Das 900jährige Jubiläum der Gründung von Clairvaux 2015 war der Anlass einer Konferenz zur langen Geschichte dieser zisterziensischen Primarabtei und ihrer Filiation. Die Tagung fand auf dem Gelände des ehemaligen Klosters statt. Der umfangreiche Ergebnisband wird hier besprochen, wobei nur einige der insgesamt 20, zumeist französischen Beiträge, näher beleuchtet werden können.

Nach Danksagungen, Vorworten, einem Hinweis auf digitalisierte Bestände des Archivs von Clairvaux (http://www.archives-aube.fr/r/153/clairvaux/), dem Abkürzungsverzeichnis und drei einleitenden Beiträgen beginnt der erste der vier großen inhaltlichen Blöcke: »Clairvaux et la construction d’un espace européen«. In den fünf Regionalstudien widmet sich u. a. Annick Peters-Custot den Zisterziensern im Königreich Sizilien unter Normannen und Staufern. Die Zisterzienser fassten aus verschiedenen Gründen erst ab der zweiten Hälfte des 12.Jahrhunderts im Regno Fuß, die ersten Klöster wurden dann innerhalb der Filiation von Clairvaux gegründet oder wiederbegründet. Peters-Custot beobachtet unter Hauteville und Staufern eine starke Kontrolle der Kirche insgesamt; die Zisterzienser breiteten sich vor allem in Phasen der Schwäche der Königsherrschaft aus. Karen Stöber befasst sich mit der Geschichte der Zisterzienser- und Zisterzienserinnenklöster in Katalonien sowie ihrer Beziehung zu Clairvaux und der katalanischen Gesellschaft. Bei ihrer Untersuchung fand sie viele Belege für aktive lokale Patronagenetzwerke, in die Klöster und Ordensangehörige fest eingebunden waren. Die Mehrheit der katalanischen Konvente waren kleine und wirtschaftlich allenfalls ausreichend stabile Abteien, die drei großen und königlich unterstützen Konvente Santes Creus, Poblet und Vallbona de les Monges waren Ausnahmen. Maria Alegria Fernandes Marques behandelt die Beziehungen zwischen Clairvaux und Portugal. Ein wichtiger Förderer in der Anfangsphase war João Peculiar (seit 1137 Erzbischof von Braga), der höchstwahrscheinlich die erste Zisterzienserabtei Portugals, São Cristóvão de Lafões, in den 1130er Jahren gründete. Kontakt zum Restorden pflegten die portugiesischen Zisterzienser etwa über Visitationen und Generalkapitelsbesuche. Intensive Beziehungen zu Clairvaux hatte die 1153 gegründete Abtei von Alcobaça bis zur Bildung der 1567 päpstlich als eigenständig bestätigten Zisterzienserkongregation von Portugal (Congregaçāo de Santa Maria de Alcobaça, S. 94). Mit der Auflösung aller Männerklöster in Portugal 1834 endet dort auch die Geschichte der Zisterzienser

»Les Claravalliens dans l’Église et dans le monde« ist der Titel des zweiten Blocks. Anne E. Lester widmet sich den Pförtnern von Clairvaux im Licht von 76 Urkunden von 1206 bis 1239 über Zuwendungen und Verfügungen speziell für sie und die Armen, deren Versorgung neben dem Empfang von Gästen zu ihren Hauptaufgaben gehörte. Bei ihrer Auswertung gelangt Lester zu dem Schluss, dass die Beziehungen der Abtei zu den Armen und zur Außenwelt insgesamt weit komplexer waren als bisher angenommen und in den normativen Texten zu erahnen. Jean-Baptiste Vincent untersucht aus Sicht der Bauforschung den Empfang und die Aufnahme von Gästen in Abteien der Normandie. Dabei zeigt die Architektur der erhaltenen oder rekonstruierbaren Klöster, wie über die Pforte Gäste nicht nur empfangen, sondern wie sie auch innerhalb der für sie zugänglichen Bereiche geleitet und auf diese beschränkt wurden, wie Gästebereiche mittels eigener Küchen autonom vom Klausurbereich betrieben werden konnten und wie man Statusunterschieden von Gästen bei ihrer Unterbringung architektonisch Rechnung trug. Alexis Grélois untersucht die Haltung von Clairvaux zum weiblichen Mönchtum bis ins 15. Jahrhundert. Er konstatiert dabei eine grundsätzliche Förderung weiblicher Religiosen, wobei oft eine strenge Klausur gefordert und Doppelklöster vehement abgelehnt wurden. Im 14./15. Jahrhundert wurden, teils wohl mit vorgeschobenen Gründen, viele Frauenklöster aufgelöst, deren Besitz dann Männerklöstern zufiel. François Blary untersucht Grangien und Stadthöfe von Clairvaux und zeigt, dass letztere nicht nur zu Handelszwecken eingerichtet wurden, sondern im größeren Kontext der Urbanisierung zu betrachten sind. Daran anschließend behandeln Benoît Chauvin und Gilles Vilain die Beziehung von Clairvaux zu Bar-sur-Aube, wo das Kloster einen Stadthof (Petit-Clairvaux) unterhielt, dessen Funktionen und Architektur sie auswerten.

