Zwei Zeitbereiche mit ihren unterschiedlichen Forschungsmethoden und Diskussionen – hier das Mittelalter, dort die späte Frühe Neuzeit – haben sich gemeinsam der Herausforderung gestellt, Gender als soziale Kategorie an der Lebenswelt des Dorfes zu »testen«. In ihrer Einleitung weisen die beiden Herausgeber zu Recht und mit Nachdruck darauf hin, wie wenig Aufmerksamkeit die Agrargeschichte des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts genderrelevanten Fragen geschenkt hat. Von einem »toten Winkel« der Geschichtsschreibung ist die Rede bzw. von dem »Schweigen, das die Frauen der bäuerlichen Welt« umhülle, und von ihrer »Unsichtbarkeit« sowohl in den Quellen als auch in der Forschung.

Ob die Forschungslücke gleichermaßen für beide Zeitbereiche gilt, kann ich als Mediävistin nicht beurteilen. Gleichwohl möchte ich zu bedenken geben, dass die Frühe Neuzeit das Feld ist, in dem die Mikrogeschichte aufgekeimt ist, die in ganz Europa wunderbare Früchte zu den ländlichen Gesellschaften der Vormoderne hervorgebracht hat. In diesem Sinn ist die Einleitung vielleicht etwas zu einseitig auf die Mittelalterforschung zugeschnitten, der es in der Tat bis heute weitgehend an Studien mangelt, die sich über Detailfragen hinaus mit einem Fragenkomplex befassen, in dem regionale Unterschiede zwar allenthalben dominieren, der aber durch gemeinsame grundherrschaft­liche Organisationsstrukturen zusammengehalten wird. In diesem Sinn leistet der Band wirklich Grundsätzliches!

Unterteilt ist er in drei Teile: Zunächst steht das breite Feld der »Normen und Identitäten« im Blickpunkt der Aufmerksamkeit. Dieser erste Teil ist chronologisch, thematisch und methodisch allerdings sehr heterogen und wenig geeignet, um zu den anderen Teilen Brücken zu schlagen: Er reicht vom Wandel des frühneuzeitlichen Bildmotivs des Bauernfestes (Scarlett Beauvalet) bis zur Hexerei auf dem Dorf, die im Verlauf des 15. Jahrhunderts immer ausschließlicher mit Frauen bzw. alten Frauen in Verbindung gebracht wird (Ludovic Viallet). Darauf folgen Beiträge, die auf das »Familien­unternehmen und die Arbeit auf dem Dorf« fokussieren. Im dritten Teil geht es um »Herrschaftsausübung« mit Beiträgen, die von den spätmittelalterlichen Bauernrevolten bis zur Französischen Revolution und vom Süden Frankreichs (Christine Dousset-Seiden), der Normandie (Nathalie Pallu de La Barrière und François Rivière) und der Eidgenossenschaft (Sandro Guzzi-Heeb) bis in die französischsprachige Neue Welt bzw. Kanada (Benoît Grenier) reichen.

Jeden der drei Teile leiten die Herausgeber ein, indem sie knapp, aber hilfreich Gegenstand und Forschungsstand umreißen. Eine kluge Synthese am Buchende schließt den Band ab: Die Ergebnisse werden Revue passiert, eingeordnet, und es wird zusammengeführt, was zusammengehört. Alle vierzehn Beiträge detailliert zu würdigen, dafür ist hier nicht genügend Raum, aber das haben die beiden Herausgeber in ihrem Schlusswort ohnedies schon gemacht. Ich beschränke mich im Folgenden weitgehend auf die mediävistischen Beiträge.

Wichtige Impulse für den Fragekomplex haben in den 1980er‑Jahren die englischsprachigen Peasant Studies gesetzt, die mit Namen wie Zvi Razi, James Ambrose Raftis, Richard M. Smith und vor allem Judith M. Bennett verbunden sind (20). Wie die Forschung zur Iberischen Halbinsel (Antoni Furió) profitierten und profitieren sie massiv davon, dass die Grundherrschaften auf den Britischen Inseln sehr früh mit dem Herrschaftsinstrument der Schrift operierten, um die Dorfgesellschaft zu kontrollieren und zu disziplinieren (manorial court acts). Darauf nehmen Nathalie Pallu de La Barrière und François Rivière Bezug, die sich mit den beiden Grund­herrschaften Beaumont-en-Auge und Elbeuf-sur-Seine befassen. Die »Unsichtbarmachung der Frauen« sei, so ihr Fazit, in der ländlichen Normandie noch ausgeprägter als in den Dörfern Englands (232). Ähnlich lautet der Befund von Philippe Bernardi zum provenzalischen Landgut Gardanne. Der Anteil der Frauen unter den Lohnempfängern sei mit sieben Prozent insgesamt sehr bescheiden (82 von 1059 Lohneinträgen) und verdichte sich vor allem in der Erntezeit (168). Die Rechnungsbücher zeigten aber auch, dass auf dem Landgut nicht nur »Bäuerinnen« arbeiteten, sondern auch Städterinnen, die allerdings anderen und besser bezahlten Tätigkeiten nachgingen.

