Kelly Minelli widmet sich in ihrer Studie zentralen, bislang erstaunlich selten in dieser Breite angelegten Fragen: Wie werden Bilder von Helden und Heldentum in einer longue durée durch Prozesse der Selbstthematisierung von Angehörigen des deutschen und französischen Militärs konstruiert, wie wandeln sie sich vom Siebenjährigen Krieg über die Periode der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege bis ins späte 19. Jahrhundert und wie prägen sie die jeweiligen Erinnerungskulturen? Minelli verfolgt die kulturell-ideologischen Prozesse dieser Konstruktionen anhand eines beeindruckenden Quellenkorpus deutsch- und französischsprachiger Militärtagebücher, Memoiren und Briefe und erprobt damit eine kulturhistorisch orientierte Lektüre von »Heldenmut« jenseits klassischer Militärgeschichte.
Die Autorin zeigt überzeugend, dass Heroismen nicht als statische Charaktereigenschaften, sondern als diskursive Figuren zu begreifen sind. Sie entstehen im Spannungsfeld zwischen Selbstwahrnehmung, öffentlicher Erwartung und politischem Deutungshorizont. Die Kultur der Empfindsamkeit, die Ideale der Aufklärung und militärtechnische Entwicklungen wie die Levée en masse, die Öffnung der Offizierslaufbahn oder die Amalgamierung der Regimenter spielten dabei eine entscheidende Rolle.
Insbesondere im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert wurde die Darstellung des militärischen Heldentums zu einem zentralen Bestandteil der Selbstvergewisserung: heroische Leitbilder reflektierten ideologische Norm- und Wertesysteme und dienten Offizieren wie Soldaten als Orientierung. Gleichzeitig wurden sie in den überlieferten Selbstzeugnissen selbst wiederum zu heroischen Idealen, über die in einem Spannungsfeld zwischen pejorativer Subjektposition und Erfahrungen der Gewalt Identität hergestellt und gesichert wurde.
Minelli liefert damit auch eine Analyse, die die konstante Wechselwirkung von Fremd- und Selbstthematisierung reflektiert, die selbst das »widerständigste Subjekt« zu einem Mitproduzenten hegemonialer Ideale und dominanter Erinnerungskulturen werden lässt. Militärangehörige waren Teil der Konstruktionsprozesse des Heroischen, die ihnen eine aktive Rolle aufzwangen: sie verinnerlichten die bereitgestellte Identifikation und reproduzierten die daraus generierten Subjektpositionen. Dieser Dynamik konnten sie sich oft erst retrospektiv in Memoiren entziehen, die in einem veränderten politischen, emotionalen und sozio-kulturellen Umfeld entstanden.
Minelli zeichnet minutiös nach, wie sich ein zunehmend »bürgerlich« verstandener Heroismus herausbildete. Tapferkeit und Opferbereitschaft erscheinen nicht mehr als ständisch kodierte Tugenden, sondern als moralische Selbstpflicht eines Subjekts, das seinen Wert aus aufopferndem Patriotismus, Pathos der Selbstüberwindung und Selbstdisziplin bezieht. Minelli beschreibt präzise, wie diese Verflechtung ein heroisches Ethos generiert, welches zwischen säkularer Opfersemantik und nationaler Sinnstiftung oszilliert.
Minellis interdisziplinäre Methode überzeugt. Sie liest Ego-Dokumente als performative Texte, in denen Individuen von sich selbst als Teil größerer Sinnzusammenhänge erzählen. Damit schließt sie an neuere kultur- und emotionsgeschichtliche Ansätze an, die militärische Erfahrung als kulturell codiertes, affektives Phänomen begreifen. Besonders stark sind jene Passagen, in denen sie die Sprache des Heroischen mit semantischen Feldern wie Ehre, Schmerz, Angst, Tränen oder Begehren verknüpft und damit zeigt, wie eng Emotionalität und Männlichkeitsvorstellungen in den Selbst- wie auch Fremdbeschreibungen der Soldaten und Offiziere verflochten waren.
