Seit einiger Zeit wird in der Wissenschaft wieder intensiv über die Kriege der Französischen Revolution und Napoleons – im britischen Sprachgebrauch kurz als die »Französischen Kriege« bezeichnet – diskutiert. Es geht dabei vor allem um den Charakter dieser Kriege. Handelte es sich um Massenkriege, Volkskriege oder gar um nationalistisch aufgeladene Kriege, die in vielerlei Hinsicht den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts ähnelten? Oder sind das alles Übertreibungen, denn eigentlich standen diese Kriege doch immer noch in der Tradition des 18. Jahrhunderts? Dabei wird dann auch schon mal munter über das Ziel hinausgeschossen, wenn etwa der amerikanische Historiker David Bell vom ersten totalen Krieg der Geschichte spricht, ohne diesen Begriff genauer zu defnieren. Das mag auch mit den Interessen des jeweiligen Verlages zu tun haben, der durch einen schmissigen Titel die Verkaufszahlen des Buches erhöhen möchte. Mark Hewitson geht noch einen Schritt weiter als David Bell, wenn er den von Carl von Clausewitz formulierten Begriff des »Absoluten Krieges« zum Titel seines neuen Buches wählt. Dabei verstand Clausewitz unter diesem Begriff den »reinen« Krieg, den Idealtypus, der in der Realität niemals umgesetzt werden kann. Hewitson weiß das natürlich und daher sind seine einleitenden Ausführungen zur Begriffsbestimmung ziemlich gewunden und schon gar nicht überzeugend. Man fragt sich, ob der Autor das nötig hat.
Aber abgesehen von dieser Peinlichkeit, die nur Spezialisten auffallen wird, handelt es sich bei dem hier anzuzeigenden Buch um einen wichtigen Beitrag zu der oben erwähnten Debatte. Das demonstriert schon die sehr ausführliche Einleitung, in der Hewitson gekonnt und auf hohem Refexionsniveau den Verlauf und den Stand der Diskussion nachzeichnet und daraus seine eigene Fragestellung entwickelt. Er will einen anderen Weg einschlagen als die bisherigen Kontrahenten. Statt dem Pro und Contra der Ausbildung eines Nationalbewusstseins in den deutschen Landen der damaligen Zeit einen weiteren Beitrag hinzufügen, konzentriert er sich vielmehr auf die konkreten Auswirkungen der extrem brutalen und verlustreichen Kriegführung, auf die Erfahrungen und Mentalitäten der deutschen Zivilbevölkerung und die der deutschen Kombattanten. Denn dieser Massenkrieg, die fremde Besatzung und die Umbrüche in Staaten und Gesellschaften betrafen alle Menschen im deutschen Bereich direkt oder zumindest indirekt. Hewitson begibt sich hier auf die richtige Fährte. Krieg und Gewalterfahrung stehen also im Mittelpunkt dieses Buches, das als der Beginn einer ganzen Serie zu diesem Thema gedacht ist. Dabei geht es langfristig um die Auswirkungen und Folgewirkungen dieses Komplexes in der neueren deutschen Geschichte. Das ist ein spannendes Projekt.
In seiner Darstellung weist Hewitson wiederholt mithilfe des neuesten Forschungsstandes auf das ganze Ausmaß der Französischen Kriege hin. Was als bei Valmy jämmerlich gescheiterter militärischer Spaziergang Österreichs und Preußens gegen die französischen Revolutionäre begann, artete zu gewaltigen Kriegen mit Massenarmeen aus, die bis 1815 weite Teile Europas verwüsteten und mehrere Millionen Opfer forderten. Dabei geht Hewitson noch nicht einmal darauf ein, dass es sich um einen veritablen Weltkrieg handelte, der auf mehreren Kontinenten wütete. Aber schließlich ist das damals vielschichtige und kaum defnierbare Deutschland, auf dessen Differenziertheit er immer wieder Bezug nimmt, sein Thema. Da gab es die französischen Vasallenstaaten, zu denen der Rheinbund gehörte, die zwischen Widerstand und Anpassung schwankende Habsburger Monarchie und das lange Zeit neutrale, dann furchtbar geschlagene und letztlich nach fast revolutionären Reformen von oben zum Gegenschlag ausholende Preußen.
Bei all dem diagnostiziert Hewitson einen deutlichen Wandel in der Kriegführung und ihrer Wahrnehmung durch die Bevölkerung. Allein schon die mehr oder weniger vollständige Einführung der allgemeinen Wehrpficht in vielen deutschen Staaten veränderte die Einstellung der Menschen zum Krieg. Auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor nicht unmittelbar Zeuge von Kämpfen und Schlachten wurde, so trafen die Auswirkungen der Kriegszüge doch sämtliche Einwohner der deutschen Gebiete. Das galt auch wirtschaftlich und fnanziell. Insbesondere in Preußen wurde schließlich sogar das Bürgertum zum Kriegsdienst herangezogen. Und obendrein erlitten viele Städte und ganze Landstriche schwere Zerstörungen. Plünderungen, Vergewaltigungen und Morde kamen hinzu. All dies fand seinen Niederschlag im zeitgenössischen Schriftgut, denn ein erheblicher Teil der deutschen Bevölkerung war des Lesens und Schreibens mächtig. Zeitungen, Briefe, Pamphlete, Gedichte, Lieder und Memoiren liefern denn auch das Material für Hewitsons Darstellung. Das liest sich allerdings nicht immer besonders spannend, weil die Aneinanderreihung von immer neuen und immer zahlreicheren Meinungsäußerungen zu Aspekten des Krieges auf die Dauer ermüdend wirkt. Zudem stellt sich die methodische Frage, die Hewitson selbst anspricht, wie repräsentativ derartige Quellen und Egodokumente ganz unterschiedlicher aber immer auch subjektiver Couleur eigentlich sind.
Gleichwohl kommt Hewitson zu interessanten Resultaten. So konstatiert er, dass alle zeitgenössischen Kommentatoren sich über den Wandel des Krieges einig waren und sich nach 1815 vor der Wiederholung einer derartigen Katastrophe fürchteten. Es kann also keine Rede davon sein, dass sich gegenüber dem 18.Jahrhundert wenig verändert habe. Allerdings spielte ein aufkommender Nationalismus in Deutschland bei der Auseinandersetzung mit den Französischen Kriegen kaum eine Rolle. Vielmehr war es die Erfahrung des Krieges selbst, die im Mittelpunkt der damaligen Betrachtungen stand. Über diesen Befund dürfte allerdings auch in Zukunft weiter gestritten werden. Hewitson hat somit nur einen Beitrag zur laufenden Debatte über die Französischen Kriege liefern können. Mehr als das kann man aber kaum verlangen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Stig Förster, Rezension von/compte rendu de: Mark Hewitson, Absolute War. Violone an Maß Warwara in Theo German Lands, 1792–1820, Oxford (Oxford University Press) 2017, 297 p., ISBN 978-0-19-878745-7, GBP 65,00., in: Francia-Recensio 2017/4, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2017.4.43167