Die Lohnfrage beschäftigt auch Antoni Furió, auf dessen Beitrag ich etwas aus­führlicher eingehen möchte, weil er einige grundsätzliche Fragen aufgreift, die die Wirtschafts- und Sozialgeschichte Europas seit Beginn des 20. Jahrhunderts beschäftigen. Furió gelingt es, was bisher nur sehr wenige geschafft haben, nämlich einen äußerst differenzierten, quellengesättigten und thesenstarken Überblick über die Verhältnisse der Landbevölkerung auf der Iberischen Halbinsel zu geben. Wie bei den Peasant Studies sind es die grundherrschaftlichen Gerichts- und Verwaltungsakten, die ihm erlauben, Normen – der Beschlüsse der Ständeversammlungen (cortes) – mit der Praxis zu vergleichen. Dabei legen die Gerichtsprotokolle eine bemerkenswerte Widerspenstigkeit offen, die in der Zeit nach ihresgleichen sucht. Die Faktoren, die die Höhe der Löhne bestimmten, seien zahlreich: Zum Geschlecht gesellten sich Variablen wie Alter, Siedlungsdichte, Jahreszeit oder Tätigkeitsart. Erhellend sind auch Furiós Ausführungen zu den Verhältnissen auf der Insel Mallorca, deren Landwirtschaft längere Zeit wesentlich auf der Sklavenhaltung basierte. Das ändere sich um die Mitte des 15. Jahrhunderts, als sich für die Grundherrschaft Lohnarbeit mehr rechnete als Sklavenhaltung. Die wachsende Verschuldung der Landbevölkerung ließ die Zahl der Tagelöhner massiv steigen, darunter auch die Zahl der Tagelöhnerinnen, und die Löhne fallen. Gegen die sich allenthalben verschlechternden Arbeitsbedingungen erhoben sich die Be­troffenen nicht nur auf Mallorca.

Ob sich an den Aufständen auf Mallorca und anderswo auch Frauen beteiligten, der Frage geht Furió nicht nach. Das Thema greift Vincent Challet im dritten Teil des Sammelbandes neu auf, »neu«, weil die Frage, weshalb sich an den spätmittelalterlichen Bauernaufständen anders als an den frühneuzeit­lichen Brotrevolten so wenig Frauen beteiligten, schon vielfach diskutiert worden ist. Aber Chalet bringt neue Argumente ins Spiel, indem er zu bedenken gibt, dass bei den Aufständen gewöhnlich nicht Einzelpersonen, sondern die dörfliche Gemeinschaft agierte. Es sei die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft, die die Frauen in den Quellen »unsichtbar« mache; sie gingen sozusagen in der Gemeinschaft unter. Die Protokolle von Gemeindeversammlungen aus dem Süden Frankreichs zeigten, dass Frauen auf dem Dorf sonst durchaus eine politische Stimme besaßen. Die Protokolle erlaubten, »de saisir, presque au quotidien, la participation des femmes à la vie politique de leurs communautés et de constater qu’elles sont loin d’être absentes de telles réunions, comme le montre le dossier conservé pour Cournonterral, gros bourg situé non loin de Montpellier« (269). Politische Teilhabe von Frauen auf Gemeindeebene: Der Befund ist geradezu unerhört! In dieser Region wirkten Frauen nachweislich auch bei lokalen Erhebungen mit. Bei überregionalen Aufständen seien Frauen hingegen kaum vertreten. Challet meint, das hinge zum einen mit der beschränkten Mobilität der Frauen auf dem Land zusammen, mit ihrer Unabkömmlichkeit, aber auch mit der wachsenden Militarisierung der überregionalen Bauernerhebungen. Zu ähnlichen Ergebnisse gelangt Solenn Mabo in ihrem Beitrag zu den »Villageoises en Révolution«, mit dem der Band schließt. In dieser Hinsicht könnte man wirklich den Eindruck gewinnen, dass die Geschichte zuweilen stillsteht (Judith M. Bennett).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Gabriela Signori, Rezension von/compte rendu de: Emmanuelle Charpentier, Didier Lett (dir.), Le village à l’épreuve du genre dans l’Occident médiéval et moderne. Actes des XLIes journées internationales d’histoire de Flaran, 11 et 12 octobre 2019, Toulouse (Presses universitaires du Midi) 2024, 348 p., ISBN 978-2-8107-1275-5, EUR 27,00., in: Francia-Recensio 2025/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.3.113168