Frühneuzeitliche Territorialherren haben in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zunehmend Vermessungen und maßstabsgetreue Kartierungen in Auftrag gegeben. Kurfürst August von Sachsen (geb. 1526, reg. 1553–1586) ging hier im Zuge des Verwaltungsausbaus seines Landes noch einen Schritt weiter: Er beauftragte nicht nur die Annaberger Markscheider Georg und Matthias Öder wie auch den Leipziger Mathematikprofessor Johannes Humelius (1518–1562) mit der Kartierung seiner sächsischen Ländereien und Ämter, sondern er führte zusätzlich zur Förderung von Bergbau, Landwirtschaft und seiner Kammergüterverwaltung sogar höchstpersönlich Vermessungen durch, die er eigenständig aufzeichnete. Er begeisterte sich für den mechanischen Wegmesser, der das umständliche Verfahren mit der Messkette ersetzen sollte. Er sammelte geodätische Instrumente und interessierte sich für das Zusammenspiel neuer Technologien mit kartografischen Aufzeichnungen und kulturellen Diskursen. Er tauschte sich mit Experten über Instrumente und Vermessungsmethoden aus, um die besten Lösungen zu finden. Seine Instrumente und Karten (27 Waldrisse sowie 16 Landtäfelchen für eine Gesamtkarte) sind im Inventar der Dresdner Kunstkammer von 1587 erfasst und gingen später in den Besitz des Mathematisch-Physikalischen Salons der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden über. Das kursächsische Unternehmen, die Herrschaftsdurchdringung mittels Geodäsie und Kartografie zu erproben und letztlich zu etablieren, wirkte auch für andere Territorien des Reiches vorbildlich.
Die vorliegende, mit 35 Abbildungen reich illustrierte Publikation analysiert diese längst bekannten Phänomene erstmals monografisch und in intensiver Auseinandersetzung mit den Quellen. Ziel der Autorin ist es, die angewandten Praktiken zu erfassen, die damit verknüpften Veränderungen in der Wahrnehmung von Raum nachvollziehbar zu machen und zu erklären, welche Interessen den Kurfürsten leiteten und was er selbst mit der Beauftragung, Nutzung und Präsentation kartografischer Zeugnisse und Instrumente zur Weiterentwicklung zeitgenössischer Herrschaftskonzepte beigetragen hat. Chassagnette untersucht die Produktion und den Einsatz von Karten im Kursachsen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und verortet sie im Kontext der zeitgenössischen materiellen, intellektuellen, visuellen und politischen Kultur. Dazu blickt sie nach einer kurzen Erläuterung ihrer Fragestellung auf fünf Themenbereiche: erstens die erhaltenen Inventare und Objektsammlungen, zweitens die Lernprozesse und Ausbildungsstationen des Fürsten, drittens die angewandten Praktiken, viertens die visuelle Konstruktion der Karten und deren Darstellungsebenen sowie fünftens die Zielsetzung und die Diskursfähigkeit des Kurfürsten.
Schon im Blick auf die kursächsischen Inventare und Objekte wird einerseits das Exemplarische und andererseits das Einzigartige der reichhaltigen kursächsischen Überlieferung deutlich. Wesentliche Grundlage dafür ist das 1587 von Augusts Sohn und Nachfolger, Christian I., veranlasste Bestandsverzeichnis, das frühere Auflistungen einzelner Bereiche systematisierte und die Erinnerung an August reorganisierte. Aus dem üppigen Korpus von 9586 Sammlerstücken, darunter 442 technische Instrumente und 288 handschriftliche oder gedruckte Bände, lassen sich weitreichende Informationen ableiten, etwa über die Fertigung kartografischer Produkte und geodätischer Instrumente, über die Bedingungen von Aufbewahrung und Materialität, über den Tausch von Objekten mit anderen Höfen sowie über die Bedeutung von Bibliotheksinventaren, Spezialliteratur, Vermessungsheften und kartografischen Skizzen. Chassagnette zeigt die Breite und Relevanz dieser Sammlung auf. Sie beleuchtet die kurfürstlichen Strategien, diesen materiellen Objekten eine repräsentative Funktion zuzuweisen, um die Größe Kursachsens und seines Regenten zu veranschaulichen. Das lebenslange persönliche Engagement des Fürsten für alle Vorgänge rund um das Vermessen und Kartieren sieht sie in seinem Ausbildungsweg begründet, der von der Schule in Freiberg über die Universität Leipzig an den erzherzoglichen Habsburger Hof von Ferdinand I. führte und letztlich, wie Briefwechsel belegen, in einen wissenschaftlichen Austausch mit zahlreichen wichtigen Protagonisten der Zeit mündete.
