Der schmale Band eignet sich als Einführung für ein englischsprachiges Publikum, das sich für die literarischen und kulturellen Verhältnisse des Ancien Régime interessiert. Er führt frühere Arbeiten der Autorin über den Mercure Galant zusammen, das Journal, das Jean Donneau de Visé (1638–1710) 1672 gestartet und bis zu seinem Tod 1710 redaktionell betreut hatte. Die Zeitschrift war ein Novum und sofort erfolgreich: Sie sicherte dem umtriebigen Autor von Dramen und »nouvelles«, kurzen Erzählungen, endgültig einen Platz in der Pariser Literaturszene; gleichzeitig wurde sie zum Zugpferd des Gallotropismus, insbesondere beim weiblichen Lesepublikum: In den Bibliotheken deutschsprachiger Fürstinnen ist sie bis weit ins 18. Jahrhundert hinein präsent.

Der Mercure erschien mit nur geringen Unterbrechungen oder Eingriffen in Aufbau und Inhalt monatlich in Paris, von 1677–1695 auch in Lyon; von 1678 bis 1685 versammelte er vierteljährlich Einsendungen von Leserinnen und Lesern im Supplement Extraordinaire du Mercure galant: »in order to accomodate the abundant submissions from enthusiastic readers eager to see themselves in print« (20). Der Mercure sieht sich an der Seite der »Modernes«. Donneau de Visé gewinnt Thomas Corneille, Bernard le Bovier de Fontenelle und Charles Perrault als Mitarbeiter, ebenso die erfolgreichen »alten« und »neuen« Autorinnen Madeleine de Scudéry, Catherine Bernard, Madame Des Houlières, Madame de Villedieu.

Die insgesamt 488 Bände in Duodezformat mit jeweils rund 350 Seiten Umfang unterstellen sich von Anfang an dem Lob des Monarchen und decken dabei die unterschiedlichsten Themen ab, Nachrichten über die Kriege des Königs, die Politik im In- und Ausland, Justiz und Verwaltung, Naturwissenschaften und Medizin, den Literatur- und Kulturbetrieb in Paris. Schicksale einzelner, die zwischen Liebe und Galanterie, Familie und Ehe zerrieben werden, sind ebenso präsent wie spektakuläre fait divers, Mordfälle, Missgeburten, Aberglauben. Der Mercure will informieren und unterhalten. Dem entspricht das Aufgebot an journalistischen und literarischen, vornehmlich kurzen Formen: Armeelisten, Berichte über höfische Feste und die Einzüge von Botschaftern, über Familien und ihre Genealogien stehen neben Gedichten, Rätseln, Gesprächsspielen, Noten und den gerade modernen »nouvelles«: »Par réaction contre les longs romans baroques, la période classique vit le triomphe du genre narratif bref«.1

Jede Nummer wendet sich als Brief an »Madame«, eine Dame, die aus Paris in die Provinz verzogen ist und die Neuigkeiten aus der »großen Welt« dort weitergibt. Die Anrede, die Ausrichtung an Frauen und ihre Mitwirkung sind Programm: der Mercure erklärt, dass nur Werke, die Gefallen beim weiblichen Publikum finden, erfolgreich sein können. Schon Monique Vincent hatte im Titel einer ihrer grundlegenden Arbeiten den Mercure galant als »la première revue féminine d’information et de culture« bezeichnet.2 Deborah Steinberger knüpft daran an. Sie zitiert Donneau de Visés Überzeugung, dass das Geheimnis literarischen Erfolgs im Gefallen der Frauen gründet (17), und will zeigen, dass dies von einem Moment abhängt: »performing the act of listening to women«: »The Mercure situates itself both as an intermediary and an interlocutor, using the nouvelle specifically as a vehicle to amplify women’s voices and to promote empathy for the challenges they faced« (ebd.).

