischen Hexenjäger Jan Bacx gestanden haben, der ihm den Widerruf des Loos zum Druck übermittelte. Auch unterhielt Delrio Beziehungen mit dem Jesuitenkolleg in Trier und zeigte sich über die dortigen städtischen Hexereiverfahren ebenso wie über die Agitationen des Loos gegen Binsfeld informiert. Er wollte in persona die Moselstadt besuchen. Der Fall des 1589 als Hexenmeister hingerichteten Trierer Stadtschultheißen und Juristen Dr. Diedrich Flade hat Delrio ebenso interessiert wie die von Binsfeld 1591 ausführlich in einer überarbeiteten und ergänzten Ausgabe des Tractatus aufgeführten Fälle der wegen Hexerei hingerichteten Anna Meisenbein und ihres gleichfalls verurteilten Sohnes Hans Kuno, beide aus Ruwer (bei Trier). In der hier anzuzeigenden Edition lassen sich diese Fälle jedoch nur schwer finden. So wird zum Beispiel aus »ut Roverensis Cuno« (Bd. 2, 78) ein »Della Rovere from Cuneo« (ebd., 79–80) oder aus »mater Cunonis Roverensis« die Mutter von »Cuno della Rovere« (ebd., 328–329). Bei der kaum überschaubaren Fülle an Exempeln und Fallgeschichten, die Delrio dem älteren und neueren theologischen, juristischen, medizinischen und dämonologischen Schrifttum, den Litterae annuae, aber auch zeitgenössischen Berichten, Flugschriften, privaten Korrespondenzen und anderen Quellen entnommen hat, sind derlei Versehen entschuldbar, wenngleich zum Beispiel ein Blick in das Werk von Othon Scholer hätte Abhilfe schaffen können.11 Generell haben die Bearbeiter einschlägige deutschsprachige Beiträge zu Leben und Werk von Delrio meist außer Acht gelassen.
Übersetzungen bieten immer nur eine mehr oder weniger plausibel erscheinende Interpretation des Originaltextes, erst recht, wenn es sich dabei um ein Werk handelt, dessen Autor die eigene umfassende Gelehrsamkeit in einem eng geflochtenen Netz sich selbst bestätigender, autorisierender Referenzen, Zitate, Anekdoten und Schlussfolgerungen präsentieren möchte. Diese Vorgehensweise hat Machielsen prägnant als »textual science« oder »textual scholarship« bezeichnet. Es bleibt jedoch das Geheimnis der Bearbeiter, warum in der Einleitung auf die originalen, meist lateinischen Werktitel verzichtet wird, sie stattdessen in einer manchmal irrigen englischen Übersetzung angegeben werden (vgl. Bd. 1, 50). Aus dem Malleus maleficarum (»Hexenhammer«), im Englischen wohlbekannt als »Hammer of Witches«, wird so der »Hammer of Women who Work Harmful Magic«. Jean Bodins De la Démonomanie des Sorciers (1580) findet sich zitiert als »Madness of Sorcerers, Caused by Evil Spirits« (16), was umständlich anmutet. Ähnlich anglisiert kommt der Traktat des Trierer Weihbischofs Peter Binsfeld daher; der Tractatus de confessionibus maleficorum et sagarum wird vorgestellt als »Treatise on the Confessions of Workers of Harmful Magic and Wise Women« (Bd. 1, 16–17). Vermutlich wollten die Bearbeiter das für eine geschlechtsspezifisch akkurate Übersetzung aus dem Lateinischen sperrige Englisch aufbessern bzw. zwischen verschiedenen, oft jedoch synonym verwandten Bezeichnungen für weibliche und männliche Zauberer bzw. Hexen unterscheiden. Dies lässt sich schließen aus ihren Bemerkungen zur einschlägigen Begriffsverwendung bei Delrio, der eine vermutete »Hexe« (»witch«) meist als lamia oder strix, dann aber auch als saga bezeichnet habe, obwohl sich dies ursprünglich auf Wahrsagerinnen bezogen habe (Bd. 1, 121, Anm. 121). Wie auch immer die von den Bearbeitern hier angeregte Debatte ausgehen wird, sicher bleibt, dass sich zumindest Binsfeld nicht mit »weisen Frauen« auseinandergesetzt hat, sondern ohne Umschweife – wie die 1590 von ihm autorisiert erschienene deutsche Übersetzung angibt – mit (vermuteten) männlichen und weiblichen Hexen. Weiteres Kritteln an der englischen Übersetzung, die allemal leicht am lateinischen Original überprüft werden kann, verbietet sich angesichts der großen Leistung der Bearbeiter.
Verbrämt mit und legitimiert durch Gelehrsamkeit sollten die Disquisitiones magicae dem Autor einen herausragenden Platz in der gegenreformatorisch gesinnten Öffentlichkeit sichern. Ihre Abfassung scheint Delrio darüber hinaus ein gewisses Vergnügen bereitet zu haben (Bd. 1, 42); die »Magischen Untersuchungen« sollten den häufig direkt angesprochenen Leser ganz im Sinne von prodesse et delectare über die Gefahren blasphemischer superstitio und dämonischer Magie warnend informieren. Sie dienten mithin dem Infotainment. Sie waren aber auch, so Maxwell-Stuart, ein »call to arms« (Bd. 1, 19), um gegen die Feinde des wahren katholischen Glaubens, um gegen Häretiker und Hexen zu Felde zu ziehen, sei es mit Feder oder Feuer. Nicht nur deshalb blieben die Disquisitiones magicae ein offener Text, ein work in progress, der (mit variierenden Anhängen) sich in die laufenden dämonologischen und anti-dämonologischen (!) Debatten einbrachte und stets aktualisiert wurde. Diesen Verflechtungen kann anhand der Edition nur begrenzt nachgespürt werden, da keine Synopse zu den jeweils vorgenommenen Ergänzungen oder Veränderungen angefertigt wurde. Wer daher die einzelnen Überarbeitungsstufen erkunden möchte, bleibt auf die Originaldrucke angewiesen. Der intertextuelle Vergleich jener bis 1608 ergangenen Auflagen, die Identifizierung aller darin enthaltenen Änderungen und deren potentielle Verknüpfung mit von anderen Autoren geäußerten Argumenten des gelehrten Diskurses um Magie, superstitio und Hexerei wäre allerdings eine weitere monumentale, den beiden Bearbeitern nicht zumutbare Aufgabe gewesen.
Die zweisprachige Edition ermöglicht jetzt (und sofern noch mehr Bibliotheken sich den außerordentlich stattlichen Preis von Print- oder e-book leisten können) eine überprüfbare Lektüre von Delrios Handbuch. Allein dafür sei Peter Maxwell-Stuart und José Manuel García Valverde gedankt.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Rita Voltmer, Rezension von/compte rendu de: Peter Maxwell-Stuart, José Manuel García Valverde (ed.), Investigations into Magic. An Edition and Translation of Martín Del Río’s Disquisitionum magicarum libri sex, 6 Bde., Leiden (Brill Academic Publishers) 2022 (Heterodoxia Iberica, 6,1–6), ISBN 978-90-04-44154-5 5 (Bd. 1); 978-90-04-44155-2 (Bd. 2); 978-90-04-44156-9 (Bd. 3); 978-90-04-44157-6 (Bd. 4); 978-90-04-44158-3 (Bd. 5); 978-90-04-44159-0 (Bd. 6), EUR 145,00–216,28., in: Francia-Recensio 2025/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.3.112999





