Hans-Jürgen Becker, emeritierter Professor für Bürgerliches Recht, Europäische Rechtsgeschichte und Kirchenrecht an der Universität Regensburg, legt eine umfangreiche Studie zu den päpstlichen Wahlkapitulationen (capitula iurata) als Ergebnis seiner nahezu 40‑jährigen Beschäftigung mit diesem Thema vor. Dem Autor gelingt mit diesem Werk ein Spiegel der europäischen Kulturgeschichte und eine Darstellung der Umwandlung einer Angelegenheit römischer Adelsgeschlechter zu einer weltbeherrschenden Institution. Für die Jahre zwischen 1289 und 1775 legt Becker in 53 Abschnitten Editionen einschlägiger Texte vor. Beim Konklave nach dem Tode von Papst Clemens VI., aus dem Papst Innozenz VI. 1352 als gewählter Papst hervorging, wurde zum ersten Male in der Kirchengeschichte eine in zwölf Kapitel eingeteilte Wahlkapitulation entworfen, von den Papstwählern unterschrieben und beeidet. Hiermit wurde bei einer Papstwahl das Verfahren angewandt, das seit dem 12. Jahrhundert bereits bei den Wahlen der Bischöfe durch Domkapitel geübt wurde, um den Erwählten auf eine bestimmte Politik zu verpflichten oder ihn auf die Nicht‑Ausübung verschiedener Regierungsrechte zu verpflichten. Bei Kaiserwahlen wurde 1519 dies Verfahren erstmals gegenüber Karl V. angewandt. Die päpstliche Wahlkapitulation war ein Zeichen der gewachsenen Mitwirkung der Kardinäle an der kirchlichen Regierung, die sich zu einer Papstmonarchie entwickelte. In der Neuregelung ging es 1352 darum, die Zahl der wählenden Kardinäle auf 20 zu begrenzen, zukünftige Kardinalsernennungen und Ernennungen höherer Verwalter im Kirchenstaat waren nur noch consilio et consensu des Kardinalskollegs vorgesehen. Weitgehende Immunität wurde den Kardinälen zugesichert, die Vergabe von Zehnten an die weltlichen Herrscher war zu unterbinden und schließlich hatte der Papst nach seiner Erhebung die Wahlkapitulation erneut zu beeiden. Wenn auch Innozenz VI. die Wahlkapitulation unterschrieben hatte, so hatte er doch, wie auch andere Kardinäle, diese Erklärung unter einem Vorbehalt unterschrieben, den er im Juli 1353 zum Anlass nahm, in der Bulle Sollicitudo pastoralis die Wahlkapitulation für nichtig zu erklären und sich und die Kardinäle von ihren Eiden zu entbinden. Trotz dieses Fehlschlages werden bei den folgenden Papstwahlen derartige Erklärungen abgegeben, auch wenn dann zu Zeiten der Schismen versprochen wird, vom Papstamt zurückzutreten, um ein Schisma zu beenden – Rücktritte erfolgten nicht. Jedoch leisteten die rechtlichen Folgen, die sich aus dem Bruch der Versprechen ergaben dennoch ihren Beitrag zur Beendigung des Schismas auf dem Konstanzer Konzil. Zwar hatte Johannes XXIII. im Konklave kein Zessionsversprechen abgegeben, sodass er davon ausging, das Konstanzer Konzil werde die in Pisa vorgenommene Absetzung der beiden anderen Päpste bestätigen und könnte dann unter seiner Leitung die Arbeit an der Reform der Kirche aufnehmen. Doch die Stimmung änderte sich im Konzil, dessen Leitung Johannes XXIII. immer weiter entglitt, bis er schließlich am 2. März 1415 versprach, obwohl er rechtmäßiger Papst sei, durch seine Abdankung der Kirche den Frieden zurückzubringen. Da er nicht abdankte, sondern stattdessen Konstanz fluchtartig verließ, wurde er vom Amt suspendiert. Bedeutsam war der Klagpunkt 56, nach dem der Papst als Häretiker angeklagt wurde, weil er entgegen seinem Versprechen vom 2. März nicht von seinem Amt zurückgetreten sei. Das Absetzungsurteil vom 29. Mai stellte fest: Die Flucht aus Konstanz sei unerlaubt gewesen und für die Kirche ein Ärgernis, und zwar ein Abweichen vom Gelöbnis, vom Versprechen und vom Eid, den Papst Johannes vor Gott, der Kirche und vor diesem heiligen Konzil geleistet hat. In ähnlicher Weise wurde auch bei den anderen Päpsten argumentiert. Vor