Die Leidener, 2021 mit dem Boydell and Brewer Price der British Commission for Maritime History ausgezeichnete Dissertation von Leis Wade untersucht die Institutionen des Seeversicherungswesens im Frankreich Ludwigs XIV. im Rahmen von dessen Bemühungen um internationalen Handel, den Aufbau eines außereuropäischen Kolonialreiches und wirtschaftliches Wachstum. Es handelte sich um ein Projekt der beiden führenden Minister, Jean-Baptist Colbert und seines Sohnes, des Marquis de Seignelay, die beide die herausragende Bedeutung des Seeversicherungswesens für Minimierung des Risikos bei der maritimen Expansion und den damit im Zusammenhang stehenden Investitionen erkannt hatten. Das gesamte Projekt ist in engem Kontext mit der Ausbreitung des Seeversicherungswesens in Nordwesteuropa seit dem späten 16. Jahrhundert zu begreifen, als dessen Zentren der Geschäftstätigkeit Amsterdam, London, Hamburg und eben Paris angesehen werden können.

Die Studie reiht sich ein in die in den letzten Jahren durchaus wieder wachsende Zahl an Untersuchungen, die die verschiedenen wirtschaftlichen, unternehmenshistorischen, aber auch gesellschaftlichen Aspekte des Versicherungswesens in den Blick nehmen, was für die Zeit bis zum 18. Jahrhundert eine Konzentration vorrangig auf die Seeversicherung bedeutet. Entwickelt im spätmittelalterlichen Italien aus antiken Traditionen zur Absicherung von Krediten im Seehandel, wurden die Seeversicherung und die damit verbundene Möglichkeit zur Minimierung des unternehmerischen Risikos sowohl in der Reederei als auch im überseeischen Handel zu einem der wichtigsten und innovativsten Katalysatoren der Europäischen Expansion zunächst im Mittelmeerraum und dann ab dem 15. Jahrhundert auf die außereuropäischen Kontinente. Als dann im 17. Jahrhundert die koloniale Expansion Frankreichs im großen Stil begann, rückte auch hier, wo der Abschluss von Seeversicherungsgeschäften vorher nur in Einzelfällen überliefert ist, die Seeversicherung in den Mittelpunkt kommerzieller Interessen, und hier setzt das Buch von Wade ein.

Der Autor untersucht die Entwicklung der 1668 gegründeten Chambre générale des assurances et grosses aventures, die 1686 in die Compagnie générale des assurances et grosses aventures überging und um 1710 ihre Tätigkeit einstellte. Ursprünglich als Zusammenschluss von privaten Seeversicherern angelegt, sollte die Chambre générale des assurances privates Kapital akkumulieren, das dann zur Absicherung von Versicherungspolicen dienen sollte. Seignelay etablierte dagegen am 6.6.1686 die erste privilegierte Handelsgesellschaft im Seeversicherungswesen überhaupt: 75 Gesellschafter sollten jeweils 4 000 livres tournois, d. h. insgesamt, 300 000 livres, als Stammkapital einbringen, doch während die frühere Chambre von privaten, im Seeversicherungsgeschäft engagierten Unternehmern geführt worden war, besaß nunmehr der Staat die leitende Funktion. Der staatliche Dirigismus sowie die zahlreichen Verluste an von der Compagnie versicherten Schiffen während der Kriege Ludwigs XIV. im ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert, führten zu erheblichen internen Problemen der Handelsgesellschaft und zu umfangreichen Konflikten mit den investierenden Gesellschaftern, die schließlich zum Nieder- und dann zum Untergang der Gesellschaft führten. Mit dem Versuch, durch Privilegien und staatlichen Dirigismus einen allumfassenden Schutz für die französische (Handels)Schifffahrt zu bieten, gelangte das absolutistische System an seine Grenzen: Das hierfür erforderliche Risikomanagement mit den daraus resultierenden immensen Kapitalbedürfnissen wurde ihm weniger möglich, je weiter sich die Kriege und die maritimen Ambitionen des Königs ausdehnten. Das letztendliche Scheitern der frühen Institutionen zur Ausgestaltung des französischen Seeversicherungswesens stellt sich folglich als ein Grund dafür dar, dass Paris als Seeversicherungsmarkt im 18. und mindestens bis in das beginnende 19. Jahrhundert hinter seinen nordwesteuropäischen Konkurrentinnen London; Amsterdam und auch Hamburg zurückstand.

Wades Studie ist eine mit großer Quellen- und Literaturkenntnis und viel Liebe zum Detail gearbeitete Geschichte der Frühzeit des französischen Seeversicherungswesens, konzentriert auf die maßgeblichen Institutionen, das private geschäftliche Engagement in diesem immer wichtiger werdenden Sektor allerdings nicht ausklammernd. Soweit ersichtlich, umfasst der Band alle relevanten Aspekte der institutionellen Geschichte des Seeversicherungswesens in Frankreich in der Zeit Ludwigs XIV. und Colberts bzw. seines Sohnes. Es ist allenfalls ein wenig bedauerlich, dass der Autor sein Sujet nicht stärker in die Gesamtgeschichte des europäischen Seeversicherungswesens einbettet; letztere klingt zwar bisweilen an, könnte aber stärker berücksichtigt werden. Diese Kritik am Rande – mehr soll es nicht sein – darf aber nicht verschleiern, dass Wade eine sehr gut geschriebene, anschaulich gestaltete und äußerst informative Studie vorgelegt hat, die den Forschungsstand zum frühneuzeitlichen Seeversicherungswesen erheblich bereichert.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Markus A. Denzel, Rezension von/compte rendu de: Lewis Wade, Privilege, Economy and State in Old Regime France. Marine Insurance, War and the Atlantic Empire Under Louis XIV, Woodbridge (The Boydell Press) 2023, 357 p., 24 fig., 35 tab., ISBN 978-1-83765-021-7, GBP 28,99., in: Francia-Recensio 2025/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.3.113017