Verbände ehemaliger Résistants und in die nationalsozialistischen Konzentrationslager Verschleppter entwickelten sich seit 1945 zu wichtigen sozialen, gesellschaftlichen und politischen Akteuren in Frankreich und anderen europäischen Ländern. Seit gut 20 Jahren sind sie zunehmend auch Gegenstand der Forschung.1 Henning Fausers Anfang 2025 erschienene Studie zu den Deutschlandbildern ehemaliger französischer KZ-Häftlinge ist ein weiterer wichtiger Beitrag in diesem Bereich. Der aus Deutschland stammende Historiker und Romanist lehrt an der Université de Nantes. Seine Untersuchung basiert auf einem umfassenden französischsprachigen Quellenkorpus aus Archiven und Dokumentationszentren, umfasst Publikationen von Überlebendenverbänden sowie zahlreiche Zeugnisse, Berichte, wissenschaftliche Arbeiten von und Interviews mit ehemaligen Häftlingen, von denen Fauser viele persönlich kannte. Dieses Material kombiniert er mit einschlägiger französischer und deutscher Forschungsliteratur. Der Anhang umfasst unter anderem sehr hilfreiche Biogramme wichtiger Akteurinnen und Akteure.

Die ebenso gut strukturierte wie dargestellte Analyse geht einem zentralen Erkenntnisinteresse nach: Hatten die Überlebenden des von Deutschen entworfenen und errichteten KZ-Systems in der Zeit seit der Befreiung bis Ende der 1960er-Jahre eine besondere Perspektive auf Deutschland und die Deutschen? Dafür werden drei Stränge untersucht: die Verbindungen, die Überlebende zwischen Deutschland und dem NS sowie zwischen Deutschen und Nazis herstellten; Veränderungen in den Vorstellungen von Deutschland und den Deutschen; Verbindungen zwischen den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Frankreich und Deutschland und den französisch-deutschen Beziehungen. Letztere befanden sich 1945 auf dem Tiefpunkt, als die meisten der untersuchten Verbände gegründet wurden. In den darauffolgenden beiden Jahrzehnten näherten sich die Länder an, insbesondere durch die Einbindung der BRD in die westlichen Wirtschafts-, Politik- und Verteidigungsstrukturen. Die Zäsur seiner Untersuchung im Jahr 1969 begründet der Autor zum einen mit seinen Forschungsergebnissen, wonach die Bilder von Deutschland und den Deutschen bei französischen NS-Opfern bis dahin ihren stärksten Wandel erlebten. Hinzu kommen die politischen Veränderungen im Nachbarland und insbesondere die Wahl zunächst eines sozialdemokratischen Bundespräsidenten, dann jene eines Bundeskanzlers derselben Partei im Jahr 1969.

Fauser gliedert seine Darstellung in acht Kapitel. Im Mittelpunkt des ersten stehen die fünf von ihm untersuchten Verbände ehemaliger KZ-Häftlinge in Frankreich, ihre Entstehungsgeschichte, die Soziologie ihrer Mitglieder, ihre Aktivitäten und die wichtigsten Akteure und Akteurinnen:

- Fédération nationale des déportés et internés, résistants et patriotes (FNDIRP, gegründet 1945) mit der Zeitschrift Le Patriote Résistant; antifaschistisch-kommunistisch ausgerichtet spielten ehemalige Häftlinge des KZ Buchenwald wie Marcel Paul und Frédéric-Henri Manhes eine führende Rolle;

- Fédération nationale des déportés et internés de la Résistance (FNDIR, 1945) mit der Zeitschrift Le Déporté; ebenfalls von früheren Buchenwald-Häftlingen, Albert Forcinal und Eugène Thomas, angeführt und antitotalitär-antikommunistisch ausgerichtet;

- Union nationale des associations de déportés, internés et familles de disparus (UNADIF, 1950); angesichts der zunehmenden Polarisierung des Kalten Krieges von bisherigen FNDIRP-Mitgliedern gegründet, darunter der populäre Pater Michel Riquet;

- Association nationale des anciennes déportées et internées de la Résistance (ADIR, 1945); von zahlreichen weiblichen Ravensbrück-Überlebenden gegründet, repräsentierte dieser Verband das gesamte politische Spektrum und publizierte die Zeitschrift Voix et Visages;

- Amicale des déportés d’Auschwitz et des camps de Haute-Silésie (1945); versammelte ausschließlich Überlebende des Lagerkomplexes Auschwitz und ihre Angehörigen, überwiegend Juden; die politische Ausrichtung glich der FNDIRP, Organ war die Zeitschrift Après Auschwitz.

Anschließend werden vier teils konkurrierende Perspektiven auf Deutschland und die Deutschen in der ersten Nachkriegszeit dargestellt. Sie ergeben sich aus unterschiedlichen patriotischen, politischen (Antifaschismus vs. Antitotalitarismus), religiösen (katholisch bzw. jüdisch) sowie universalistischen Schwerpunktorientierungen in den Weltanschauungen der Überlebenden und ihren Verbänden.

In den folgenden drei Kapiteln untersucht der Autor das Bild, das sich die Verbände jeweils von der BRD machten, entlang der drei »Wahrnehmungsachsen« Nationalismus, Militarismus und Kontinuitäten des NS. Während beispielsweise (pro-)kommunistische Verbände wie die FNDIRP und die Amicale d’Auschwitz ablehnend-kritisch blieben, reflektierten die beiden sich nahestehenden antitotalitär-antikommunistischen Verbände FNDIR und UNADIF die BRD zunehmend positiv.

