Wie jedes historische Ereignis wird auch die Sklaverei regelmäßig in der literaturwissenschaftlichen Forschung behandelt. Insbesondere die Etablierung der Postcolonial Studies hat zu einem gesteigerten Interesse an literarischen Texten über Sklaverei und Kolonisation geführt. Diese Studien zielen darauf ab, die Geschichte der Sklaverei und Kolonisation auf neue Weise zu untersuchen, um die Stimmen und Perspektiven der verschiedenen unterdrückten und versklavten Völker hör- und sichtbar zu machen. Solche Perspektiven werden in der bisher am weitesten verbreiteten und von Generationen von Historikern und Historikerinnen formulierten Geschichtsdarstellung, jener der kolonialen Unterdrücker, nicht reflektiert. In diesem Zusammenhang betont Edward Said in Culture and Imperialism: »Never was it the case that the imperial encounter pitted an active Western intruder against a supine or inert non-Western native, there was always some form of active resistance, and in the overwhelming majority of cases, the resistance finally won out« (1993, XVII). Aus dieser Aussage folgt die Notwendigkeit, historische Narrative kritisch zu hinterfragen und die Widerstandskraft kolonialisierter Gesellschaften stärker in den Fokus zu rücken.

Der vorliegende, von Natascha Ueckmann und Romana Weiershausen herausgegebene Sammelband interessiert sich für den Widerstand von Sklaven und Sklavinnen vor allem auf Haiti und zeigt anhand der analysierten Texte, mit welchen Mitteln diese sich von der Sklaverei zu befreien oder sie zu umgehen versuchten. Der Sammelband enthält ein Vorwort und 12 Beiträge, neun auf Deutsch und drei auf Französisch, jeweils mit einem Abstract in der anderen Sprache. Der Band ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil mit dem Titel »Der Fall Haiti: theoretische Überlegungen« enthält nur einen Beitrag, der zweite Teil mit vier Beiträgen trägt den Titel »Europa und die Antillen: Theater und Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts« und der dritte Teil mit dem Titel »Diachron-vergleichende Blicke auf die Literatur bis zum 20./21. Jahrhundert« ist mit sechs Beiträgen der umfangreichste.

Anja Bandau setzt mit dem ersten Artikel über Haiti den Rahmen und stellt in allgemeiner Form die Vorzüge einer Lektüre kolonialer Texte aus einer neuen Perspektive vor. Sie geht der Frage nach, wie koloniale Texte im Kanon zeitgenössischer Literatur- und Kulturwissenschaften berücksichtigt werden können. Ihre Überlegungen stützen sich auf französische Texte des 18. Jahrhunderts über die Revolution auf Saint-Domingue, die sie als paradigmatischen Fall betrachtet. Sie präsentiert die Texte in panoramischer Weise, beleuchtet die Bruchstelle im Diskurs der Aufklärung und der Abolitionisten und resümiert ihre Positionen in drei Thesen: »Die Kolonialliteratur stellt eine Reihe von Tropen bereit, die es erlauben, von der Haitianischen Revolution zu sprechen« (21). »Die Texte der Kolonialliteratur sind Teil eines geteilten kolonialen Raums, in dem die kulturellen Praktiken verschiedener sozialer Gruppen koexistieren, die an der Entstehung einer neuen kreolischen Tradition partizipieren« (26). Der dritten These zufolge »lässt sich die Literaturgeschichte der Haitianischen Revolution nicht in den Grenzen einer nationalen Literaturgeschichte schreiben« (27–28).

In seinem Beitrag beschäftigt sich Joseph Jurt mit Schriftstellern, die vor der Revolution von 1789 den Aufstand der Sklaven in ihren Schriften und in anderen Medien unterstützt und verteidigt haben. Es handelt sich um Abbé Prévost, Saint-Lambert, Mercier und Condorcet. Gemeinsam ist ihnen, dass sie imaginäre Revolutionsführer inszenieren, denen es gelingt, ihr Volk von der Sklaverei zu befreien. Darüber hinaus ist bei Saint-Lambert eine Haltung zu erkennen, die eher auf eine humane Behandlung der Sklaven abzielt, um deren Revolutionslust zu mindern, denn eine Revolte der Sklaven könnte zum Verlust der Kolonien führen. Condorcet geht von der Einheit der menschlichen Natur aus und dekonstruiert die rechtliche und wirtschaftliche Rechtfertigung des Sklavensystems.