Besonders eindrücklich und differenziert gelingt diese Darstellung im deutschen Teil der Studie, etwas weniger überzeugend ist der französische Teil, insbesondere dort, wo Minelli den Ersten Koalitionskrieg auf das Jahr II (1793–1794) verengt und militärische Selbst- und Fremdthematisierungen unter der Prämisse einer moralisch-ideologisch motivierten Gewalt der jakobinisch dominierten Regierung deutet. Diese Leseart knüpft an ältere historiographische Narrative an, welche eine situativ motivierte Reaktionspolitik in einer existenziellen Bedrohungslage als politisch institutionalisiertes System der sogenannten »Terreur« deuten. In der neueren Revolutionsforschung gilt dies weitgehend als überholt: Die Ausnahmepolitik des Jahres II mit ihrem Bündel heterogener Maßnahmen wurde erst retrospektiv durch die nachfolgende bürgerlich-revisionistische Regierung hors contexte zur »Terreur« als imaginierte, kohärente und institutionell verankerte Regierungsform umgedeutet, um die neue politische Ordnung zu legitimieren.1
Diese Lesart verfehlt den komplexen Kontext des revolutionären Verteidigungskriegs inmitten innerer Bürgerkriegs- und Belagerungslogiken, indem die ideologische Motivationskampagne als Ursache statt als Reaktion auf die realpolitische Situation erscheint. Indem Minelli von einer »Gesinnung« von Regierung und Militärangehörigen ausgeht, die Gewalt im Namen der Revolutionsideale rechtfertigten, werden Ursache und Wirkung vertauscht und ein komplexes Phänomen moralisch überformt. Erschwerend für das Verständnis kommt die fehlende Unterscheidung zwischen Selbstzeugnissen regulärer Linientruppen ab 1791 und jenen der Armées révolutionnaires (1793–1794), hinzu, die sich in Funktion, Entstehungskontext, Zusammensetzung und revolutionärem Selbstverständnis deutlich unterschieden.2
Insgesamt leidet der französische Revolutionsteil, wie auch ein Blick in das Literaturverzeichnis zeigt, unter einer schwachen Verankerung in der Revolutionshistoriographie – ein bedauerlicher Kontrast zum methodisch und historiographisch überzeugenden deutschen Abschnitt.
Trotz dieser Defizite ist der transnationale Zugriff bemerkenswert: Indem Minelli deutsche und französische Perspektiven parallel liest, macht sie die zirkulierenden Muster von Feindbild, Nation und Heroismus sichtbar und verdeutlicht, dass Heldentum kein statisches Ideal, sondern eine narrative Praxis ist, in der sich Gesellschaften ihrer Werte, Ängste und Brüche vergewissern.
Darüber hinaus ist die Arbeit ein methodisch reflektierter, materialreicher Beitrag zur vergleichenden Militär- und Kulturgeschichte. Minelli gelingt es, das Selbstzeugnis als Ort kultureller Sinnstiftung ernst zu nehmen, ohne es in Diskurstheorie aufzulösen. Ihre dichte Textarbeit, die sensible Beobachtung der emotionalen Register und das Bestreben, historische Erfahrung als Prozess der Selbstdeutung zu begreifen, verleihen der Studie Gewicht.
Insgesamt legt Kelly Minelli eine ambitionierte und quellengesättigte Studie vor, die heroische Selbstbilder und deren langfristigen Wandel als kulturelle und sozio-politische Praktiken der wechselseitigen Sinnstiftung zwischen Individuum und jeweiliger normativer Gestimmtheit der untersuchten Kommunikationsgemeinschaft überzeugend analysiert und daraus eine »Demokratisierung des Heroischen« auf pluralen Ebenen ableitet. Trotz der konzeptionellen und historiographischen Schwächen im französischen Revolutionsteil überzeugt das Werk durch methodische Klarheit, analytische Schärfe und die Fülle seines Materials. Es ist ein wichtiger, wenn auch nicht abschließender Beitrag zur Geschichte militärischer Heroismen im 18. und 19. Jahrhundert.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Claude Luthiger, Rezension von/compte rendu de: Kelly Minelli, »Wo alle Herzen heldenmüthig schlugen«. Heroische Leitbilder in deutschen und französischen Militärselbstzeugnissen des Siebenjährigen Krieges, der Kriege der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege, Baden-Baden (Ergon) 2024, 525 S. (Helden – Heroisierungen – Heroismen, 22), ISBN 978-3-98740-112-1, EUR 129,00., in: Francia-Recensio 2025/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.4.114147





