Der Autor dieses Werks ist nicht nur Doyen der Geschichtsschreibung des Schuman-Plans, eigentlich Monnet-Plan, sondern neben Wilfried Loth einer der deutschen Pioniere der europäischen Integrationshistoriographie. Mit dieser Monografie legt Klaus Schwabe die erste deutschsprachige Biografie über Monnet vor. So sehr dieser für alle Integrationshistoriker ein Begriff ist, so wenig ist er im öffentlichen Bewusstsein Deutschlands verankert, wofür es drei Gründe gibt: Er war ein Mann, der hinter den Kulissen der internationalen Bühne agierte, das grelle Licht der Medien scheute und daher auch in seinem Namen keine Schlagzeilen produzierte. Ein zweiter Umstand besteht darin, dass Monnets gesamtes politisches Leben im Schatten von Charles de Gaulle stand, der für sich die deutsch-französische Verständigung und Versöhnung als Monopol beanspruchte. Ein banaler dritter Grund für Monnet als vergessenem Akteur besteht für Schwabe in der nunmehr erkennbar wachsenden Sprachbarriere zwischen den Nachbarn am Rhein.

Schwabes Werk ist mehr als eine politische Biografie, nämlich eine umfassende Lebensgeschichte Monnets. Das erste Kapitel steht ganz im Zeichen des Cognac-Unternehmens seines Vaters, des Ersten Weltkriegs zur Koordinierung der kriegswirtschaftlichen Logistik der Entente-Mächte, der Pariser Vororte-Friedensverträge »mit Fehlern«, Monnets kurzer Amtszeit als stellvertretendem Generalsekretär des Völkerbundes (der Rückzug folgte aus privaten Gründen wegen finanzieller Schwierigkeiten des Familienunternehmens) sowie seines anschließenden internationalen Finanzmanagements als Geschäftsmann und Spekulant. Im zweiten Kapitel widmet sich Schwabe der Rolle Monnets während des Zweiten Weltkriegs, beginnend mit der französischen Katastrophe im Mai/Juni 1940 und seinem gescheiterten Plan einer anglo-französischen Union, dem anschließenden Gang in die USA zur Beförderung der Kriegsrüstung gegen Hitler-Deutschland, gefolgt vom Engagement im nationalen Befreiungs-Komitee in Algier unter de Gaulle, wo erste konkrete Pläne für die zukünftigen deutsch-französischen Beziehungen geschmiedet wurden.

Im dritten Kapitel geht es Schwabe um das Hauptziel Monnets nach Kriegsende, nämlich den französischen Wiederaufbau in der Funktion als Chef des Planungskommissariats in Angriff zu nehmen, wobei der Marshall-Plan eine wichtige rekonstruktionsspezifische Flankierung bildete. Ein zweites nicht minder wichtiges Anliegen war die Frage nach der Rolle Deutschlands, die durch Einbindung und Kontrolle beantwortet werden sollte. Das vierte Kapitel behandelt den »Sprung ins Ungewisse« mit der Ankündigung des sogenannten Schuman-Plans am 9. Mai 1950, das internationale Echo und die Verhandlungen im Kontext des Koreakriegs. Das fünfte Kapitel geht auf die Bemühungen um Schaffung einer genuin europäischen Sicherheitsarchitektur ein, wobei Monnet die Ausarbeitung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) mitgestaltete. Das sechste Kapitel befasst sich mit seiner Funktion als Präsident der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Damit war erstmals in der europäischen Ideen- und Einigungsgeschichte der Inspirator einer Institution gleichzeitig ihr höchster Repräsentant. Die Montanunion erfreute sich – im Unterschied zu den Römischen Verträgen – noch starker Begleitung und Einflussnahme durch die USA – auch dank Monnet.

Im siebten Kapitel geht es nach der gescheiterten Europaarmee um die »relance européenne«, wobei Monnet mit EURATOM auf das falsche Pferd setzte und die EWG trotz seiner Vorbehalte zustande kam. Nach seinem Rücktritt als EGKS-Präsident hatte er sich dem von ihm angeführten »Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa« gewidmet. Das achte Kapitel wendet sich dem Beziehungsfeld zwischen Europa und dem atlantischen Westen »im Schatten de Gaulles« zu, im Zeichen der intergouvernemental angelegten Fouchet-Pläne sowie Großbritannien als Teil des neuen Europas, was Schwabes Protagonist nun befürwortete. Ferner geht es um die für Monnet essentielle Partnerschaft mit den USA und den durch eine spezifische Präambel relativierten Élysée-Vertrag. Das neunte Kapitel handelt von der zweiten relance européenne, als es um den Auf- und Umbau der EG im Zeichen der »gaullistischen Herausforderung«, des Neustarts mit dem Vereinigten Königreich und der Etablierung des Europäischen Rates geht. Behandelt wird hierbei auch Monnet und die bundesdeutsche sozialliberale Ostpolitik. Das letzte Kapitel leistet einen Ausklang mit einer sehr überzeugenden Bilanz.