In fünf Kapiteln demonstriert sie exemplarisch an einzelnen »nouvelles«, wie der Mercure Frauen zuhört und ihnen eine Stimme gibt. Die Kapitel betrachten ihre Liebe, die Freundschaften, die sie pflegen, die Waffen bzw. die Gewalt, zu denen sie greifen, und den Glauben, an dem sie festhalten, namentlich als Protestantinnen und in dem Moment, in dem Ludwig XIV. 1685 das Edikt von Nantes widerruft und ihnen damit den Kampf ansagt. Steinbergers Zusammenfassungen der von ihr ausgewählten »nouvelles« sind prägnant. Figuren und Geschichten gewinnen an Kontur, überraschende Wendungen treten hervor; der Unterhaltungswert wird deutlich. Die Interpretationen führen sodann die »Parteilichkeit«, mit der die »nouvelles« den Protagonistinnen Handlungsspielräume innerhalb der ihnen durch soziale Zugehörigkeit und ihren Personenstand als Tochter, Ehefrau oder Witwe auferlegten Ordnung lassen, im Einzelnen vor.

Der Mercure bietet jedoch insgesamt 373 »nouvelles« (146), Steinberger behandelt nur einen Bruchteil davon. Ihre »close readings of representative nouvelles« (29) sind überzeugend, bleiben aber auf den Einzelfall beschränkt. Die Repräsentativität der ausgewählten »nouvelles« wird nicht dargelegt und erklärt sich auch nicht daraus, dass einige in den verschiedenen Kapiteln weiter interpretiert werden. Der Mercure verspricht »histoires véritables«, »quelques aventures nouvelles en forme d’histoires« und »chaque semaine [d’]une histoire nouvelle«; Steinberger handelt das Verhältnis von »histoire« und Fiktion nur kurz ab. Verbreitung und Leserschaft bleiben vage. Soziale und historische, kulturelle, literarische und buchgeschichtliche Kontexte, in denen sich der Aufstieg der »nouvelle« vollzieht, werden benannt, aber nicht weiterentwickelt. Die längste »nouvelle« des Mercure, die »Histoire singulière des deux amants calvinistes« (181–193), erscheint im Februar 1686 im Umfeld der Widerrufung des Edikts von Nantes. Es ist schade, dass die behaupteten Zusammenhänge zwischen Liebe, religiöser Propaganda, dem Aufkommen des Märchens und der Rolle des Königs nicht breiter entfaltet werden, zumal drei nicht ausführlich besprochene Illustrationen die Argumentation stützen sollen.

Der Mercure galant erscheint in einer etwas erzwungenen Aktualisierungsthese – gewissermaßen zwangsläufig – als Vorwegnahme der im Zuge von MeToo-Bewegung und Covid-Krise (196–197) angeblich neu ausgegebenen Botschaft »that women matter« (194). Der Vergleich mit Kolumnen wie »In Her Words« in der New York Times oder »The Lily« in der Washington Post (197) offenbart Steinberger zufolge nicht nur die unverändert bestehende und am Mercure verhandelte Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, sondern rettet auch Jean Donneau de Visé als Journalisten: »But the esteem he professes for women and his engagement on their behalf are evident in the pages of the Mercure galant, in nouvelles that depict women as unique individuals who have stories to tell, and who deserve to be heard« (199).

1 Nathalie Grande, Le roman au XVIIe siècle. L’exploration du genre, Levallois-Perret 2018, 33.
2 Monique Vincent, Le Mercure galant. Présentation de la première revue féminine d’information et de culture 1672–1710, Paris 2005.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Helga Meise, Rezension von/compte rendu de: Deborah Steinberger, Women’s Stories in Le Mercure Galant (1672–1710). Feminine Fictions in an Early French Periodical, Amsterdam (Amsterdam University Press) 2024, 222 p. (Gendering the Late Medieval and Early Modern World, 26), ISBN 978-94-6372-618-4, EUR 117,00., in: Francia-Recensio 2025/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.3.113011