Das Themenfeld »Kinder des Zweiten Weltkrieges« ist in den letzten Jahren viel und durchaus mannigfaltig beackert worden, wobei das große Interesse der nunmehr am Ende ihres Lebens stehenden Betroffenen und nicht zuletzt ihrer Familien einen wichtigen Motor darstellte. Das Augenmerk der deutschsprachigen Forschung galt insbesondere den »langen Schatten des Krieges« (Elisabeth Domansky, Jutta de Jong), mithin der Dimension der psychohistorischen Erbschaften. Entsprechend groß war das Bemühen, zum einen um internationale Sichtweisen, zum anderen um eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Geschichtswissenschaft, Soziologie, Pädagogik und Psychologie. In diesen Kontext ist auch der anzuzeigende Band einzuordnen, der auf eine vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung und dem Institut für Geschichte der Universität Magdeburg veranstaltete Konferenz vom September 2012 zurückgeht.

Sein Erkenntnisinteresse richtet sich auf die Sozialpsychologie der sogenannten Besatzungskinder, also jene hunderttausende von Kindern, die durch alliierte Soldaten mit deutschen und österreichischen Frauen im ersten Nachkriegsjahrzehnt gezeugt worden waren und deren Schicksale von der Wissenschaft jahrzehntelang kaum beachtet worden sind. Er fragt nach ihrem Ort in den drei deutschen Nachkriegsgesellschaften (Österreich, DDR, BRD), bündelt dazu in 15 längeren, nach Besatzungszonen gegliederten Beiträgen die vorhandenen Ansätze und schafft sodann mit einer Zusammenstellung von 13 autobiografischen Texten eine zusätzliche Grundlage für weitere Forschungen. Der knapp 40-seitige Anhang enthält unter anderem ein gesondertes Literatur- und Archivverzeichnis, zudem ein Orts- und Personenregister.

Der ansprechend aufgemachte Band liefert tiefgehende Einsichten in die Lebenswelten der »Besatzungskinder«: Sie entstammten Vergewaltigungen, Prostitution, Kurzzeitaffären und Liebesbeziehungen, der gemeinsame Weg der Eltern endete für gewöhnlich spätestens mit der Abberufung des Vaters aus Österreich oder Deutschland. Sie wuchsen zumeist ohne Väter in materiell unzureichenden Verhältnissen auf und die Gesetze machten oftmals eine Vaterschaftsfeststellung und entsprechende Unterhaltszahlungen selbst bei gutwilligen Vätern unmöglich. Wie ihre Mütter litten die »Besatzungskinder« zum Teil unter posttraumatischen Belastungsstörungen, sie waren zumal in dörflich-kleinstädtischen Räumen Opfer von Rassismus und sozialer Stigmatisierung. Da viele nicht oder erst im fortgeschrittenen Alter über ihren Vater aufgeklärt wurden, gestaltete sich ihre Identitätsbildung schwierig und häufig schmerzvoll. Allerdings verbieten sich Schwarz-Weiß-Zeichnungen: Es gab durchaus sogenannte »war brides«, die in das Heimatland des Ehemannes emigrierten und deren Kinder in relativ unbelasteten Verhältnissen aufwuchsen. In Rechnung zu stellen ist eine signifikante Zahl von Adoptionen – auch ins (westliche) Ausland. Während außerdem die sowjetische Politik ihr Möglichstes tat, die Kinder des ehemaligen Feindes nicht ins eigene Land zu lassen, verfolgten die Franzosen in der ersten Hälfte der 1950er Jahre unter dem Motto »Retour en France« ein Repatriierungsprogramm. Auch in Deutschland und Österreich erfuhren »Besatzungskinder« Anteilnahme und Fürsorge, insbesondere in den 1950er Jahren waren sie Teil eines durchaus breiten öffentlich-medialen Diskurses, der bei allen Ressentiments durch ein ostentatives Wohlwollen gekennzeichnet war. Nicht wenige »Besatzungskinder« zogen aus ihrer Herkunft Selbstbewusstsein und Stolz, das Gros wuchs allmählich in die Mehrheitsgesellschaft hinein.