Schwabe bewegten folgende Fragen: Was für ein Mensch war Monnet? Was hat er beabsichtigt? Was hat er erreicht? Wie hat er es erreicht? Was ist misslungen? Was bleibt der Nachwelt von ihm? Die Antworten lauten: Monnet war Autodidakt und dabei ein durchsetzungsfähiger und höchst politisch selbstbewusster Mensch der Tat. Für Kunst und Kultur hatte er nur wenig Verständnis. Bibliophiles Interesse war nicht gegeben, Zeitungslektüre hingegen schon. Seine spätere Ehefrau und langjährige Lebensgefährtin Silvia, geborene Bondini, zuerst verehelichte Giannini, war ihm laut Schwabe »erste und engste Beraterin« (S. 41). Inwiefern dies auch auf seine Haltung und Politik Auswirkungen zeitigte, bleibt jedoch völlig offen.

Geschichte war laut Schwabe für Monnet kein Antrieb, sondern mehr Ballast. Ihre Wiederholung wünschte er sich keinesfalls. Von beiden Weltkriegen war sein Weltbild beeinflusst. Wie weit dieses auch vom Kalten Krieg als einer Form des dritten Weltkriegs geprägt und Monnet ein cold warrior war, wird nicht klar genug, dürfte aber durch dessen enge Freundschaft zu den Dulles-Brüdern auf der Hand liegen. Monnets Vorstellungen über ein (zukünftiges) vereintes (West-)Europa und sein Verhältnis zu Russland bleiben ebenso unklar. Westeuropas Integration als ein Projekt des Westens war offenbar sein Horizont. Dafür sollten seine weitverzweigten Netzwerke und neue Institutionen sorgen, die kollektive Erfahrungen aus zwei Weltkriegen sammeln und den Umgang zwischen Menschen bestimmen konnten. Unter den Nationen wünschte sich Monnet Gleichberechtigung. Sein politisches Streben richtete sich insbesondere gegen die Verhinderung der Wiedererrichtung einer deutschen Hegemonialstellung in Europa. Erst in Algier ab 1943 wurden seine Überlegungen zur politischen Zukunft Europas konkreter. Zuvor war Monnet mehr Internationalist und Weltbürger als Europäer.

Seine größte historische Leistung erblickt Schwabe im Schuman-Plan neben der Verpflichtung der USA gegenüber dem westeuropäischen Integrationsprojekt, in dem der anglophile Mann US-Präsident Eisenhower 1953/54 für das EVG-Vorhaben vereinnahmen und dem deutsch-französischen Vertrag von 1963 die anti-amerikanische Stoßrichtung nehmen konnte. Die Überwindung der Erzfeindschaft zwischen Deutschen und Franzosen war für Monnet – laut Schwabe – der Hauptzweck der europäischen Einigungspolitik (S. 453f.) – demnach war diese offenbar nur Mittel zum Zweck für ihn! Schon die Vereinbarung zur Kohle- und Stahlgemeinschaft hätte nach Monnets Auffassung zwischen Bundesrepublik und Frankreich alleine ausgereicht. Den Gedanken an eine eigenständige europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität im Unterschied zu den USA hatte er strikt verworfen, was seinen Gegensatz zu de Gaulle begründete. Die zunächst westintegrationskritische deutsche Sozialdemokratie über die engen Kontakte mit Willy Brandt und Helmut Schmidt für den europäischen Einigungsgedanken gewonnen zu haben, ist laut Schwabe Monnet als ein weiteres Verdienst zuzuschreiben. Weniger von der vielzitierten aber starken Variationen unterworfenen »Methode Monnet«, will Schwabe sprechen, sondern vielmehr von Ansätzen oder Konzepten, was einleuchtet. Das nationalstaatliche Souveränitätsprinzip hatte Monnet unterschätzt, da es sich als zäh und langlebiger erwies. Finanziell-ökonomische Mittel zur politischen Einigung überschätzte er hingegen, während er den eigenständigen und relativ unabhängigen Faktor Militär unterbewertet ließ. Aus Europa einen Raum des technischen Fortschritts und wirtschaftlichen Wohlstands zu machen, habe sich jedoch als seine Hoffnung erfüllt, vor allem den Kontinent als globalen Konfliktherd zu entschärfen.

Schwabe hat die Memoiren Monnets quellenkritisch ausgewertet sowie auch die gesamte greifbare Forschungsliteratur so gründlich wie systematisch herangezogen. Dabei hat er feinfühlig ein Charakterbild und Persönlichkeitsprofil von Monnet gezeichnet sowie seine politischen Windungen und Wendungen in sich schlüssig rekonstruiert. An Klaus Schwabes Alterswerk kann daher die weitere Integrations- und Monnet-Forschung nicht vorbei.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Michael Gehler, Rezension von/compte rendu de: Klaus Schwabe, Jean Monnet. Frankreich, die Deutschen und die Einigung Europas, Baden-Baden (Nomos) 2016, 480 S. (Veröffentlichungen der Historiker-Verbindungsgruppe bei der Europäischen Kommission, 17/Publications of the European Union Liaison Committee of Historians), ISBN 978-3-8487-3385-9, EUR 49,00., in: Francia-Recensio 2017/4, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2017.4.43173