Die grundlegende These dieser Monographie ist als Kritik am jesuitischen Forscher Henri de Lubac (1896–1991) zu verstehen: Der französische Kardinal, dessen Seligsprechungsverfahren aktuell läuft, hatte in seiner zweibändigen Pneumatologie mit Joachim von Fiore angesetzt und von dort ausgehend die Berufung auf eine individuelle charismatische Inspiration in strenger Opposition zur Eigenlogik der kirchlichen Bürokratie gesetzt. Fontbonne hingegen möchte diese beiden Pole stärker miteinander verbinden: Gerade das Papsttum habe in seinem Bezug auf den Heiligen Geist die Pneumatologie vom 10. bis ins 14. Jahrhundert maßgeblich geprägt.

Schon im Vorwort wird konzediert, dass die Pneumatologie – nicht zuletzt aufgrund der Konkurrenzsituation mit der Mariologie – eher eine untergeordnete Rolle im Untersuchungszeitraum gespielt habe und zugleich in einem gewissen Sinn allgegenwärtig gewesen sei. Daher habe er sich auf explizite Berufungen auf den Heiligen Geist als Legitimationsstrategie beschränkt. Die folgenden drei Kapitel versuchen nun, diese Entwicklung in vier Jahrhunderten nachzuzeichnen: Nicht als Konzept- oder Ideengeschichte, sondern vielmehr mit Blick auf die vielfältigen Inanspruchnahmen des Heiligen Geistes, um die Legitimität der eigenen Positionen herauszustellen oder zu untermauern.

Das erste Kapitel wendet sich der gregorianischen Zeit zu: Bereits Urban II. habe sich als prophetischer Papst verstanden, und im sich ausdifferenzierenden Kirchenrecht habe dieser Anspruch seinen Niederschlag gefunden. Auch das aufblühende eremitische Leben habe sich auf den Heiligen Geist berufen, um das von der Regula Benedicti vorgeschriebene koinobitische Training nicht absolvieren zu müssen. Allerdings führte diese neue Wertschätzung der Innerlichkeit auch zum Bedürfnis nach offizieller Anerkennung, und das Papsttum verstand es geschickt, sich selbst als genau diese Legitimationsinstanz zu etablieren.

Das zweite Kapitel behandelt das bernhardinische Zeitalter und die Integration monastischer Freiheit in die Kirche. Neben Bernhard werden hier auch Hildegard von Bingen, Elisabeth von Schönau, Petrus Lombardus und natürlich Joachim von Fiore behandelt. Unter Rekurs auf die berühmte Bezeichnung Bernhards als »Chimäre seines Zeitalters« plädiert Fontbonne dafür, diese Zeit als Phase eines funktionierenden Missverständnisses zu begreifen. So wurde einmal der Geist in die institutionelle Funktionsweise der Verwaltung integriert, während er andererseits vor allem für eschatologische Denkfiguren und für die Häresiebekämpfung ins Feld geführt wurde.

Im dritten und letzten Kapitel geht es darum, wie die kirchenamtlichen Strukturen nunmehr den Bezug auf den Geist im 13. Jahrhundert »konfisziert« hätten. Die fortschreitende Rationalisierung und Verrechtlichung dieser Zeit habe zu unterschiedlichen Entwürfen in den je verschiedenen Kontexten geführt, etwa innerhalb der entstehenden universitates, in der kirchlichen Bürokratie in Avignon oder in den einzelnen Orden. Innozenz III. etwa markierte als vicarius Christi den Anspruch, dauerhafter Träger des Geistes zu sein. Damit musste das Papsttum zwangsläufig in den Konflikt mit Personen oder Institutionen geraten, welche die Monopolstellung für den legitimen Geistbezug nicht allein in der auf Rom hin zentrierten hierarchischen Gestalt der Kirche sahen. Folgerichtig musste es in den Auseinandersetzungen mit später als häretisch bezeichneten Gruppen primär um die Infragestellung der Monopolisierung des Geistbezugs gehen.

