Wie jede Forschung so steht auch die Kreuzzugsforschung unter Innovationsdruck. Für Kreuzzugsforscherinnen und -forscher stellt dies eine besondere Herausforderung dar, gibt es doch wohl kein zweites mediävistisches Themenfeld, zu dem so viel geforscht und geschrieben wird – was neue Ergebnisse vorzulegen, umso schwieriger macht. Es bestehen im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, um dieser Herausforderung zu begegnen: Entweder können neue Quellen(gattungen) erschlossen oder neue Fragen (bzw. Methoden) an das bekannte Material herangetragen werden.
Alexander Marx hat in seiner hier anzuzeigenden Schrift vor allem ersteren Weg beschritten. Um ein neues Licht auf den Dritten Kreuzzug zu werfen, der durch die Schlacht von Hattin im Jahr 1187 sowie die Eroberung Jerusalems im selben Jahr durch Saladin ausgelöst wurde, zieht der Wiener Historiker bisher unberücksichtigtes Material heran, nämlich »preaching material«. Man mag sich an dieser Stelle fragen, wie der Forschung diese Quellengattung bisher entgehen konnte. Die Antwort hängt damit zusammen, dass es für das, was uns heute als Kreuzzug gilt, im 12. und auch noch zu Beginn des 13. Jahrhunderts noch keine einheitliche Terminologie gab, sondern vielmehr Begriffe wie Weg (via), Reise (iter) oder Pilgerfahrt (peregrinatio), meist in Kombination mit einer Richtungsangabe (in terram sanctam, ad sepulchrum Domini etc.), Verwendung fanden. Insofern können durchaus Texte, die bisher nicht zum Forschungskanon zählten, für die Forschung nutzbar gemacht werden – wenn es gelingt, diese mit dem Kreuzzugdiskurs in Verbindung zu bringen.
Um diese Verbindung herzustellen, bringt Marx die Denkfigur des »crusade potential« in die Diskussion ein, womit er den Identifikationsgrad eines Textes zum Kreuzzugsdiskurs bezeichnet (42). In der Tat gelingt es Marx mittels dieser Methodik – die auch die neuen digitalen Möglichkeiten der Quellensichtung nutzt –, neue Quellen für die Kreuzzugsforschung zu erschließen, die einen klaren Bezug zum Kreuzzugsdiskurs aufweisen und daher unser Wissen über das fragliche Phänomen erheblich erweitern, was eine beachtliche Leistung darstellt: etwa eine bisher unedierte Predigt von Prevostin von Cremona, in der nicht nur der Verlust des Grabes des Herrn in Jerusalem nostris peccatis exigentibus für die Christenheit beklagt wird, sondern auch der Umstand, dass nun Dämonen um das Grab tanzen würden (saltant demonia circa sepulchrum). Dies weist tatsächlich einen klaren Bezug zu den Ereignissen von 1187 auf, um hier nur eine Perle des neugewonnenen Quellenmaterials hervorzuheben (159).
Wenn Marx’ Studie auch unbestreitbar ein wichtiger Beitrag ist, so muss doch andererseits auch kritisch angemerkt werden, dass das »crusade potential« dem Rezensenten nicht immer so eindeutig erscheint wie dem Autor. Denn oftmals lässt sich die Frage gar nicht abschließend klären, welchen Schriftsinn ein Prediger aufrufen wollte, wenn er etwa von Jerusalem sprach. Meinte er damit die irdische Stadt, die Gemeinschaft der Heiligen im Himmel, die Kirche oder gar eine Mönchsgemeinschaft (womit auch oftmals uneindeutig bleibt, ob nun ein Bezug zum Kreuzzugsdiskurs besteht – oder eben nicht)? Wichtiger dürfte aber noch ein weiteres Caveat sein, nämlich dass einige Aspekte, die für den Kreuzzugsdiskurs der Zeit offensichtlich von großer Bedeutung waren – etwa Akkon –, in dem von Marx betrachteten Material keine Erwähnung finden, wie er selbst einleitend eingesteht: »The example of Acre is remarkable, likewise lost in 1187 and playing an important military role for the Third Crusade with its siege and conquest in July 1191. However, I have not found a single reference to it in the sermon texts, likely because it does not play any role in the landscape of salvation« (71–72).
Dieser Befund hinterlässt beim Rezensenten ein gewisses Unbehagen hinsichtlich Marx’ Studie, das noch durch andere strittige Thesen des Buchs verstärkt wird. Dazu zählt die Behauptung, dass die Scholastiker des späten 12. Jahrhunderts seltener Rekurs auf den Bibelkanon genommen hätten als etwa der Kreis um Petrus Cantor: »[…] scholasticism consisted of outstanding personalities such as Abelard, Gilbert of Poitiers, or Peter of Poitiers. Their oeuvre belonged to an intellectual discourse and is often devoted to speculative and philosophical matters, while paying increasingly less attention to the holy text. The reform movement, to which all of our nine preachers belonged, also consisted of important figures such as Peter the Chanter, Bernard of Clairvaux, or Stephen Langton. However, considering their oeuvre, one finds predominantly biblical commentaries, sermons collections, and works devoted to reform efforts […]« (113–114). Eine solche Aussage ist zumindest heikel. Ob sich in den Texten eines Abaelard oder der beiden Denker aus Poitiers wirklich weniger Similien ausfindig machen lassen als in den Schriften des Schülerkreises um Petrus Cantor (oder bei Bernhard von Clairvaux), muss doch stark bezweifelt werden. Vielmehr dürfte es sich um eine polemische Zuschreibung handeln, die hier unkritisch dupliziert wird, anstatt sie kritisch am empirischen Material zu überprüfen, was Marx aber nicht tut.
Etwas befremdlich wirkt auf den Rezensenten auch der Ausblick, in dem der Autor die Relevanz seiner Methodik für weitere Studien ausführt und dabei die Menge des bisher unbeachteten Predigtmaterials für die Kreuzzugsforschung hochrechnet, was zwangsläufig spekulativ bleiben muss – aber einen Eindruck von dem Enthusiasmus und Selbstbewusstsein vermittelt, mit dem die Arbeit offenbar geschrieben wurde: »Considering that we have around 140,000 sermon texts for the period between 1150 and 1350, and presupposing that the amount of crusade material is similar overall, we can surmise that the following numbers are still waiting in the archives: if c. 4 per cent of the 140,000 sermons betray a causal relationship with crusade mobilization, this makes around 5600 texts. If c. 7 per cent hold crusade potential, this makes around 9800 texts. And if c. 22 per cent contain crusade motifs, this makes the enormous number of c. 30,800 texts – whereas previous research has only tackled around 100 texts« (510).
Wenn der Rezensent zwar nicht immer die Meinung (bzw. den Enthusiasmus) des Autors teilen mag, so bleibt das Buch doch unbestreitbar eine Bereicherung für die Forschung, die nicht nur neues Material zutage fördert, sondern auch unser Wissen über die Veranlassung und Predigt des Dritten Kreuzzug erheblich erweitert.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Tim Weitzel, Rezension von/compte rendu de: Alexander Marx, The Preaching of the Third Crusade (1187–1192). The Early University of Paris, Biblical Exegesis, and the Coming Apocalypse, Leiden, Boston (Brill) 2025, XVI–597 p. (Commentaria, 16), ISBN 978-90-04-70752-8, DOI 10.1163/9789004715363, EUR 145,59., in: Francia-Recensio 2025/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.4.114286





