Der frühneuzeitliche Wald ist seit Jahrzehnten ein Gegenstand historischer Forschung. Neben Untersuchungen der Nutzung und Regulierung natürlicher Ressourcen in der Geschichtswissenschaft stehen kulturwissenschaftliche Ansätze, die die Wahrnehmung und symbolische Aufladung dieses Naturraums thematisieren. Der Sammelband Der Wald in der Frühen Neuzeit zwischen Erfahrung und Erfindung. Naturästhetik und Naturnutzung in interdisziplinärer Perspektive legt den Schwerpunkt auf die Verschränkung beider Dimensionen, also der Nutzung des Waldes und seiner Ästhetisierung. Der Band, der auf eine 2019 an der Universität Stuttgart veranstaltete Tagung zurückgeht, vereint hierfür geschichtswissenschaftliche Perspektiven mit Beiträgen aus der Kunst- und Literaturgeschichte.
Der einführende Beitrag der Herausgeberinnen Daniela Bohde und Astrid Zenkert (9–31) beschreibt die frühe Neuzeit als letzte Phase einer sogenannten »Holzzeit« (11), die von einer starken Konkurrenz verschiedener Nutzungsformen des Waldes geprägt war. Zugleich sei der Wald ein Ort, der seit dem Mittelalter als »Gegenwelt« (13) zur gesellschaftlichen Realität verstanden wurde. Am Beispiel eines Bildteppichs Pasquiers um 1460 wird gezeigt, dass zeitgenössische Darstellungen durchaus beide Sphären abbilden konnten (17–18). Nach Auffassung der Autorinnen spricht dies dagegen, bei der frühneuzeitlichen Wahrnehmung des Waldes von einem Gegensatz von Nutzung und Ästhetisierung auszugehen. Mit diesem Argument wenden sie sich gegen die auf Joachim Ritter zurückgehende, häufig kritisierte Charakterisierung der Vormoderne als Zeit ohne ästhetischen Bezug zur Natur (16).
Hansjörg Küster (35–61) liefert einen Überblick über die verschiedenen Nutzungsformen des Waldes in der Frühen Neuzeit. Der Beitrag nimmt eine wichtige Funktion im Band ein, weil zentrale wirtschaftliche und ökologische Grundlagen erläutert werden, auf die nachfolgende Beiträge aufbauen. Der eigentliche fachliche Schwerpunkt des Textes, nämlich die Pollenanalyse, wird nur vergleichsweise knapp angesprochen. Eine stärkere Einbindung naturwissenschaftlicher Methoden hätte die interdisziplinäre Ausrichtung vervollständigt.
Mit einer Verbindung von Walddarstellungen des Renaissancemalers Albrecht Altdorfers (um 1480–1538) und seinen Vorstellungen vom alten Germanien setzt sich Pierre Vaisse (63–82) kritisch auseinander. Eine ältere Deutung, wonach Altdorfer und sein künstlerisches Umfeld von Humanisten wie Cestis beeinflusst gewesen seien, die sich wiederum auf Tacitus’ Germania bezogen, ist nach Auffassung des Autors nicht tragfähig (75). Stattdessen stellt er die Frage, ob diese Interpretation unbewusst von einer Vermischung der Themen Wald, Romantik und Nationalismus gepägt ist, wie diese etwa seit dem 19. Jahrhundert auftrat (79–80).
Auch Daniela Bohde (85–119) widmet sich dem Werk Altdorfers. Sie betont, dass die Darstellung von Bäumen, die Spuren menschlicher Nutzung aufweisen, keinen »appellativen Gestus« (97) erkennen lässt, mit dem der Künstler seinerzeit auf einen schlechten Zustand der Wälder hingewiesen hätte. Sowohl bei Altdorfer als auch bei dem Passauer Landschaftsmaler Wolf Huber (um 1485–1553) sei hingegen zu beobachten, dass die Darstellung von Wäldern als Mittel genutzt wurde, um Größe und Tiefenwirkung einer Landschaft zu verdeutlichen, ungeachtet der zeitgenössischen Herausforderungen bei der Holzversorgung (119).
Ein weiterer Beitrag zum Verhältnis von Darstellung und Nutzung kommt von Anna Christina Schütz (121–152), die der Darstellung von Bäumen und Wäldern bei den Künstlern Salomon Gessner (1730–1788), Adrian Zingg (1734–1816) und Carl-Wilhelm Kolbe (1757–1835) nachgeht. Alle drei unternahmen Naturbeobachtungen, die sich in unterschiedlichem Ausmaß in ihren Werken niedergeschlagen haben (130, 137–138). Die Tatsache, dass wiederholt intensiv genutzte Baumarten wie Weiden, Fichten und Eichen dargestellt sind, deutet Schütz so, dass auch die Darstellung von wirtschaftlich bedeutenden Wäldern in ästhetische Zusammenhänge eingebunden sein konnte (151).