Die Aufsätze sind fast durchgehend solide gearbeitet und überzeugen durch ihre Quellennähe, die Anbindung an Forschungskontexte und das Bemühen, sich der quantitativen Dimension des Themas »Besatzungskinder« zumindest anzunähern (die Schätzungen gehen von 400 000 Kindern für die beiden deutschen Staaten und 30 000 Kindern für Österreich aus; die mit Abstand meisten hatten einen sowjetischen oder amerikanischen Vater; es ist von etwa 5000 afroamerikanischen Kindern auszugehen). Mit besonderem Gewinn kann der Aufsatz von Miriam Gebhardt zu den Vergewaltigungen deutscher Frauen am Kriegsende gelesen werden, der die gängigen Thesen von kollektiver weiblicher Resilienz, rassistisch motivierten Massenabtreibungen und dem prinzipiellen Schweigen der Opfer fundiert aufspießt. Aus der Reihe springt auch der Beitrag von Annette Brauerhoch, der mittels einer eingehenden Analyse des erfolgreichen Films »Toxi« aus dem Jahr 1952 das Oszillieren der bundesrepublikanischen Gesellschaft zwischen ehrlicher Anteilnahme am Schicksal afroamerikanischer »Besatzungskinder« und einem markanten Exklusionsbestreben vor Augen geführt. Dass sie dem Aspekt der Sexualisierung des »schwarzen Kinderkörpers« eine allzu große Bedeutung schenkt, tut diesem eindrucksvollen Befund nur wenig Abbruch. Durchweg spannend nehmen sich die 13 Lebensberichte aus, wobei genauere Informationen über ihre Entstehung sowie die Kriterien ihrer Auswahl fehlen und auffälliger Weise lediglich ein Lebensbericht eines amerikanischen »Besatzungskindes« abgedruckt ist. Des Weiteren hätte eine themenorientierte Straffung dem Band gutgetan. Die Aufteilung nach Besatzungszonen bringt wenig Erkenntnisfortschritt, aber zahlreiche Wiederholungen mit sich.

Der wichtige Aufsatz von Sabine Lee und Ingvill C. Mochmann, der sich vergleichend mit Wehrmachtskindern, den »Amerasians« im Vietnamkrieg und den Kindern des Bosnienkrieges beschäftigt, steht weitgehend isoliert und hätte auch im Sinne der angestrebten »Europäisierung der Fragestellung« (S. 13) besser mit den anderen Beiträgen verbunden werden können. Bisweilen verfallen manche Autorinnen in eine pars-pro-toto-Argumentation, hätten die Prinzipien der Exemplarität und Kontroversität stärker reflektiert werden müssen. Obschon die Herausgeberinnen für sich in Anspruch nehmen, nicht nur »bei der Beobachtung ihrer Kindheit und Jugend zu verharren, sondern ihre gesamte Biografie in den Blick zu bekommen« (S. 13), erhalten die »Besatzungskinder« als Erwachsene kaum Kontur. Die Jahrzehnte nach 1960 bleiben blass, markante Thesen des Bandes, etwa von den »Besatzungskindern« als »Vermittlern zwischen dem Eigenen und Fremden« bzw. »frühen ›Probanden‹ der Toleranz« (S. 293), mangelt es daher vielleicht nicht an narrativer, aber in jedem Fall an empirischer Triftigkeit. Der starke politisch-moralische Anspruch des Bandes, der keinen Zweifel darüber lässt, dass Wissenschaft zum empowerment der »Besatzungskinder« beitragen kann und soll, hat vermutlich eine zwiespältige Wirkung: Einen Teil der Leserschaft wird er irritieren, so manchem aber auch die Lektüre erleichtern.

In der Gesamtschau legen Barbara Stelzl-Marx und Silke Satjukow ein wichtiges Buch vor, das mit seinen Stärken und Schwächen der künftigen Forschung hoffentlich den Weg bereiten wird.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Markus Raasch, Rezension von/compte rendu de: Barbara Stelzl-Marx, Silke Satjukow (Hg.), Besatzungskinder. Die Nachkommen alliierter Soldaten in Österreich und Deutschland, Wien, Köln, Weimar (Böhlau) 2015, 538 S., 3 tab. und 94 s/w Abb. (Kriegsfolgen-Forschung, 7), ISBN 978-3-205-79657-2, EUR 35,00., in: Francia-Recensio 2017/4, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2017.4.43175