Der dritte Block ist mit »La culture claravallienne en question« überschrieben. Anhand eines Bibliothekskatalogs von Clairvaux von 1472 zeigt Gilbert Fournier, wie stark die Bestände und die Systematik durch andere Studienbibliotheken, vor allem die Bibliothek der Sorbonne, beeinflusst waren. Sylvain Demarthe reflektiert über die bisherige Forschung zum Konzept einer spezifisch zisterziensischen (Bau-)Kunst und mahnt die Beachtung größerer Zusammenhänge sowie die Untersuchung wechselseitiger Beeinflussungen an: Während Besonderheiten in der Architektur von Zisterzienserbauten auf der Übernahme bestimmter Details aus allgemeineren bauhistorischen Entwicklungen beruhten, finden sich zisterziensische Elemente in anderen Gebäuden wieder. Claude Andrault-Schmitt untersucht die Architektur von Zisterzienserkirchen in Nordaquitanien und stellt dabei mehr Ähnlichkeiten mit anderen lokalen Kirchen, englischen Kathedralen oder der Abteikirche von Rievaulx als mit den Kirchen der Zisterzienserklöster in Burgund fest.

Im vierten Block, »Clairvaux après Clairvaux«, untersucht Hélène Millet das Agieren des – zeitweise selbst gespaltenen – Ordens und speziell der Abtei Clairvaux im abendländischen Schisma mit besonderem Fokus auf Abt Matthieu Pyllaert. Bertrand Marceau analysiert das Handeln der Äbte von Clairvaux in Zeiten der Bedrohung des Ordens durch die Kommende. Abschließend behandelt Jean-François Leroux kurz die Nutzung der Abteigebäude seit ihrer Auflösung in der französischen Revolution bis heute. Im Anschluss resümiert Isabelle Heullant-Donat die Beiträge des Bandes und die darin angemahnten Desiderate.

Der Band vereint wichtige Einzelstudien. Der vielseitige Blick auf die Primarabtei und ihre Filiation ist fruchtbar. Dabei eröffnen die Größe und Verbreitung der Filiation sowie das Wirken Bernhards weit über die Grenzen des Klosters hinaus immer auch den Blick auf den Orden. Das vorliegende Werk ist auf der Höhe der Forschung und darin ein Pendant zu dem von Franz Felten und Werner Rösener herausgegebenen Band »Norm und Realität«. Etliche der Studien, etwa die regionalgeschichtlichen und architekturhistorischen Untersuchungen, stützen zudem das dort von Nikolaus Jaspert geäußerte Diktum: »Unanimitas mochte das Ideal der Zisterzienser sein, doch diversitas entsprach den tatsächlichen Verhältnissen öfter1 .« Nur kleine, formale Monita sind anzubringen: Ein Hardcover wäre angesichts des Umfangs wünschenswert gewesen. Die vielen Farbabbildungen sind erfreulich, doch sorgt die durchgängige Verwendung von Hochglanzpapier in Verbindung mit kleiner Schrift für schlechte Lesbarkeit bei künstlichem Licht. Positiv sind die im Anhang enthaltenen Abstracts auf Französisch und Englisch sowie das Personenregister und der niedrige Preis zu nennen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Björn Gebert, Rezension von/compte rendu de: Arnaud Baudin, Alexis Frélois (dir.), Le temps long de Clairvaux. Nouvelles recherches, nouvelles perspectives (XIIe –XXIe siècle), Paris (Éditions d’art Somogy) 2017, 408 p., nombr. ill. en coul. , ISBN 978-2-7572-1083-3, EUR 30,00., in: Francia-Recensio 2017/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2017.4.43265