Nach seiner Sozialgeschichte des Heiligen Geistes im Okzident (Histoire sociale de l’Esprit Saint en Occident, Paris 2020) hat der Experte für die Mittelalterdeutung Max Webers also einen zweiten Band vorgelegt, der stark auf die soziologische Perspektive zugeschnitten ist. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass es im Fazit weniger um das Eigenrecht der Pneumatologie im Mittelalter geht, sondern um die Hegel’sche Zuordnung von Geist und Geschichte, für die Fontbonne mit guten Gründen mehr Parallelen bei Anselm von Havelberg als bei Joachim von Fiore sieht. Neben de Lubac ist also mit Hegel der zweite Zielpunkt seiner Ausführungen gesetzt.

Dieser Mut zur These ist zunächst genauso zu würdigen wie die Offenlegung der eigenen Teleologie, die für eine kritische Geschichtswissenschaft bekanntlich stets unvermeidlich ist. Es wäre im Rahmen einer Rezension zudem angesichts der Vielzahl der behandelten Autoren leicht, aber nicht fair, fehlende Forschungsdiskurse zu benennen oder das Fehlen bestimmter Quellen anzuzeigen. Auffällig ist jedenfalls eine Vorliebe für das »Neue« oder Umbruchsthesen: Sind Zisterzienser und Kartäuser ihrem eigenen Verständnis nach wirklich als »neue Orden« zu verstehen? Ist die gregorianische Reform wirklich als »symbolische Revolution« zu deuten? Finden umgekehrt in der Scholastik wirklich nur eine »Domestizierung« und »Normalisierung« der Pneumatologie statt? Dem Leser sollte jedenfalls klar sein, dass hier mehr eine soziologische Geschichtsdeutung mit einer Fülle von einzelnen historischen Thesen vorliegt, nicht so sehr eine auf die Kontinuitätslinien der Theologiegeschichte fokussierte Untersuchung.

Zuletzt führen diese Beobachtungen zur Frage, ob das Eigenrecht theologischer Argumentationen in diesem Entwurf in den Blick kommt. Aus der Sicht des Kirchenhistorikers wäre man geneigt darauf hinzuweisen, dass das Wirken des Heiligen Geistes in der Geschichte nicht erst in der gregorianischen Reform, sondern spätestens seit Augustin umfassend reflektiert wurde und konzeptionell enorm bedeutsam ist. Die Bestimmung des Eigenrechts der dritten Person der Trinität in ihrem Verhältnis zur divinitas ist auch lange vor den Auseinandersetzungen um das filioque erörtert worden. Die biblische und in der Regel paulinische Grundierung vieler Termini, etwa der libertas, kommt bei Fontbonne nahezu nirgends in den Blick. Versuche kirchlicher Obrigkeit, die Pluralität divergierender Theologien unter Rekurs auf die Pneumatologie einzuhegen, sowie Anstrengungen, sich durch den Bezug auf den Heiligen Geist von ebenjener Obrigkeit zu befreien, haben jedenfalls eine lange Tradition und eine wendungsreiche Geschichte. Gott ist nach Paulus bekanntlich kein Gott der Unordnung, aber eben auch kein Gott der Ordnung, sondern des Friedens (I Cor 14,33). Fast möchte man annehmen, dieses Spannungsfeld habe de Lubac schärfer gesehen. Aber Fontbonne benötigt offensichtlich nunmehr selbst eine Position, von der er sich abgrenzen kann, um als neu zu erscheinen.

Dabei hätte es dem Werk gut angestanden, bescheidener aufzutreten: Es liefert aus einer begrenzten soziologischen Perspektive einen teleologischen angelegten, auf wenige Beispiele beschränkten und entsprechend eher schlanken Gang durch verschiedene Bezugnahmen auf den Heiligen Geist vom 10. bis ins 14. Jahrhundert. Dabei wird zurecht herausgestellt, dass die kirchliche Bürokratie des Mittelalters darum unter dem Einfluss des Papsttums ihre eigene Begründung nicht ohne Berufung auf den Heiligen Geist artikulieren möchte und kann. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Buch ein hilfreicher Beitrag zur Erforschung der Ekklesiologie des Mittelalters.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Jan Reitzner, Rezension von/compte rendu de: Alexis Fontbonne, Les fondements charismatiques de la bureaucratie. La référence à l’Esprit dans l’ecclésiologie médiévale, Paris (Beauchesne) 2024, 384 p. (Théologie historique, 141), ISBN 978-2-204-16655-3, EUR 44,00., in: Francia-Recensio 2025/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.3.113171