Wie das sechste Kapitel zeigt, stellte sich das in Bezug auf die DDR weitgehend entgegengesetzt dar. Deren antifaschistische Selbstdarstellung fand zwar durchaus über die Kommunisten hinaus Anklang, die immer wieder den ostdeutschen »Friedenswillen« betonten. Umso mehr war die Beteiligung der DDR am Einmarsch in die ČSSR 1968 eine Zäsur, die die FNDIRP vor eine Zerreißprobe stellte. Bei antitotalitären Verbänden überwog von Anfang an Ablehnung, zum Ausdruck gebracht durch Bezeichnungen wie »Deutschland Nummer zwei« oder »Ostzone«. FNDIR und UNADIF kritisierten beispielsweise in entlarvender Absicht den Antifaschismus-Mythos sowie die Monumentalität und inhaltlichen Verzerrungen der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald.

Ein weiteres Kapitel analysiert Wahrnehmungen der Beziehungen zwischen Frankreich und beiden deutschen Staaten. Dabei wird die Unterstützung für eine Annäherung und Versöhnung mit der BRD ebenso thematisiert, wie der Widerstand dagegen und Vorschläge für Alternativen, insbesondere die Zusammenarbeit mit der DDR. Einmal mehr agierten die Verbände entsprechend ihrer weltanschaulichen Ausrichtung. Eine schwere Hypothek für die französisch-deutsche Verständigung war der Umgang mit NS-Kriegsverbrechern jenseits des Rheins. Dass insbesondere FNDIR und UNADIF dennoch die Bemühungen zur Aussöhnung mit der BRD unterstützten, sieht Fauser ebenso im christlichen Glauben und der gaullistischen Loyalität wie im Antikommunismus begründet. Diese Haltung konnte sogar dazu führen, die Präsenz ehemaliger NS-Täter in westdeutschen Institutionen zu ignorieren. Insbesondere die FNDIRP wandte sich immer wieder deutlich gegen diese aus ihrer Sicht »falsche Versöhnung« und forderte stattdessen eine »echte Annäherung« nicht mit der westdeutschen Regierung, sondern mit der bundesdeutschen Bevölkerung und zivilgesellschaftlichen Organisationen wie der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) – sowie mit der DDR.

Das achte und letzte Kapitel beschäftigt sich mit der Wahrnehmung des Massenmords an den europäischen Juden. Wenngleich die Zahl von sechs Millionen Opfern bereits unmittelbar nach der Befreiung präsent war, verbreitete sich konkreteres Wissen über dieses Zentralverbrechen des NS erst allmählich. 1967 veröffentlichte beispielsweise die Zeitschrift der FNDIR Le Déporté einen ersten Bericht über den Vernichtungsprozess in Auschwitz-Birkenau. Letztlich entwickelte sich nach »Buchenwald« in Frankreich »Auschwitz« zu der Chiffre für die NS-Verbrechen. Die Bezugnahmen darauf gestalteten sich wiederum unterschiedlich. Die FNDIRP machte in der ersten Hälfte der 1950er Jahre mit einer Manifestation unter der Losung »Erinnere Dich an Auschwitz« in Paris gegen die Wiederbewaffnung der BRD mobil. Eine Broschüre aus dem Spektrum der antikommunistischen Verbände von 1962/63 verglich Ostberlin nach dem Mauerbau mit Auschwitz.

Im Ergebnis seiner Untersuchung erkennt Henning Fauser in den Bildern, die KZ-Überlebende von Deutschland und den Deutschen hatten, keine nennenswerten Unterschiede zu denen ihrer nicht deportierten Landsleute: »In den allermeisten Fällen waren die geäußerten Ideen und Wahrnehmungen über ihre Nachbarn jenseits des Rheins Teil von Denkmustern, die vor 1945 und außerhalb der Kreise der Opfer des Nationalsozialismus existierten« (249).2 Hinzu kamen die Kontroversen des Kalten Krieges als wichtigster Einflussfaktor für die Entstehung und Verbreitung neuer Topoi und Denkmuster. Einige Überlebende versuchten, »die Ängste und Befürchtungen zu schüren, die aus den traumatischen Erfahrungen von Repression, Verfolgung und Deportation folgten« (249). Fausers Einschätzung zufolge veranschaulicht seine Untersuchung daher besonders »die Wirksamkeit kollektiver Wahrnehmungsmuster. Nur eine Handvoll Menschen denkt, deutet und nimmt Deutschland außerhalb der verbreiteten Schemata und Topoi wahr« (250).

1 Vgl. zuletzt bspw. Stefanie Schüler-Springorum, Unerwünscht. Die westdeutsche Demokratie und die Verfolgten des NS-Regimes, Frankfurt am Main 2025; Maximilian Becker, Antifaschismus und Kalter Krieg. Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer in Nachkriegseuropa, Göttingen 2024; Philipp Neumann-Thein, Daniel Schuch, Markus Wegewitz (Hg.), Organisiertes Gedächtnis. Kollektive Aktivitäten von Überlebenden der nationalsozialistischen Verbrechen, Göttingen 2022.
2 Hier und im Folgenden: Französisch im Original.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Philipp Neumann-Thein, Rezension von/compte rendu de: Henning Fauser, Représentations de l’Allemagne chez d’anciens concentrationnaires en France 1945–1969. Préface de Georges Petit, Rennes (Presses universitaires de Rennes) 2025, 298 p., ISBN 978-2-7535-9654-2, EUR 25,00., in: Francia-Recensio 2025/4, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.4.113984