Ähnlich wie diese Autoren inszenieren auch Heinrich von Kleist, Theodor Kröner und Theodor Mügge in ihren Texten Revolutionäre, die ihr Volk von der Sklaverei befreien, und zwar mithilfe weißer Figuren. Das zeigt Annette Bühler-Dietrich in ihrem Beitrag über Saint-Domingue im zweiten Teil. Im Mittelpunkt des Geschehens steht mit Toussaint Louverture eine berühmte Figur der haitianischen Revolution. Bühler-Dietrich zeigt, wie sich die deutschen Zeitungen mit dieser Revolution auseinandersetzten, und kommt in ihrer Analyse zum Ergebnis, dass die Revolution von Saint-Domingue 1791 die üblichen Wahrnehmungsmuster durchbrach, da die Europäer Menschen aus der Karibik erstmals nicht mehr als Sklaven, sondern als ihr Gegenüber wahrnahmen.

Die These, dass ein Roman das subjektive Erfahrungswissen gegenüber einem öffentlich-politischen Aufklärungsdiskurs propagieren könne, wird von Christiane Solte-Gresser vertreten. In ihrem Beitrag zeigt sie, dass die Erzählperspektive die Frage nach der Darstellung der Sklaverei insofern beeinflussen oder sogar bestimmen kann, als die gewählte Erzählinstanz eine Betrachtung der Geschichte aus mehreren Perspektiven ermöglichen kann oder auch nicht. Sie veranschaulicht diese These anhand der Erläuterung des Wechsels auf der Ebene der intradiegetischen Erzählung in Isabelle de Charrières Histoire de Constance (Trois femmes, 1796).

Janett Reinstädler interessiert sich für die Inszenierung des Widerstands im haitianischen Theater. In ihrer Untersuchung unterscheidet sie zwei historische Momente dieses Theaters, nämlich die koloniale Theatergesellschaft von Saint-Domingue einerseits und das Theater von Revolution und zweierlei Exil andererseits. Im ersten Fall wurde das Theater aus der Metropole nach Haiti exportiert und war nur einer lokalen Elite zugänglich. Stücke von Autoren wie Racine, Molière, Diderot und Beaumarchais wurden dort aufgeführt. Erst später wurde die durch den Kolonialismus verursachte Gewalt oder der blutige Widerstand der Revolution inszeniert. Reinstädler führt als Beispiel Ogé ou le préjugé du couleur [sic] an, das anlässlich des 50. Jahrestages der haitianischen Revolution gespielt wurde und auf die Bühne brachte, wie die Sklaven die Kolonisten besiegten und sogar gefangen nahmen und später auch freiließen.

In ihrem eigenen Beitrag spricht Natascha Ueckmann die virulente Frage an, wie die Aufklärung – die Freiheit, Fortschritt, Emanzipation, Vernunft und Wissen propagierte – Kolonisation, Eroberung, Ausbeutung von Menschen und Ressourcen, Gewalt und Unterdrückung beförderte. Als vorbildliche Abolitionisten der Aufklärung bezogen Abbé Prévost und Jean-François de Saint-Lambert eine radikale Position gegen die Sklaverei, propagierten aber zugleich ein Verfahren der Selbstbefreiung und des schrittweisen Übergangs von der Sklaverei zur Lohnarbeit. Da das Kolonialsystem noch immer von Sklavenaufständen bedroht war, plädierten diese französischen Autoren für einen humanen Umgang mit den Schwarzen, um Aufstände zu vermeiden und die Existenz der Kolonien zu sichern.

Isabell Lammel konzentriert sich auf den Anführer der haitianischen Revolution Toussaint Louverture und zeigt, wie vielfältig sein Bild im kollektiven Gedächtnis Frankreichs war. Die Dämonisierung dieser mythische Züge tragenden Figur begann schon zum Zeitpunkt der Saint-Domingue-Expedition mit negativer Propaganda in Frankreich. Die Romantiker griffen auf die individuellen Erinnerungen der Zeitzeugen zurück, konnten die Figur aber positiv darstellen aufgrund der Distanz, die sie von den Ereignissen in Saint-Domingue trennte. Nachdem Toussaint Louverture Gegenstand einer starken literarischen Mythisierung gewesen war, geriet er nach der zweiten Abschaffung der Sklaverei 1848 in Vergessenheit, die Erinnerung an ihn kehrte erst nach dem Niedergang des Kolonialreichs nach dem Zweiten Weltkrieg durch Autoren wie Glissant und Césaire in das kollektive Gedächtnis zurück.