der Wahl eines neuen Papstes wurde ein Amtseid für einen neuen Papst intensiv beraten und auch erörtert, welche Vorkehrungen getroffen werden könnten, um die unrechtmäßige Vergabe von Kirchengut durch gewählte Päpste zu vermeiden. Da der gewählte Papst Martin V. die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht erfüllte, wurde am 2. März 1431 eine Wahlkapitulation aufgestellt, die in zehn Abschnitten formulierte, was die Kardinäle für die Kirche vom zu wählenden Papst erwarteten. Diese capitula seien notwendig, um den Status der römischen Kirche und der kirchlichen Monarchie zu erhalten. Das Kardinalskolleg zeigte damit, dass es gewillt war, aus den Erfahrungen Lehren zu ziehen. Gerade das Verbot der Entfremdung von Kirchengut zieht sich noch lange Zeit durch die Wahlkapitulationen bis zu der, die Papst Innozenz X. 1644 beschwor. Erst zu dieser Zeit war das Kardinalskolleg durchsetzungskräftig genug, um auf das päpstliche Machtsystem einzuwirken. Im 18. Jahrhundert verdrängten päpstliche Bullen Sachthemen, die Gegenstand der Wahlkapitulationen waren. Ein Verbot der Wahlkapitulationen gab es erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Wahlordnung und der Konstitution Vacante Sede Apostolica durch Papst Pius X. im Jahre 1904. Während im »1. Halbband: Einführung« die Papstwahl, Formen und Inhalt sowie die Entwicklungsstufen der Wahlkapitulationen beschrieben werden, bevor anhand einzelner Wahlkapitulationen die wesentlichen Probleme erörtert werden, die sich bei den Wahlkapitulationen stellen, sind im »2. Halbband« die Wahlkapitulationen sorgfältig ediert. Nach der vorangestellten Gliederung: Historischer Kontext, Literatur und überliefernde Handschriften, Drucke und Abdruck, wird der lateinische Text geboten. Die für die Arbeit zu bewältigende Materialfülle ist beeindruckend, das Literaturverzeichnis umfasst im ersten Halbband die Seiten 355 bis 448 und zwei Seiten mit Nachweisen von Datenbanken. Gelang es bei den meisten Verfassern benutzter Literatur ihre Vornamen zu finden, so sind doch Theodor Gottlob, Hans-Henning Kortüm, Alessandro Luzio, Giovanni Battista Mannucci und Klaus Wriedt nachzutragen. Das Sachregister zu den Wahlkapitulationen im zweiten Halbband (1107–1111) enthält eine systematische Übersicht der in den Wahlkapitulationen behandelten Materien, die gerade für Kirchenrechtler sehr informativ ist. Da kein geschlossener archivalischer Fonds die Texte der Wahlkapitulationen bereithält, war es ein wichtiger Teil der Arbeit des Autors an den Wahlkapitulationen, die einzelnen Texte zu beschaffen. Das Handschriftenverzeichnis im zweiten Halbband (1113–1117) zeigt die Aufbewahrungsorte der Überlieferung. Die Art der Überlieferung führt dazu, dass Becker in sehr vielen weltlichen und kirchlichen Archiven und Bibliotheken suchen musste, um überlieferte Texte aufzuspüren. Diese Arbeit wurde noch in jüngster Zeit durch einen Fund zum Konklave von 1724 ergänzt, das zur Wahl Benedikts XIII. führte. Wie Becker in Anmerkung 1063 erwähnt, konnte er diese Ergänzung im Jahre 2022 von einem Antiquariat in Modena erwerben (284). Ein Personen-, Orts- und Sachregister (1119–1138) be- und erschließt beide Halbbände. Bedauerlich ist, dass im Text eine Vielzahl an Schreibfehlern steht, die ein sorgfältiges Lektorat eines qualifizierten Verlages hätte beseitigen müssen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Ulrich-Dieter Oppitz, Rezension von/compte rendu de: Hans-Jürgen Becker, Die päpstlichen Wahlkapitulationen. Ein Beitrag zur kirchlichen Verfassungsgeschichte, 2 Halbbde., Stuttgart (Hiersemann) 2024, 1164 S. (XIII–450 S.; XIII–688 S.) (Päpste und Papsttum, 51), ISBN 978-3-7772-2423-7, EUR 340,00., in: Francia-Recensio 2025/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.3.113163