Die zu besprechende Festschrift vereinigt 36 Beiträge zu Ehren von Patrick Gautier Dalché, dessen Œuvre maßgeblich zu einer Neubewertung mittelalterlichen geografschen Wissens und zur Etablierung einer Kulturgeschichte des Raums beigetragen hat. Seine akademischen Weggefährten widmen sich auf gut 750 Seiten der »culture géographique« (Vorwort, S. 7) der Vormoderne und beschränken sich dabei nicht auf jene des christlichen lateinischen Europas, sondern beziehen jüdische, arabische und persische Raumvorstellungen mit ein. Die Gliederung des Bands in die Kategorien »Espaces sacrés«, »Images du monde«, »Lieux«, »Itinéraires« und »Transmission« soll die Vielfalt der Raumwahrnehmungen und ihrer Praktiken abbilden, wobei die Zuordnung nicht immer überzeugt und teilweise dem Bemühen um eine gleichmäßige Verteilung auf die einzelnen Sparten geschuldet zu sein scheint. So hätten die Texte von Christine Gadrat-Ouerfelli und von Vasco Resende besser in den Themenkomplex »Transmission« gepasst, doch hätte die Kategorie »Itinéraires« dann nur vier Beiträge umfasst. Die Zuordnung von P. D. A. Harveys Artikel zu den »Images du monde« statt zu »Transmission« wäre ebenfalls stimmiger gewesen.
An das 15 Seiten umfassende Publikationsverzeichnis des Geehrten schließt sich der erste Beitrag von François Bougard an, der ausgehend von verschiedenen Maiestas-Domini-Abbildungen in fünf karolingischen Handschriften eine Neuinterpretation des vielfach rezipierten Motivs entwickelt. Der kreisförmige Gegenstand zwischen den Fingern Christi, der bisher meist als Hostie oder/und Globus gedeutet wurde, stellt für Bougard eine Verarbeitung des Jesaias-Verses 40,12 dar. So sei weniger die Macht über den Erdball als vielmehr dessen Unermesslichkeit die Bildaussage, wodurch sich auch Varianten der Abbildung erklären ließen.
Barbara Obrist widmet sich der Frage, wann und in welchem Maße spezifsch christlich-theologisches Wissen die Kosmologie inhaltlich beeinfusste, konkret am Beispiel der Verortung der Hölle im Kosmos. Bei Honorius Augustodunensis fänden sich in einer Art »cosmographie sacrée« (S. 89) erstmals die grundlegenden Elemente eines christlichen Universums, mit der Hölle im Zentrum des Erdballs; die meisten Autoren hätten eine genaue Lokalisierung jedoch vermieden.
Jean-Pierre Rothschild verweist auf die mangelhafte Berücksichtigung jüdischer Quellen zu geografschem Wissen in der Forschung und identifziert hierfür fünf Quellentypen, von denen er drei auswählt. Trotz zahlreicher interessanter Einzelbeobachtungen und dichter Quellenbelege kann die Zusammenstellung der Beispiele nicht recht überzeugen; die Auswahl wirkt disparat und der große Zeitrahmen geht zu Lasten der jeweiligen Entstehungskontexte der untersuchten Quellen.
Die »Katalanische Weltkarte« der Biblioteca Estense in Modena (um 1450/1460) steht im Mittelpunkt der Ausführungen von Felicitas Schmieder. An ihrem Beispiel möchte sie zeigen, dass mittelalterliche mappae mundi nach einem mehrfachen Sinn zu lesen sind und durchaus den Anspruch hatten, eine »realistische« Weltabbildung zu schaffen, den wir durch die metrische Darstellungsweise als Maßstab für Realität nicht erfassen. Sie plädiert daher für eine Bewertung der Karten als mehr oder weniger »naturnah« anstatt »realistisch«. Zu lesen sind diese Überlegungen auch in anderen Aufsätzen der Autorin1 .