In seinem Beitrag beschäftigt sich Giuseppe Sofo mit der Césaire-Trilogie La Tragédie du roi Christophe (1963), Une saison au Congo (1966) und Une tempête (1969), die emblematischen Figuren des Kampfes gegen Sklaverei und Kolonisation in verschiedenen Kontexten gewidmet ist, nämlich Henri Christophe für Haiti, Patrice Lumumba für den Kongo und Shakespeares Caliban, der als Malcolm X vorgestellt wird. Sofo konzentriert sich auf den Christophe, in dem er das Kreolische in Césaires Werk enthüllt sieht, und betont damit einen weiteren Aspekt der Revolution: die sprachliche Revolution. Dabei hebt Sofo Césaires evolutionäre Haltung gegenüber der kreolischen Sprache hervor.

Stephanie Wilks Beitrag zielt darauf ab, verschiedene Perspektiven der literarischen Bearbeitung des Unabhängigkeitskrieges in Haiti zu zeigen. Ihre Untersuchung beruht auf drei Texten: Madison Smartt Bells The Stone that the Builder Refused (2004), Hans Christoph Buchs Die Hochzeit von Port-au-Prince (1984) und Une heure pour l’éternité (2008) von Jean-Claude Fignolé. Während der erste Text die Gesellschaft der ehemaligen Kolonie in ihrer Gesamtheit zu rekonstruieren versucht, stellt der zweite eine Parodie des historischen Romans dar, die darauf abzielt, die Ursprünge der aktuellen Misere aufzudecken. Der dritte Autor gibt dem Generalkapitän Leclerc von der Saint-Domingue-Expedition das Wort, der sich in einem inneren Monolog mit seiner Rolle im Verlauf der Ereignisse konfrontiert. In diesem Monolog, der in Wirklichkeit ein Bekenntnis zu Gott ist, wird er von Toussaint Louverture heimgesucht und führt einen Dialog mit ihm, anstelle von Gott. Jeder rechtfertigt seine Mission und am Ende bereut Generalkapitän Leclerc, die Ideale der Französischen Revolution missachtet zu haben.

Eine Auseinandersetzung mit der Revolution aus weiblicher Perspektive bietet die haitianische Schriftstellerin Évelyne Trouillot in ihrem Roman Rosalie l’infâme (2003), so Kerstin Kloster in ihrem Beitrag. Der Fokus liegt auf der Entfaltung der Identität und Emanzipation der Protagonistin Lisette, die sich aufgrund ihres kulturellen Erbes, insbesondere der ihr von ihrer Großtante Brigitte überlieferten Schriften zur Sklaverei zur Rebellion entscheidet. Als Katalysator dient dabei die Kommunikation des kollektiven Gedächtnisses über traumatische Erinnerungen der eigenen Vorfahren.

In ihrem Artikel über Ludwig Fels’ Roman Die Hottentottenwerft (2015) stellt Laura Beck fest, dass antikolonialer Widerstand oder explizite Darstellungen antikolonialer Gewalt in der zeitgenössischen deutschen Literatur zum Kolonialismus in der Regel fehlen oder nur am Rande erscheinen. Die Hottentottenwerft beschreibt sie als eine Ausnahme. Zwar porträtiert Fels Figuren aus fremden Kulturen als Gewalttäter, wobei es ihm nicht gelingt, Klischees von Exotik und kolonialen Stereotypen zu vermeiden. Doch arbeitet er heraus, dass die Gewalt der Unterdrückten, auch wenn sie moderat ist, eigentlich eine Antwort auf die exzessive Gewalt der Kolonisatoren sei.

Der gesamte Sammelband taucht ein in die Geschichte der Sklaverei in Haiti durch eine kontrapunktische Lesart der Beziehung zwischen haitianischen Sklaven und ihren Peinigern. Er bereichert damit die Publikationen der Postcolonial Studies in Frankreich wie auch in Deutschland, wo sich diese Studienrichtung erst langsam etabliert. Bedauerlich ist jedoch das Fehlen von Beiträgen von Autorinnen und Autoren aus Gebieten, die ehemals versklavt worden sind, insbesondere Haiti. Neben dem Übergewicht deutschsprachiger Artikel fällt auch ein Missverhältnis beim Geschlecht der Autorinnen und Autoren auf, nur zwei von zwölf sind Männer. Dies beeinträchtigt freilich keinesfalls die Relevanz und den Erkenntniswert der vorgelegten literaturwissenschaftlichen Analysen, vielmehr erweist sich der Band damit als Referenz auf dem Gebiet der postkolonialen Studien über Haiti oder über weitere ehemals versklavte oder kolonisierte Territorien.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Augustin Joël Noumo, Rezension von/compte rendu de: Natascha Ueckmann, Romana Weiershausen (Hg.), Sklavenaufstände in der Literatur/Les révoltes d’esclaves dans la littérature, Stuttgart, Weimar (J. B. Metzler) 2020, 294 S., ISBN 978-3-662-62039-7, EUR 64,99., in: Francia-Recensio 2025/4, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.4.114005