Der hier anzuzeigende Band wurde federführend von Frédéric Duval verfasst, einzelne Kapitel stammen von Hélène Biu, Viola Mariotti und Graziella Pastore. Das Buch beschäftigt sich mit einem für die Rezeption des sog. Corpus iuris civilis bedeutenden Gegenstand: den Übersetzungen der justinianischen Rechtssammlungen, hier ins Französische. Übersetzungen sind lebendige Zeugnisse für eine intensive Auseinandersetzung mit den juristischen Inhalten sowie mit der Ausgangs- und Zielsprache. Sie sind darüber hinaus ein Spiegel der Gesellschaft, in denen sie entstanden sind. Wie direkt in der Einleitung festgehalten wird, existieren gleich mehrere Übersetzungen der unterschiedlichen justinianischen Werke, deren Verfasser, Auftraggeber oder Adressaten allerdings unbekannt sind und die größtenteils bisher nicht ediert wurden (12–13). In diesem Zusammenhang wird auf die Datenbank Miroir des classiques verwiesen, die Teileditionen der Texte bietet (https://elec.chartes.psl.eu/miroir/), auf die sich auch die Studie selbst stützt.
Das Buch ist in zwei Teile geteilt: Der erste (19–262) behandelt die einzelnen Texte samt der jeweiligen Übersetzungen, der zweite Teil (263–396) ist eine zusammenfassende Studie, in der die verschiedenen Übersetzungen und ihre Überlieferung in einen größeren Kontext eingeordnet werden. Behandelt werden folgende Texte, die der üblichen Einteilung des sog. Corpus iuris civilis im (hohen und späten) Mittelalter folgen: das Digestum vetus, das Infortiatum, das Digestum novum, der Codex, die Institutionen, die Tres libri und das Authenticum. Hinzu kommen noch die Übersetzungen der Summa super Codicem des Azo und dessen Summa Institutionum sowie als speziellerer Fall der sog. Codi, »une traduction en langue d’oïl du Codi occitan« (248). Jedes Kapitel wird mit allgemeinen Informationen zum übersetzten Text eingeleitet, wobei für den Geschmack des Rezensenten teilweise zu wenig einführende Literatur angegeben wird. Die einzelnen Übersetzungen werden immer nach einem ähnlichen Schema behandelt, wobei auf Datierung, Kontext, Sprache und Übersetzungstechnik sowie textkritische und überlieferungsgeschichtliche Aspekte eingegangen wird. Die Informationen im ersten Teil der Studie sind sehr reichhaltig und detailreich und vermitteln ein umfassendes Bild von den einzelnen Übersetzungen. Positiv hervorzuheben sind die Ausführungen zur Überlieferung und zum Verhältnis der Überlieferungszeugen untereinander, das auch stemmatisch angezeigt wird (z. B. 150, 211, 228), sofern die Übersetzung nicht nur unikal überliefert ist.
Im zweiten Teil werden die Ergebnisse des ersten Teils unter systematischeren Gesichtspunkten analysiert und die Grundzüge eines »mouvement de traduction juridique« (263) nachgezeichnet. Die betrachteten Übersetzungen sind vor allem im Zeitraum zwischen den 1240er- und 1270er-Jahren entstanden (allerdings müssen hier Datierungsunsicherheiten mit einkalkuliert werden), wobei der Zeitraum von 1245 bis 1260 als Hochzeit der Übersetzungstätigkeit bestimmt werden kann. Genaue geographische Zuordnungen ergeben sich nicht, aber ein Schwerpunkt »à une aire géographique cohérente allant de la Normandie à la Touraine en passant par Paris, l’Anjou, l’Orléanais et le Maine« (267) ist zu beobachten. Auch wenn die Verfasser der Übersetzungen unbekannt sind, so kann man an ihren Werken ablesen, dass sie sich sehr gut mit dem römischen Recht auskannten und dazu noch sehr fähige Latinisten waren (264–269). Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch der Hinweis, dass die Übersetzungen des sog. Corpus iuris civilis in einer Zeit entstanden, als auch französische Übersetzungen wichtiger kirchenrechtlicher Texte (273–275) wie des Decretum Gratiani angefertigt wurden. Es schließen sich Ausführungen zur Übersetzungstechnik und zu linguistischen Sachverhalten an (285–330), ehe ein größeres Kapitel zum Gebrauch der Übersetzungen sowie zu ihrer Verbreitung und späteren Rezeption folgt (330–396). In diesem Kapitel stehen die Überlieferungsträger im Mittelpunkt, die vor allem zwischen der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts und dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts entstanden sind und mehrheitlich aus Paris und Orléans und deren Umland stammen (335–339), wo sie in einem standardisierten Verfahren hergestellt und verbreitet wurden (343–344). Fast 50% der Handschriften sind illuminiert (349). Diese Art des Buchschmucks sollte vor allem »s’elever au niveau de l’auctoritas textus« (369) und dem Text eine zusätzliche Struktur geben (368–371). Eine Rezeption der französischen Übersetzungen ist bis ins 17. Jahrhundert hinein zu beobachten (371–396), zuletzt durch die großen französischen Juristen und Gelehrten wie Cujas, Pithou oder Petau.
Das Buch wird durch einen umfangreichen Anhang beschlossen. Anhang 1 (399–400) bietet Prolog und Epilog der Versübersetzung der Institutionen. Anhang 2 (401–462) ist ein umfangreicher Katalog der erhaltenen Handschriften der Übersetzungen, der auch Deperdita und nicht identifizierte Übersetzungen enthält. Die Beschreibungen bieten einen guten Überblick über die handschriftliche Überlieferung (und sind in ausführlicherer Form in der Datenbank zu finden), kommen allerdings als Fließtext daher und entbehren somit nicht einer gewissen Unübersichtlichkeit. Es schließt sich das Abkürzungsverzeichnis an (463–464) und die Bibliographie (465–493). Der Index nominum (495–500) ist sicher nützlich, allerdings hätte man sich, da sehr oft auf die Textzeugen Bezug genommen wird, ein Handschriftenregister gewünscht. Zudem wäre ein Stellenregister sinnvoll gewesen, da man so einzelne Textstellen aus dem justinianischen Corpus hätte konkret nachschlagen können.
Insgesamt kann festgehalten werden: Das Buch sei jedem empfohlen, der sich mit den französischen Übersetzungen des sog. Corpus iuris civilis, deren handschriftlicher Überlieferung und Verbreitung, der Übersetzungstechnik und der Bedeutung der Übersetzungen im 13. und 14. Jahrhundert und darüber hinaus beschäftigen möchte. Vor allem zeigt die Studie eindrücklich den hohen Stellenwert von Übersetzungen für die Rezeption des römischen Rechts.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Dominik Trump, Rezension von/compte rendu de: Frédéric Duval, avec la collaboration d'Hélène Biu, Viola Mariotti et Graziella Pastore, Les traductions médiévales des compilations de Justinien, Paris (Académie des inscriptions et belles-lettres) 2024, 508 p., 16 ill. (Histoire littéraire de la France, 48), ISBN 978-2-87754-711-6, EUR 70,00., in: Francia-Recensio 2025/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.4.114277





