2021/2022 waren anlässlich des 25-jährigen Erscheinens der erfolgreichen Biographie Ludwigs des Heiligen von Jacques Le Goff Forscherinnen und Forscher zusammengekommen, die sich – zum Teil seit Jahrzehnten – unter den verschiedensten Blickwinkeln mit Ludwig IX. dem Heiligen und der Geschichte des französischen Königreichs im Hoch- und Spätmittelalter befassen. Der in der Reihe Histoire der PU Rennes erschienene Band Saint Louis après Jacques Le Goff versammelt nun in drei Abschnitten (»Après le Saint Louis. Impact et angles morts de la somme de Jacques Le Goff«; »Après Jacques Le Goff, nouvelles approches de Saint Louis«; »Après Jacques Le Goff, nouveaux regards sur le gouvernement de Louis IX«) und fünfzehn Beiträgen die Ergebnisse dieser Konferenz sowie weiterer Überlegungen und nimmt damit die Dreiteilung des 1996 erschienenen Le Goff’schen Werkes lose auf, so wie auch er einer »ambition à la fois historique et historiographique« (19) folgt. In der Einleitung wird daran erinnert, dass das Erscheinen der Biographie ein der doppelten Berühmtheit von Gegenstand und Autor geschuldetes »Ereignis« war, das sich vor allem auch in den Verkaufszahlen zeigte. Vor allem aber war das Buch ein Meilenstein historiographischer Prosa und prägte eine neue geschichtswissenschaftliche Herangehensweise an biographisches Schreiben. Ein historiographiegeschichtlicher Überblick macht deutlich, wie sehr sich Le Goff von den bis dahin üblichen Themen und Strukturen der Ludwigsbiographien gelöst hatte, insbesondere in der »inversion forte, inédite, entre le religieux et le politique« (18). Gerade auf Letzteres konzentriert sich nun der vorliegende Band und bemüht sich zugleich in methodischer Hinsicht um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Saint Louis Jacques Le Goffs sowie eine über die Frankreichzentrierung hinausgehende Erweiterung auf der Basis neuerer Forschung – vor allem aus Frankreich und den USA – seit den 2010er-Jahren. Dabei ist man sich bewusst, dass »le volume ne présente que l’un des parcours possibles« (24).

Auf eine kurze Einführung folgend werden im ersten Teil die Wirkungen der Biographie von 1996 und ihre »toten Winkel« in den Blick genommen: Zunächst beschreiben Pierre Monnet und Jean-Claude Schmitt die Rezeption des Werkes (mit einem Schwerpunkt auf Frankreich und Deutschland) und den Einfluss, den Le Goffs Buch auf die Historiographie bzw. das biographische Genre hatte (31‑52). Marie Dejoux analysiert den Einfluss des Buches auf die Forschung zu Ludwig IX. im Vierteljahrhundert nach Erscheinen des Saint Louis mit quantitativen Methoden (53‑70). Im darauffolgenden Text diskutiert sie gemeinsam mit Gaël Chenard Le Goffs fehlendes Interesse an Quellen aus Herrschafts- und Verwaltungskontexten (Urkunden, Rechnungsbücher etc.), die er gegenüber narrativen Quellen aus methodischen wie praktischen Gründen benachteiligte, obwohl er selbst sie als »Königsweg« bezeichnet hatte (71‑86, Zitat 71). Die beiden zeigen unter anderem am Beispiel der Olim-Register auf, wie das, was Le Goff als »documents officiels« bezeichnete, unter dem Stichwort einer »neuen Diplomatik« zunehmend zu einem eigenen, aussagekräftigen Forschungsfeld wurde. Der erste Teil des Bandes wird mit dem Beitrag von Cecilia Gaposchkin beschlossen (87‑99), der sich einem weiteren wichtigen Feld zuwendet, zu dem in den letzten Jahren ausführlich geforscht wurde, das Le Goff aber eher gemieden hat: dem Kult des heiligen Ludwig und seinem Nachleben bis weit in die Frühe Neuzeit. Gaposchkin zeichnet im Lichte der Neuerscheinungen seit 1996 – darunter ihre eigenen exzellenten Arbeiten sowie von ihr besorgte Editionen und Übersetzungen – den Weg von der Kanonisation Ludwigs zur Konstruktion und Etablierung des Kultes bis in das 17. Jahrhundert nach.

