Aus dem ehemaligen Grenzraum von Regnum und Imperium ist ein reicher Schatz serieller Quellen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit tradiert. Mit vorliegendem Band zu den frühesten erhaltenen Jahrgängen (ca. 1318–1370) der Rechnungsbücher der Probstei Longwy, die fast im gesamten Untersuchungszeitraum ein Verwaltungs- und Gerichtsbezirk im Norden des Barrois non mouvant war und von 1368 bis 1378 dem Herzogtum Luxemburg angehörte, macht sich Adrien Aitanti daran, einen Teil dieses Schatzes zu bergen. Sein Erkenntnisinteresse geht dabei über die Beschäftigung mit den buchhalterischen Inhalten der zwölf Manuskriptbände (Zeiträume: 1318, 1335/1336, 1343–1352, 1354–1358, 1360–1369) weit hinaus und zielt darauf, die Modi der Registerführung und -prüfung offenzulegen. Damit leistet er wichtige Grundlagenarbeit für die nur wenig erforschte Verwaltungs- und Institutionengeschichte der Grafschaft und des Herzogtums Bar im 14. Jahrhundert.
Der Band ist dreigeteilt und fokussiert erstens die Rechnungsbücher in ihrer materiellen wie textlichen Überlieferungsform, zweitens das Personal der Probstei als deren Urheber und drittens die Prüfung ihrer Bilanzen durch die fürstliche Rechnungskammer. Auch das an die Einleitung (7–15) anschließende Quellen- und Literaturverzeichnis (17–40) besitzt Kapitelcharakter, da es das Potenzial der konsultierten Quellen im vorliegenden Untersuchungskontext mittels Anmerkungsapparat diskutiert.
Anliegen des ersten Kapitels (43–165) ist, die Rechnungsbücher der Probstei Longwy in ihrer Gesamtheit auszuwerten, sodass im Vorfeld der inhaltlichen Analyse auch ihre physischen und kodikologischen Eigenschaften maßgeblich Berücksichtigung finden. Die zuerst noch auf Pergament, ab Mitte des 14. Jahrhunderts auf Papier erstellten Manuskripte wurden, wie der Verfasser schlüssig herausarbeitet, für den Gebrauch geschaffen: Die Maße der Folia, die Textgliederung und die gute Lesbarkeit zielten allesamt auf eine praktische Verwendung ab. Dies war nicht nur innerhalb der Probsteiverwaltung wichtig, sondern auch für die Vorlage in der fürstlichen Rechnungskammer als finaler Kontrollinstanz. Detailliert rekonstruiert der Verfasser die Genese der Register von der Auswahl des Beschreibstoffs über die Strukturierung und Nummerierung der Blätter und das Seitenformat bis hin zu redaktionellen Praktiken der Schreiber. Im Zuge der paläographischen Auswertung gelingt die Identifikation von zehn Schreiberhänden, die sich (mit Überschneidung beider Kategorien) fünf Haupt- und sieben Nebenschreibern zuordnen lassen; darunter neben den Pröbsten von Longwy auch die dortigen Cellerare, vereidigte Schreiber (clercs jurés) und ihnen unterstelltes Verwaltungspersonal. Paläographisch wie inhaltlich spiegeln die Register, deren Zweck in der Dokumentation von Empfängen und Ausgängen in Form von Geld und Naturalien lag, die Abläufe der Probsteiverwaltung und ihre immer differenzierteren und komplexeren Aufgaben und deren Verteilung wider. Ihre Gestaltung könnte dabei, laut Verfasser, sowohl von der Rechnungsgestaltung im Regnum als auch von den buchhalterischen Praktiken regional ansässiger Lombarden inspiriert worden sein. Die Bezifferung der registrierten Güter und Werte erfolgte in Rechnungswährung, wobei bei Umrechnungen zuerst regionaltypisch der Grand Tournois als Leitwährung diente, ab 1357 dann weiterhin in Orientierung am französischen Währungssystem der Ecu d’Or Johanns des Guten. Der erste Teil schließt mit Erläuterungen zu Gewichts- und Hohlmaßen sowie zur (Fach)Sprache der Registerführung.