In der Studie wird das Korpus zur Basis, um die Fertigungsprozesse und die Anwendung pragmatischen Wissens zu rekonstruieren. Aufschlüsse geben Augusts mathematisch-geodätische Gerätschaften wie der Bussolenzug, den er bis zur Perfektion beherrschte, die Quadranten, mit denen er seine wissenschaftlichen Fähigkeiten demonstrierte, und der mechanische Wegmesser, den er auf seinen Reisen nutzte und weiterentwickelte. August kannte ihre Funktion, ihre Materialität und ihre konstruktiven Besonderheiten, wobei er seine Kenntnisse zukunftsorientiert, wenngleich nicht systematisch als »Staatswissen« einsetzte. Die Karten, für die kein großflächiger administrativer Gebrauch zu erkennen ist, dienten dazu, seine Jagd- und Waldgebiete zu inventarisieren und seine geografischen Reiseerfahrungen ins Visuelle zu übersetzen. Damit stützte die Praktik des Kartierens die Landespolitik zuerst einmal individuell, nämlich als Manifestation eines aristokratischen Ethos. Das größte Projekt, nämlich die Repräsentation der gesamten kursächsischen Territorien, konnte dann erst einige Jahrzehnte nach Augusts Tod unter seinen Nachfolgern realisiert werden.
Eine genaue Interpretation der Karten offenbart, wie die Übertragung ins Figurative den Blick auf das (kursächsische) Territorium modifizierte: Format, Farben und ergänzende Illustrationen visualisierten, wie Chassagnette ausführt, nicht nur einen Raum, sondern akzentuierten auch das, was erinnert und repräsentiert werden sollte; sie prägten seine Wahrnehmung. Die Auswahl der in- und exkludierten Objekte und deren Symbolik war ein Statement des Kartografen, der potenzielle Hindernisse und Durchgangswege, natürliche Ressourcen und Grenzen mit unterschiedlicher Intensität erfasste und verewigte. Dabei demonstriert Chassagnette, wie sich Augusts Kartierungen in die vielfältige zeitgenössische Produktion einfügten und durch das persönliche Interesse des Fürsten ihren eigenen Charakter erhielten. Ganz im Gegensatz zu Kaiser Karl V., Philipp II. von Spanien und Königin Elisabeth I. ließ sich August beispielsweise nie mit einem Globus abbilden, obwohl er etliche Exemplare besaß. Chassagnette führt dies auf seinen Realitätssinn und den lutherischen Glauben des sächsischen Kurfürsten zurück, die ihn dazu angehalten hätten, sich von solchen Universalansprüchen zu distanzieren. Angesichts seiner Leidenschaft für Geodäsie und Kartografie erstaunt jedoch die quellenbasierte Evidenz, dass eine persönliche Auseinandersetzung mit den Aussagen der Dokumente, Zeichnungen und Formen, mit den Paratexten und Ausstellungsmodalitäten nicht stattgefunden hat.
Chassagnette gelingt es, die vielfältigen Ergebnisse hervorragend einzuordnen, auch wenn die Aufbereitung für ein breites Publikum etwa angesichts der langen, sich über mehrere Seiten erstreckenden Absätze nicht in ihrem Fokus steht. Ihre beachtliche Leistung liegt darin, die in der deutschsprachigen Literatur längst erwähnten Vorgänge und Handlungen am sächsischen Hof aufgegriffen und anhand detaillierter Quellenstudien nachhaltig vertieft zu haben. In den zurückhaltenden Fußnoten am Ende des Bandes werden die Vorarbeiten nicht immer deutlich, aber das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis bringt diese Grundlagen gut zur Geltung. Der kartonierte, einfach gebundene und erfreulich günstige Band wird der Komplexität des Stoffes gerecht und präsentiert wertvolle Forschungen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Ingrid Baumgärtner, Rezension von/compte rendu de: Axelle Chassagnette, Le prince qui aimait les cartes. Appréhension et représentation des territoires sous Auguste Ier de Saxe (1553–1586), Strasbourg (Presses universitaires de Strasbourg) 2024, 358 p., 35 ill., ISBN 979-10-344-0224-3, EUR 26,00., in: Francia-Recensio 2025/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.4.114141