Der zweite Teil des Bandes ist neuen Zugängen gewidmet, die in den Jahren nach dem Erscheinen der Biographie an Bedeutung gewonnen haben – zum einen sind es die Personen im Umkreis des Königs und die Dynamiken innerhalb der königlichen Familie, die verstärkt in den Blick geraten sind (zur Mutter, Blanche de Castille, Lindy Grant, 105–117, zum Bruder, Alphonse de Poitiers, Gaël Chenard, 119–130, und zur Schwester, Isabelle de France, Jacques Dalarun und Sean L. Field, 131–144), zum anderen seine Frömmigkeit und last but not least seine Eigenschaften als Stratege und Feldherr (Xavier Hélary, 159–180). Auf Basis der enquêtes zur Restituierung von male ablata, nähert sich Marie Dejoux (145–158) den theologischen und frömmigkeitspraktischen Aspekten dieser Rückgabeprinzipien »en cours de codification« (150) als einem bedeutenden Teil der Frömmigkeit Ludwigs, den Le Goff außer Acht gelassen hatte und der gleichermaßen prägend für seine Herrschaftsausübung wie für sein persönliches Heil war.

Im dritten und letzten Teil werden – wiederum jenseits der von Le Goff bevorzugten narrativen Quellen – Neubewertungen des gouvernement Ludwigs geboten, die zunächst Fragen des Rechts (zur Cour du roi und der Entwicklung des Parlement Pierre‑Anne Forcadet, 185‑198, zum Strafrecht Liêm Tuttle, 199‑213) und der Friedenssicherung (zu den Maßnahmen Vincent Martin, 215‑237, zum Frieden von Paris Amicie Pélissié du Rausas, 239‑255) analysieren. Die letzten beiden Aufsätze beschäftigen sich mit der Religionspolitik Ludwigs. Rowan Dorin ordnet die Chronologie und Erzählung von der (drohenden) Ausweisung der jüdischen Bevölkerung in Frankreich neu ein und unterzieht zu diesem Zweck die ordonnances und die Chroniken des Matthaeus Parisiensis einer Relektüre (257‑278). Er kommt zu dem Ergebnis, dass Ludwig zwar in den frühen Jahren seiner Regierung im Kontext der moralischen Reformbemühungen deklarierte, dass nur Juden in seinem Land bleiben könnten, die von der Praxis des Wuchers Abstand nahmen, und dass diese Androhung der Vertreibung um 1252 verstärkt wurde, aber nach 1256 nie wiederholt worden sei. Gleichwohl kam es zu Auswanderung und Vertreibung. Ludwig habe zudem wohl Konversion, nicht aber die Vertreibung der gesamten jüdischen Bevölkerung zum Ziel gehabt. William Chester Jordan schließlich analysiert ein weiteres Projekt Ludwigs, die Ansiedlung von Konvertiten aus dem Islam in Frankreich sowie die Gründe für die lange Vernachlässigung des Themas durch die Forschung (279‑290).

Ein kurzes Fazit beschließt den Band, den eine umfangreiche Bibliographie, Biographien der Autorinnen und Autoren sowie zwei Indices (Orte und Personen) abrunden.

Es ist ein Band für Spezialistinnen und Spezialisten, ja, aber einer, der auch jenen einen interessanten Einstieg in das weite Feld der Frankreich- bzw. Ludwigforschung bietet, die weder »den Saint Louis von Le Goff« kennen noch sich jahrelang mit Frankreich im 13. Jahrhundert beschäftigt haben. Die Rezensentin kann die Lektüre der durchweg lesenswerten Texte also nur empfehlen – eine Lektüreempfehlung auch mit Blick auf die universitäre Lehre, die von den gebotenen historiographischen und methodischen tours d’horizon sehr profitieren kann.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Anja Rathmann-Lutz, Rezension von/compte rendu de: Marie Dejoux (dir.), Saint Louis après Jacques Le Goff. Nouveaux regards sur le roi et son gouvernement, Rennes (Presses universitaires de Rennes) 2025, 342 p. (Histoire), ISBN 978-2-7535-9676-4, DOI 10.4000/13rtm, EUR 26,00., in: Francia-Recensio 2025/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.4.114273