Der zu rezensierende Band widmet sich einem Forschungsfeld, dem seit einigen Jahren – vor allem in den Literaturwissenschaften – verstärkt Aufmerksamkeit zuteilwird: der mittelalterlichen »Frankophonie«, also der Nutzung der französischen Sprache außerhalb Frankreichs. Das Buch ist eine Festschrift zu Ehren Keith Busbys, der dieses Thema in den vergangenen Jahrzehnten wie kein anderer geprägt und als erster den Terminus »mittelalterliche Frankophonie« in die Forschung eingebracht hat. Ausgehend von den Forschungen Busbys, werden Aspekte der Verbreitung, Übersetzung und Rezeption französischer Texte, vornehmlich literarischer Natur, in verschiedenen europäischen Regionen wie den britischen Inseln, Skandinavien und den Niederlanden untersucht.

Die zwanzig Aufsätze des Bandes sind den drei Hauptabschnitten »French in Contact«, »French on the Move« und »French in Action« zugeordnet und werden von einem Vorwort durch Busbys Frau José Lanters, einer Einleitung der Herausgeberinnen und des Herausgebers und einem zusammenfassenden Nachwort durch Jane H. M. Taylor eingerahmt. Die Beiträge in der ersten Sektion konzentrieren sich auf die Art und Weise, wie Französisch mit anderen Sprachen in Kontakt trat. Die zweite Sektion beinhaltet entsprechend Studien zu den Resultaten dieser Sprachkontakte. »French in Action« schließlich enthält Kapitel, die reflektieren, wie diese Kontakte und ihre Ergebnisse Machtverhältnisse zwischen Sprachen und Regionen in Geschichte und Gesellschaft des Mittelalters widerspiegeln. Die Zuordnung der Beiträge zu diesen Abschnitten ist allerdings nicht immer nachvollziehbar und wirkt zuweilen willkürlich, was sicherlich auch am Festschriftcharakter des Bandes und der unterschiedlichen Ausrichtung der einzelnen Artikel liegt. Im Rahmen dieser Rezension ist es nicht möglich, auf die Ergebnisse aller Untersuchungen gesondert einzugehen. Vielmehr soll herausgearbeitet werden, inwiefern die Ansätze und Erkenntnisse für die mediävistische Geschichtswissenschaft von Interesse sind.

Dabei lassen sich verschiedene Themenbereiche ausmachen. Zunächst ist dies die nicht immer eindeutige Abgrenzung von Literatur und Geschichtsschreibung in mittelalterlichen Texten, die insbesondere im Beitrag von Benjamin Pohl und Leah Tether thematisiert wird. Er untersucht die Handschrift London, College of Arms, Arundel MS 14, die Chrétien de Troyes’ Perceval mit chronikalischen Texten zusammenführt. Anhand einer ausführlichen Analyse der materiellen und inhaltlichen Zusammensetzung der Handschrift entwickeln Pohl und Tether ein Untersuchungsraster für diese Art von Textkompilation und argumentieren dafür, dass es sich dabei nicht um zufällige Zusammenstellungen handelt, sondern um eine Form der Rezeption, die Artusromane als plausible historische Erzählungen zwischen Fakt und Fiktion wahrnahm. Aufgrund seines konzeptionellen Charakters, der über den konkreten Fall hinausweist, ist dieser Beitrag von großem Interesse für eine interdisziplinäre Mittelalterforschung.

Der soeben diskutierte Beitrag ist zugleich ein Beispiel für ein weiteres Themenfeld, das in diesem Band vielfach angesprochen wird: die Überarbeitung und Anpassung literarischer Texte an neue Rezeptionskontexte. Mehrere Beiträge thematisieren dies am Beispiel Nordeuropas. Dabei hebt vor allem Aisling Byrne mit Blick auf die Chanson de Geste die Bedeutung Englands als Drehscheibe für die Verbreitung französischer Texte in dieser Region hervor. So waren es die für England typischen Bearbeitungen der Stoffe, die in Nordeuropa Verbreitung fanden. Bei der Übersetzung ins Altnordische sind dann wiederum Anpassungen vorgenommen worden, wie Massimiliano Bampi anhand der Parcevals Saga zeigt, in der die Gralsgeschichte an die Gepflogenheiten der Saga‑Tradition adaptiert wurde. Sofia Lodén hat zudem einen Bereich herausgearbeitet, der letztlich mit der französischen Sprache kaum noch etwas zu tun hat, aber auch für die historische Hofforschung von Interesse ist: Obwohl die Rezeption französischer Stoffe in Schweden vor allem über den Intermediär des Deutschen stattgefunden habe, wurde »Französisch« zum Synonym für Hofkultur.

Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt ist die Bedeutung des Buchhandels für den (nicht nur literarischen) Kulturtransfer und auch für das Verfassen der Texte selbst, für das eine Verfügbarkeit von Quellen notwendig war. Dies wird in den Beiträgen von Ceridwen Lloyd‑Morgan und Godfried Croenen deutlich. Lloyd‑Morgan untersucht die Chronicle of the Six Ages (ca. 1552) des walisischen Autors Elis Gruffydd als Aufeinandertreffen von walisischer Tradition und kontinentalfranzösischer Literatur. Dies sei vor allem durch die Umstände ermöglicht worden: Gruffydd lebte lange als Teil eines Kontingents walisischer Soldaten im englischen Calais und hatte dort Zugang zum europäischen Buchmarkt, über den er sich die Quellen für sein Geschichtswerk beschaffen konnte. Godfried Croenen präsentiert Guillebert de Mets als Schlüsselakteur der Frankophonie in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, der als Autor, Kompilator, Redakteur und Verleger von Manuskripten (hauptsächlich in Mittelfranzösisch) agierte und durch seinen zweisprachigen Hintergrund und seine Verbindungen die Produktion hochwertiger Bücher im burgundischen und Pariser Raum prägte.

Drei Beiträge befassen sich mit dem Thema der Kreuzzüge in der Literatur oder ihrem Umfeld und liefern damit interessante Befunde für das kulturelle Umfeld der Kreuzfahrer und der Kreuzfahrerstaaten. Nicola Morato sucht nach Nachweisen für die Existenz der Artusstoffe im lateinischen Osten. Trotz der fragmentarischen Quellenlage zeigen die Spuren von Artusgeschichten im lateinischen Osten, dass diese zum kulturellen Repertoire der westlichen Elite gehörten. Die performative Rezeption der Artuserzählungen sei, etwa durch Ritterspiele wie in Akkon oder Zypern, gut belegt. Patrick Moran untersucht den Einfluss der Kreuzzüge und des dazugehörigen Kreuzzugsdenkens auf das Werk Chrétien de Troyes’. Wenngleich die direkten Bezüge zu den Kreuzzügen rar gesät seien, argumentiert Moran, dass die Kreuzzüge das gesamte soziale und intellektuelle Umfeld Chrétiens prägten, vor allem das der Höfe seiner Förderer. Er kommt deshalb zu dem vielleicht etwas zu plakativen, aber eingängigen Schluss, dass »all medieval literature is crusade literature« (347). Marianne Ailes und James Doherty hingegen sehen im Text Le Pèlerinage de Charlemagne aus der Mitte des 12. Jahrhunderts eine literarische Verarbeitung der nicht immer eindeutig zu bestimmenden Grenzen zwischen Pilgerfahrt und bewaffnetem Kreuzzug.

Ein letztes hier zu erwähnendes Thema betrifft den Spracherwerb des Französischen, wobei die Beiträge von Ad Putter und Thomas Hinton hervorzuheben sind. Putter untersucht die Überlieferung eines kurzen Gedichts, das ursprünglich als Benimmbuch für junge Adlige konzipiert wurde, dann aber durch die Ergänzung von Interlinearübersetzungen nach und nach zu einem Sprachlehrbuch für Französisch wurde. In einem zweiten Schritt nimmt Putter die Überlieferung des Gedichts in kontinentalen Drucken des frühen 16. Jahrhunderts in den Blick. Durch das Hinzufügen einer niederländischen bzw. deutschen Übersetzung wurde das Gedicht zu einem frühen Beispiel für Englischlernmaterial für Sprecher des Deutschen oder Niederländischen, eine Ausnahme zu jener Zeit. Hinton analysiert hingegen den Tretiz des Walter de Bibbesworth aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, der als eines der ersten Französischlehrwerke Englands gilt. Er setzt dieses in Zusammenhang mit einigen zu jener Zeit verbreiteten Lateinlehrwerken, die er in ihrer didaktischen Herangehensweise als »contextualised lexicography« bezeichnet. Er legt dar, wie Walter bei der Niederschrift seines Traktats von diesen lateinischen Werken beeinflusst wurde, und kann so einen Wissenstransfer der Lateindidaktik in die Didaktik der Vernakularsprachen nachweisen.

Gemein ist fast allen Beiträgen des Bandes, dass sie auf Basis handschriftlicher Überlieferung argumentieren und durch die daraus gewonnenen Erkenntnisse die große Bedeutung der Arbeit am ungedruckten Material vor Augen führen. Wenngleich die meisten Beiträge sich vorrangig mit literarischen Texten befassen, zeigen die hier in aller Kürze vorgestellten Beiträge deutlich, welches Potential in der mittelalterlichen Frankophonie als Forschungsfeld einer konsequent interdisziplinär gedachten Mittelalterforschung liegt.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Robert Friedrich, Rezension von/compte rendu de: Leah Tether, Patrick Moran, Anne Salamon (eds.), Medieval French on the Move. Studies in Honour of Keith Busby, Berlin, Boston (De Gruyter) 2025, XIX‑439 p., 10 fig., 5 tab., ISBN 978-3-11-100676-5, DOI 10.1515/9783111006987, EUR 134,95., in: Francia-Recensio 2025/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.4.114292