Marcia Kupfer konzentriert sich auf die Interpretation eines Gemäldes des Florentiner Künstlers Giovanni del Biondo (gest. 1398), auf dem die von Gregor dem Großen in den »Dialogi« 2,35 berichtete Vision des heiligen Benedikt abgebildet wird. Durch den raptus erblickt Benedikt die ganze Welt wie in einem Lichtstrahl, was der Maler durch dessen Aufblicken zu einer TO-Karte ausdrückt. Auffällig daran ist, dass die Erdteile Afrika und Europa vertauscht sind. Kupfer kann anhand weiterer Beispiele zeigen, dass dadurch das Wesen der Gottesschau gezeigt werden soll: Während der normale Gläubige Gott und seine Geheimnisse nur per speculum in aenigmate (S. 163) sehen kann, erlebt Benedikt die unmittelbare Schau, die sich für den Betrachter gespiegelt darstellt. Mit etwas Vorbehalt ist der These zu begegnen, das Bild enthalte zugleich das Wortspiel speculum-specula. Da, so Kupfer, in Gregors Bericht der Tropus specula zentral sei, hier als erhöhter Beobachtungspunkt zu verstehen, nehme del Biondo dies auf und führe das speculum als zweiten Tropus ein (S. 140). Es ist fraglich, ob man hier von Tropen sprechen kann; Gregor schildert die Visionsszene in einem Turm von Monte Cassino und verwendet dabei das (von Kupfer nicht zitierte) Wort turris, nicht specula. Es muss grundsätzlich gefragt werden, ob das Bild eine so enge Textbeziehung zu den »Dialogi« aufweist, wie die Kunsthistorikerin schreibt; gerade, weil sie auch auf Abweichungen verweist, liegt der Gedanke näher, dass del Biondo sein Wissen über das Ereignis vielleicht nicht nur aus der direkten Gregor-Lektüre bezog.
Michele Campopiano behandelt die Herstellung und Verbreitung von Karten und Texten über das Heilige Land durch die Franziskaner auf dem Berg Sion. So wurden die Raumerfahrungen der Pilger etwa durch Listen gelenkt, an denen die heiligen Orte mitsamt der dort zu erwerbenden Ablässe verzeichnet waren. Campopiano geht dann auf den »Liber secretorum fdelium crucis« ein, eine Sammlung für ein Kreuzzugsvorhaben Johannes’ XXII., die von einer Kommission aus drei Franziskanern und einem Dominikaner erstellt wurde. Es fndet sich dort eine Einteilung des Heiligen Landes in ein Gitternetz, in dem die Heiligen Orte lokalisiert werden. Auch der Konvent in Jerusalem bewahrte Texte und Karten mit ähnlichen Raumdarstellungen. In der Gesamtbetrachtung sieht Campopiano Monte Zion als Zentrum der Ausarbeitung und Verbreitung (heils)geografschen Wissens. Er ordnet die Karten-Rezeption der Franziskaner in deren Kultur ein, in der die Neigung bestanden habe, zu abstrahieren und Räume schematisch darzustellen.
Margriet Hoogvliet untersucht ein Ensemble von Installationen und Gegenständen (Kreuzwege, Kopien der Grabeskirche oder des Heiligen Grabes, Nagelnachbildungen) vorwiegend im spätmittelalterlichen Frankreich. Sie haben gemeinsam, die Räume der Passion wieder im Originalmaß erschaffen zu wollen, um damit die zeittypische Frömmigkeitserfahrung des Mitleidens zu ermöglichen.
Catherine Delano-Smith unternimmt es, die Illustrationen von etwa 30 Handschriften und Drucken der »Postilla Litteralis« (1323‒1332) von Nicolaus von Lyra zu vergleichen; von ihr sind gut 800 Manuskripte und 50 Druckausgaben erhalten. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass man keinesfalls von konstanten Darstellungs- oder gar Standardformen ausgehen könne. Die Zeichnungen sollten besonders an komplizierten Textstellen angewendet werden, doch spiegeln sich teilweise Text-Missverständnisse in den Illustrationen wider. Ein Teil der Veränderungen in den Abbildungen könne auch der Anpassung an ein neues Zielpublikum geschuldet sein.
Der Abschnitt »Images du monde« wird von Richard Talbert, in Zusammenarbeit mit George Bevan und Daryn Lehoux, eingeleitet. Sie wenden die Refectance Transformation Imaging (RTI)-Technik auf eine tragbare antike Sonnenuhr an, bei der je nach Aufenthaltsort die Scheibe gewechselt werden und damit grob die Zeit bestimmt werden konnte; die RTI-Technik lässt vorher unleserliche Ortsinschriften erscheinen. Da durch die Nennung von Regionen und darin liegenden Städten eine gewisse Redundanz entstehe, müsse dies vielleicht als Ausdruck des Anspruchs gelten, das gesamte Römische Reich erfassen zu können.
