Das »Cronicon Aule regie«, die Königsaaler Chronik, entstanden zwischen 1305 und 1338 und die Jahre von 1253 bis 1338 umfassend, gehört nicht nur zu den bedeutendsten historiografischen Werken der böhmischen Geschichte, sondern liefert auch wertvolle Informationen für die Reichsgeschichte, insbesondere zur Regierungszeit Heinrichs VII. (1308–1313) und zum Erwerb Böhmens für die Luxemburger durch die Belehnung seines Sohnes Johann und dessen Heirat mit der Přemyslidin Elisabeth. Letztere war die Schwester des 1306 ermordeten Königs Wenzel III. Otto von Thüringen, einer der Gründungsmönche des 1292 von König Wenzel II. gestifteten böhmischen Zisterzienserklosters Königsaal und 1297/1298 auch dessen interimsweiser Abt, begann nach dem Tod des Stifters mit der Chronik und führte sie bis zu seinem Tod im Jahr 1314 von Ottokar II. Přemysl, dem Vater Wenzels, bis zur Zeit Wenzels II. (lib. I cap. 51); dabei dienten ihm schriftliche Quellen als Vorlage.

Peter von Zittau, »Kaplan und rechte Hand Abt Konrads« (S. 8) von Erfurt und 1316 dessen Nachfolger, setzte als Zeitgenosse und vielfach sogar Augenzeuge das Werk Ottos fort und verlieh der Chronik nicht zuletzt durch die von ihm eingefügten Verspartien ein ganz eigenes Gepräge. Unter literarischen Gesichtspunkten ist das in Reimprosa abgefasste und von 363 Verspartien in Hexametern unterbrochene Werk daher als Prosimetrum anzusprechen, wie Peter Hilsch in seiner Einleitung ausführt (S. 17f.). Dass das Werk damit formal in verblüffender Weise der orientalischen Erzählungssammlung »Tausendundeine Nacht« ähnelt, dessen früheste ausführliche Handschriften sich in Syrien etwa zeitgleich fassen lassen, sei hier nur am Rande angemerkt.

Bislang liegt der lateinische Text der Königsaaler Chronik in zwei Drucken des 17. und 18.Jahrhunderts und zwei Ausgaben des 19.Jahrhunderts – von Johannes Loserth in der Reihe der »Fontes rerum Austriacarum« 1875 und von Josef Emler in den »Fontes rerum Bohemicarum« 1884 – vor, wobei nur die Ausgabe von Emler im eigentlichen Sinne als Edition bezeichnet werden kann. Eine moderne Edition wird seit einigen Jahren an der Universität Brünn/ Brno vorbereitet. Daneben existieren zwei tschechische Übertragungen des Textes. Angesichts der Bedeutung der Chronik einerseits und zurückgehender Lateinkenntnisse selbst unter Geschichtsstudierenden andererseits ist es daher durchaus verdienstvoll, dass Josef Bujnoch im Auftrag der Historischen Kommission der Böhmischen Länder 1988 auf der Grundlage der Edition von Emler mit einer deutschen Übersetzung des Werkes begann. Allerdings konnte er selber die umfangreiche Aufgabe nicht mehr zu Ende bringen; nach Fertigstellung des Manuskripts der Übertragung von Buch I – des umfangreichsten Teils der Chronik – bat Bujnochs Enkelin 2007 Stefan Albrecht, die Übersetzung der noch fehlenden Bücher II und III zu übernehmen. Der Band wurde ergänzt um eine historische Einführung von Peter Hilsch über Verfasser und Werk (S. 7–22) und ein Register der Orts- und Personennamen von Ella Kaplunovskaja (S. 691–723).

Die Übersetzung selbst konnte angesichts des Textumfangs (665 Druckseiten) nur stichprobenartig überprüft werden. Sie erwies sich im Großen und Ganzen als zuverlässig; allerdings hat sich aber auch das ein oder andere Missverständnis eingeschlichen. So übersetzt Bujnoch etwa bei der Belehnung Johanns mit Böhmen durch seinen Vater König Heinrich VII. (I 101) den Ablativus absolutus porrectoque sceptro mit »nachdem er das Zepter gereicht hatte« (S. 322). Bei einer Investitur mit dem Zepter diente dieses jedoch als »Handlungssymbol« und blieb »im Besitz des Herrn«1 ; an der Stelle ist demnach »mit erhobenem Zepter« zu verstehen.

Die Sprache Peters von Zittau ist sehr stark geprägt von teils wörtlichen Zitaten, teils Anklängen an biblische und liturgische Texte. Dies haben die Übersetzer zwar sehr wohl festgestellt und auch wesentlich mehr Bibelzitate identifiziert als die Edition von Emler; dennoch sind ihnen offenbar eine ganze Reihe von Zitaten und Anspielungen entgangen. Da in diesen Fällen die Übersetzung deutlich von dem deutschen Leserinnen und Lesern vertrauten Wortlaut etwa der Einheitsübersetzung abweicht, hat der Benutzer auch keine Möglichkeit, eventuell selber den biblischen Bezug zu entdecken. Als Beispiel sei hier hingewiesen auf die erste Begegnung König Heinrichs VII. mit seiner künftigen Schwiegertochter Elisabeth, wo es heißt: utrum tunc fuerit pocius tempus flendi vel ridendi (I 100), übersetzt von Bujnoch als »ob es damals eher eine Gelegenheit des Weinens war oder des Lachens« (S. 314); siehe aber Eccl 3,4: tempus flendi et tempus ridendi – »eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen«. Postquam igitur consumati sunt dies octo et nupciarum festo expleto (I 103) wird übersetzt als: »nach acht Tagen und nach Beendigung des Hochzeitsfestes« (S. 331); siehe aber die wörtliche Parallele bei Lk 2,21 als Einleitung der Erzählung von der Beschneidung Jesu: »als acht Tage vorüber waren«. Bei der Namensgebung von König Heinrichs VII. Sohn Johann heißt es in wörtlicher Übernahme von Lk 1,60: respondens mater [...]: Nequaquam, sed vocabitur Johannes (I 112), etwas holprig übersetzt als: »[...] antwortete die Mutter: ›Keineswegs, sondern man wird ihn nennen Johannes‹« (S. 387) statt (so die Einheitsübersetzung): »Seine Mutter aber widersprach [...]: Nein, er soll Johannes heißen.«

Jenseits dieser Detailkritik stellt der Band jedoch ein nützliches Hilfsmittel für die Beschäftigung mit der Königsaaler Chronik dar, das auch einer breiteren Leserschaft den Zugang zu diesem interessanten Werk eröffnet. Dennoch sollte – wie bei jeder Übersetzung – der lateinkundige Benutzer immer auch einen Blick ins Original werfen, um sich von der jeweiligen Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Übertragung selber zu überzeugen.

1 Hans K. Schulze, Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter, Bd. 1: Stammesverband, Gefolgschaft, Lehnswesen, Grundherrschaft, Stuttgart 3 1995, S. 74.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Sabine Penth, Rezension von/compte rendu de: Stefan Albrecht (Hg.), Die Königsaaler Chronik. Aus dem Lateinischen von Joseph Bujnoch † und Stefan Albrecht. Mit einer Einleitung von Peter Hilsch, Frankfurt am Main (Peter Lang Edition) 2013, 723 S. (Forschungen zu Geschichte und Kultur der böhmischen Länder, 2), ISBN 978-3-631-64636-6, EUR 104,70., in: Francia-Recensio 2017/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2017.4.43253