Das zweite Kapitel (167–255) ist das Resultat umfangreicher prosopographischer Recherchen zum Probsteipersonal, von dem aus den Registern und weiteren Quellen vor allem die Pröbste und Cellerare namentlich bekannt sind und im regionalen Sozialgefüge verortet werden können. Es arbeitet die tragende Rolle der Pröbste, deren Amt bisweilen familienintern weitergegeben wurde und phasenweise (1348–1360) erkauft werden musste, innerhalb des Herrschafts- und Verwaltungssystems heraus und kann zumindest die Amtsinhaber von Longwy als dem lokalen Niederadel zugehörig identifizieren. Sie versahen vielfältige Aufgaben, waren schriftkundig, administrativ gebildet, entsprechend ihres Standes kampftüchtig und im Kriegsfall zum Führen von Vasallen bemächtigt. Ihre Tätigkeit geschah nicht auf sich gestellt, sondern innerhalb eines administrativen Apparats, in dessen Hierarchie ihnen die ebenfalls adligen und je nach Personalie gar auf Augenhöhe agierenden Cellerare folgten. Die clercs jurés, die in Longwy mit einer Ausnahme keine Kleriker waren und deren Ernennung sich wohl nach administrativer und ökonomischer Befähigung richtete, sowie die untergeordneten Verwaltungsangestellten, etwa Sergeanten, Wachen und weitere Schreiber, sind hingegen kaum in den Quellen greifbar.
Das dritte Kapitel (257–366) nimmt die Bilanzen der Rechnungsbücher mithilfe tabellarischer Aufbereitung in den Blick; das heißt zum einen die darin angeführten Rechnungsposten und Jahresabschlüsse, zum anderen die Modi ihrer Kontrolle innerhalb der Probstei sowie durch die fürstliche Rechnungskammer. Zuletzt erfolgt, wiederum durch Auswertung des paläographischen Befundes sowie der Annotationspraxis, eine Rekonstruktion der Rechnungsprüfung der fürstlichen Verwaltung in ihren methodischen und zeitlichen Abläufen. Auf ein Fazit folgen ein Verzeichnis der 99 (!) Abbildungen, vier genealogischen Darstellungen und 29 Tabellen, die das Verständnis der geschilderten Manuskriptspezifika allesamt unterstützen und weit über einen illustrativen Zweck hinausgehen, sowie ein Index der Orts- und Personennamen.
Gelungen und angenehm lesbar verbindet Adrien Aitanti minutiös ausgeführte Grundlagenforschung mit der Beantwortung weiterführender Fragestellungen. So entsteht ein erkenntnisreiches Wechselspiel zwischen materieller und textlicher Quellenanalyse einerseits und der Rekonstruktion von Dokumentations- und Rezeptionspraktiken andererseits. Etwas bedauerlich ist deshalb, dass gerade angesichts der Grenzlage des spätmittelalterlichen Longwy, dessen Probsteiwesen etwa klare Parallelen zu jenem des benachbarten Luxemburg aufwies, quasi keine Verortung über die frankophone Forschungslandschaft hinaus stattfindet. Gerade im Bereich der Erforschung von Rechnungsbüchern und anderen seriellen Quellen hätten sich dadurch wertvolle Impulse des Vergleichs, aber auch der Abgrenzung ergeben können.
Jenseits dieses Monitums ist vorliegender Band das Ergebnis umfassender lokaler Quellenkenntnis und profunder grundwissenschaftlicher Befähigung. Er liefert wertvolle Erkenntnisse für die Verwaltungsgeschichte des spätmittelalterlichen Barrois, dessen fürstliche Rechnungskammer – wie der Verfasser betont – weiterhin einer vergleichbaren Auswertung harrt. So sei sein Buch im besten Sinne als Werbung für Methoden und Quellen verstanden, die zwar häufig verwendet, aber selten ins Zentrum einer Studie gestellt werden; also auch für eine intensivere Beschäftigung mit der bislang zu wenig erforschten Institutionengeschichte der »Pays de l’entre deux«.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Hanna Schäfer, Rezension von/compte rendu de: Adrien Aitanti, Les comptes de la prévôté barroise de Longwy (vers 1318–1370). Aspects de la construction et de l’organisation administrative du comté-duché de Bar au XIVe siècle à travers sa documentation comptable, Turnhout (Brepols) 2025 (Atelier de recherche sur les textes médiévaux, 34), 397 p., 92 ill. en n/b, 7 ill. en coul., 33 tab. en n/b, ISBN 978-2-503-61166-2, doi 10.1484/M.ARTEM-EB.5.137612, EUR 115,00., in: Francia-Recensio 2025/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.4.114265