Nils Büttner (155–172) stellt anhand der Analyse einer Tapisserie und eines sich zwischen »Kunst und Chorographie« (170) bewegenden Waldplans dar, wie der Wald als Besitz- und Herrschaftsraum visuell erschlossen wurde. Beide bilden den Zonienwald bei Brüssel ab. Der zu Beginn des 16. Jahrhunderts für König Maximilian gefertigte Wandteppich mit der Darstellung höfischer Jagden inszeniert den Wald als fürstlichen Aufenthaltsort, dessen Zugang dem einfachen Volk tatsächlich verwehrt war (162‑165). Büttner verweist damit auf Formen symbolischer Aneignung des Waldes und ergänzt die ästhetische Perspektive um eine machtgeschichtliche Komponente.
Anette Baumann (173–194) zeigt, dass Visualisierungen des Waldes auch im Zusammenhang mit rechtlichen Konflikten angefertigt wurden. Anhand dreier Verfahren vor dem Reichskammergericht werden Bildsprache und Entstehungszusammenhang von Augenscheinkarten analysiert (175). Baumann kommt zu dem Schluss, dass die Gestaltung in einem »visualisierten Diskurs« (189) erfolgte, der von den Bedürfnissen der Parteien abhing. Hilfreich ist der rechtsgeschichtliche Überblick, der den Wandel der Zugangsrechte zur Waldnutzung am Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit beleuchtet (175–179).
Die herrschaftliche Durchdringung des Waldes steht im Mittelpunkt des Aufsatzes von Sabine Holtz (197–217). Am Beispiel des Schönbuchs zwischen Stuttgart und Tübingen zeichnet sie die herzoglich-württembergische Forstpolitik nach, die eng mit dem Ausbau des Landes und seiner Territorialisierung verbunden war (205). Einbezogen werden auch die sozialen Unruhen am Beginn des 16. Jahrhunderts, denen verschiedene Einschränkungen beim Zugang zu natürlichen Ressourcen vorausgegangen waren (209–210). Der Beitrag verdeutlicht so die enge Verbindung von Ressourcennutzung, obrigkeitlicher Regulierung und sozialen Konflikten.
Die symbolische Funktion von Wäldern in den Gartenanlagen der Medici ist Gegenstand der Untersuchung von Astrid Zenkert (219–252). Sie geht von der Erschaffung einer »politischen Landschaft« (221) aus, in der Gartenwälder herrschaftliche Ansprüche auf echte Wälder rhetorisch untermauern und plausibilisieren sollten (222). Die Anlagen dienten dabei zugleich der »Inszenierung herzoglicher Naturbeherrschung« (229). Aufschlussreich ist, dass die aus einer Kaufmannsdynastie hervorgegangenen Medici-Herzöge zur Legitimation ihres Herrschaftsanspruchs besonderes Gewicht auf die Monopolisierung von Wäldern und Flüssen legten (225).
Der performative Charakter einer Inszenierung des Waldes wird schließlich bei Helena Langewitz (253–293) noch einmal vertieft. Sie wendet sich der Repräsentation im höfischen Musiktheater der Kurpfalz während des 18. Jahrhunderts zu, in der die Natur als bevorzugter Schauplatz eine wichtige Rolle einnimmt (254, 258). Im Gegensatz zum tatsächlichen, schlechten Erhaltungszustand der kurpfälzischen Wälder (256), steht hier die Darstellung eines zwar wirtschaftlich genutzten, aber dennoch intakten Waldes auf Bühnenbildern und Kulissen (286–287).
Der Sammelband stellt überzeugend dar, dass Nutzung und Ästhetisierung des Waldes in der Frühen Neuzeit eng miteinander verbunden waren. Dies gelingt auch dank zahlreicher Abbildungen, die Inhalte illustrieren oder selbst besprochen werden. Durch den Einbezug von Wahrnehmungen und symbolischer Aufladung bietet er Anknüpfungspunkte für eine Perspektive, die den Wald vor dem Hintergrund wirtschaftlicher, aber auch soziokultureller Bewertungen als Ressourcenraum begreift und für sozialökologische Untersuchungen zugänglich macht. Darüber hinaus verdeutlicht der Band das Potenzial interdisziplinärer Zugänge für die Erforschung vormoderner Umweltverhältnisse und ihrer gesellschaftlichen Wechselwirkungen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Marcel Schön, Rezension von/compte rendu de: Daniela Bohde, Astrid Zenkert (Hg), Der Wald in der Frühen Neuzeit zwischen Erfahrung und Erfindung. Naturästhetik und Naturnutzung in interdisziplinärer Perspektive, Köln (Böhlau) 2024, 297 S., 117 Abb., ISBN 978-3-412-52618-4, EUR 50,00., in: Francia-Recensio 2025/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.4.114139