Didier Marcotte konzentriert sich auf die Weltbeschreibung zu Beginn von Orosius’ Geschichtswerk. Neben deren Struktur, Terminologie und Rezeption von antikem Wissen behandelt er die Bedeutung von Orosius’ Formulierung orbis triquadrus. Unter anderem kann Marcotte zeigen, dass das Vorgehen des Autors beim Organisieren seines Stoffes dem eines antiken Landvermessers ähnelt, worin auch der Schlüssel zum Verständnis des nur hier belegten Adjektivs triquadrus liegt. Demnach wäre quadra eine Übersetzung von πλινθίον, was, wie bei Eratosthenes, eine abgesteckte Landmasse bezeichnen kann.
Stéphane Lebreton widmet sich der in der Forschung vernachlässigten »Expositio totius mundi et gentium« (um 359 entstanden, ursprünglich vielleicht von einem in Tyros stationierten Syrer auf Griechisch verfasst). Wie Marcotte versucht Lebreton, auf Basis der Untersuchung der Binnenstruktur zu neuen Erkenntnissen hinsichtlich der Bedeutung der Texte zu kommen. So gelangt er zu dem Ergebnis, dass die Beschreibung ein fktives Itinerar evoziert, das mnemotechnischen Zwecken dient, und betont daher den didaktischen Charakter des Werks.
Auf den folgenden sechseinhalb Seiten legt Christiane Deluz einige Überlegungen zum Charakter der Vorstellung eines kugelförmigen Kosmos dar und assoziiert diese mit Idealvorstellungen eines abgrenzenden, schutzbietenden hortus conclusus. Leider ähnelt der Beitrag eher einer Ansammlung von Gemeinplätzen, was die Autorin am Schluss selbst andeutet (»Ces quelques remarques n’apprendront rien à Patrick Gautier Dalché«, S. 317).
Die Ausführungen von Francesco Prontera zur Ikonografe des Kaukasus/ Taurus ergänzen sich gut mit den vorausgegangenen von Didier Marcotte zu Orosius. Der Althistoriker kann an seinem Beispiel plausibel machen, wie mittelalterliche Weltkarten antike geografsche Schemata konservierten, indem er drei Darstellungstypen des Gebirges bei lateinischen Autoren (Pomponius Mela, Plinius d. Ä., Orosius) identifziert, die ihren Weg dann in die Tabula Peutingeriana oder die Ebstorfer Weltkarte fanden.
Die Sektion »Lieux« eröffnet Jehan Desanges mit seinen Erwägungen zur Bedeutung des Ausdrucks Μεταγώνιον bei verschiedenen griechischsprachigen Autoren des 5. vorchristlichen bis 2. nachchristlichen Jahrhunderts in ihren Beschreibungen Libyens. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Vokabel und ihren Ableitungen um eine je nach Autor variierende Ortsbezeichnung für Kaps, Gegenden, eine Stadt oder auch Stämme Nordafrikas handeln kann.
Corrado Zedda und Raimondo Pinna setzen sich in ihrem Beitrag mit der stereotypen Beschreibung Sardiniens in Fernand Braudels »La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’époque de Philippe II« auseinander. Gegen die Einschätzung von der Isolation Sardiniens führen sie insbesondere die päpstliche Sardinien-Politik an, die eine zeitgenössische Wahrnehmung einer Einheit Sardiniens und Korsikas mit vielfältigen Kontakten aufweist. Problematisch an derartigen refutationes ist aber grundsätzlich, dass die dahinterstehenden Kategorisierungsmuster nicht an sich in Frage gestellt werden, sondern über die Widerlegung indirekt bestätigt werden.
