Die mediävistische Ritterordensforschung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stärker dem umfangreichen Netzwerk der Priorate und Komtureien im Westen zugewandt, ohne das die Aktivitäten der Orden im Osten kaum möglich gewesen wären. Diese Entwicklung folgt einer allgemeinen Tendenz der Kreuzzugsforschung, die Kreuzzüge stärker in den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontext des lateinischen Westens einzubetten, anstatt sich ausschließlich auf die Militärexpeditionen nach Osten zu konzentrieren. An dieses Unterfangen knüpft auch Damien Carraz mit der vorliegenden Aufsatzsammlung an. Der Band vereint insgesamt zwölf regionalgeschichtliche Studien des Verfassers zu Templern und Johannitern, die ursprünglich zwischen 2005 und 2021 erschienen sind. Im Mittelpunkt stehen die Provence und das Languedoc zwischen den Anfängen der Orden im 12. Jahrhundert und dem Verlust ihrer Besitzungen im Osten an der Wende zum 14. Jahrhundert. Für die Neupublikation wurden sämtliche Aufsätze überarbeitet, um aktuelle Literatur ergänzt und durch inhaltliche Querverweise miteinander verbunden. Carraz gliedert seine Untersuchungen in drei große Themenbereiche: »Encadrement social«, »Cultures écrites« und »Croisades«.
Die ersten vier Aufsätze untersuchen die Verankerung der beiden Ritterorden in der Gesellschaft des Midi (27–114). Zunächst analysiert Carraz die Position der Templer und Johanniter als neutrale Kräfte und Mediatoren in lokalen Auseinandersetzungen, wobei die Ordensbrüder laut dem Verfasser vor allem ihre Herkunft aus dem Adel und ihre Nähe zur Kirchenreform nutzen konnten. Anschließend behandelt er die Autorität der Orden über sakrale Räume wie Kirchen und Friedhöfe. Im Zentrum stehen hier die Konflikte zwischen Ordenskomtureien und Bischöfen, sodass es kaum verwundert, wenn Carraz im Ergebnis die Agonalität betont. Der folgende Aufsatz untersucht die Rechtsprechung der Templer und Johanniter in den Komtureien anhand von Quellen aus Manosque sowie aus Montfrin und Lansac im unteren Rhônetal. Dabei analysiert er auch das Personal dieser Gerichte, das entgegen landläufiger Forschungsmeinung durchaus aus gelehrten Rechtsexperten bestand. Schließlich befasst sich Carraz mit der Position von Frauen in den Komtureien der Orden aus einer sozialgeschichtlichen Perspektive, die möglicherweise noch stärker von intersektionalen Überlegungen profitieren könnte.
Es folgen vier weitere Aufsätze, die sich mit der Schriftkultur und den Aufzeichnungspraktiken der Templer und Johanniter befassen (117–221). Zunächst behandelt Carraz die pragmatische Schriftlichkeit und gibt einen Überblick über die Quellengattungen und Überlieferungslage für beide Orden in der Provence. Im Anschluss thematisiert er die Privaturkundenüberlieferung in den regionalen Archiven der Templer und profiliert sie als bislang wenig genutzten Zugang zu den größtenteils nicht erhaltenen Aufzeichnungen lokaler Adelsfamilien. Ein weiterer Aufsatz widmet sich den Bibliotheken der Ritterorden und untersucht deren Zusammensetzung, Nutzung und Materialität. Schließlich betrachtet Carraz die Kommunikation durch Siegel bei den provenzalischen Johannitern vor dem Hintergrund der seigneurialen Herrschaft des Ordens.
Die vier Aufsätze im letzten Teil des Bandes ordnen die regionalen Aktivitäten der Ritterorden in den größeren Zusammenhang der Kreuzzüge ein (225–310). Der erste Beitrag behandelt die Kreuzzüge und Ritterorden in der okzitanischen Troubadourdichtung des 13. Jahrhunderts. Carraz betont die gemeinsamen Wurzeln von Ordensbrüdern und Troubadouren im lokalen Adel und führt die Kritik an den Orden in der Dichtung vor allem auf die allgegenwärtigen antiklerikalen Tendenzen in der Region zurück. Im Anschluss beleuchtet er die Flottenpolitik der beiden Orden und konstatiert unter Einbeziehung archäologischer Evidenz eine Hinwendung zur See, welche die Forschung auch im Hinblick auf die Zentralkonvente beider Orden hervorgehoben hat. Danach folgt eine prosopographische Analyse der Ordenskarrieren einzelner Templer aus der Provence, die auch deren Aufenthalte im Osten berücksichtigt. Der letzte Aufsatz befasst sich mit der Beteiligung der Johanniter aus dem prominenten Priorat Saint-Gilles an den Bemühungen des Ordens zur Unterstützung und Verteidigung des Heiligen Landes in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Im Vordergrund steht dabei nicht allein der wirtschaftliche Beistand, sondern auch die Beteiligung der Brüder an den lateineuropäischen Kreuzzugsplanungen, etwa auf dem Zweiten Konzil von Lyon (1274).
Insgesamt gelingt es Carraz in der vorliegenden Aufsatzsammlung, anhand der präzisen Erschließung lokaler Ordensüberlieferung die soziokulturelle Verankerung der Templer und Johanniter in Provence und Languedoc überzeugend nachzuzeichnen. Darüber hinaus rekonstruiert der Verfasser ihre Einbindung in überregionale Strukturen und Beziehungsgeflechte. Die beiden Ritterorden mit ihren mediterranen Aktivitäten und weitreichenden Netzwerken erscheinen dabei als produktive Schnittstellen zwischen lokalen und transregionalen Kontexten. Der Band gewinnt zusätzlich an Geschlossenheit, da die einzelnen Aufsätze durch direkte inhaltliche Verweise miteinander verknüpft sind und so durchaus einen Buchcharakter entfalten.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Gion Wallmeyer, Rezension von/compte rendu de: Damien Carraz, Templiers et Hospitaliers en France méridionale (1100–1300), Lyon (CIHAM-Éditions) 2024, VI–390 p. (Collection Mondes médiévaux, 12), ISBN 978-2-9585-8091-9, EUR 39,00., in: Francia-Recensio 2025/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.4.114269