Obwohl im arabischen Kulturkreis ab dem 9.Jahrhundert die Idee eines Nilursprungs in den Bergen südlich des Äquators verbreiteter war, blieb auch dort die bei den lateinischen Autoren gängige Ansicht eines Ursprungs in Westafrika bestehen. Robin Seignobos verfolgt die Genese dieses Wissens und zeigt, dass die wenigen arabischen Zeugnisse der Theorie auf Plinius d. Ä. und Orosius und damit letztlich auf Promathos von Samos zurückgehen. In den im 10./11.Jahrhundert angefertigten arabischen Orosius-Übersetzungen wurde die entsprechende Passage meist nur aus Vollständigkeitsgründen rezipiert. Daneben fnden sich Berichte arabischer Autoren von einem Nilzufuss im Westen, etwa bei al-Uswānī.
Marica Milanesi stellt dar, wie Gerhard Mercator (»Nova et aucta orbis terrae descriptio […]«, 1559) sich bei der Frage nach der Lokalisierung des Ganges teils wider besseren Wissens von dem Bemühen leiten ließ, die Richtigkeit der ptolemäischen Angaben zu beweisen und die Erkenntnisse der zeitgenössischen Entdeckungsfahrten auszublenden, sodass man darin eine »sort of obsession« (S. 399) bei ihm sehen könne. Ihr Artikel hätte durch eine stärkere Artikulation ihrer Forschungsfrage sowie deren Einbettung in den Forschungskontext noch gewinnen können.
Paul Fermon geht der Frage nach, was für Abbildungen von Orten unter der seit dem 14.Jahrhundert verwendeten Bezeichnung (vray) pourtraict genau zu verstehen sei. Seine Beispiele von Darstellungen der nordfranzösischen Gemeinde Saint-Omer aus dem 15. und 16.Jahrhundert machen deutlich, dass es sich dabei um Kunstprodukte handelte, die wahrgenommene Realitäten abbilden wollten, keine gemessenen.
Der Beitrag von Camille Serchuk untersucht die Verwertung eigens angefertigter Landkarten in gerichtlichen Streitfällen am Beispiel eines Prozesses in Thelle (Département Oise) in den 1540er Jahren. Die Kunsthistorikerin rekonstruiert, wie das künstlerische Selbstverständnis der für den spezifschen Streitfall bestellten beiden Maler deren Bemühungen um eine realitätsgetreue Darstellung des umstrittenen Waldstücks inklusive der dafür angewendeten visuellen Überzeugungsmittel konterkarierte. Dieser Zusammenhang wurde von den Zeitgenossen nicht refektiert, die von einem mehr oder weniger genauen Abbild, nie aber von einer Interpretation des Gesehenen auf der Karte ausgingen.
Shoichi Sato leitet den vierten Abschnitt »Itinéraires« der Festschrift ein – dies jedoch leider gleich mit einem Übersetzungsfehler. Das lateinische Zitat der Artikelüberschrift »›Fugi in Toringia, latita aliquantulum ibi‹. Pourquoi Childéric Ier s’exila-t-il en Thuringe?« übersetzt er als wörtliche Rede Childerichs »Je dus m’enfuir en Thuringe, afn de m’y cacher quelque temps« (S. 467). Dabei ist es in diesem Auszug aus der Ps.-Fredegarchronik Wiomadus, der zu Childerich spricht und die Imperative fugi und latita verwendet; im Latein des Ps.-Fredegar fand ein Konjugationswechsel von fugere zu fugire statt2 . Sato sucht nach Gründen für Thüringen als Exil Childerichs (von ca. 456 bis 463) und will dabei den aktuellen Forschungsstand präsentieren. Letzteres erklärt wohl, warum er eher auf Umwegen zu seiner Ausgangsfrage zurückkommt und sie damit beantwortetet, dass das Exil aufgrund der Byzanzkontakte der Thüringer strategisch gewählt worden sei (Sato spricht sich für die Glaubwürdigkeit der umstrittenen Passage bei Fredegar aus, Childerich sei während seines Exils nach Konstantinopel gereist).
Mit Raumvorstellungen in den Viten des hl. Gallus befasst sich Natalia Lozovsky. Während der Autor Wetti die Taten des Gallus in einen universalen Raum und das allgemeine kosmische Geschehen einbette, schreibe Walahfrid spezifscher, indem er einen geografschen Exkurs zu Gallus’ Geburtsort Irland und seinem Ankunftsort Alemannien einbaut und dies mit ethnischen Betrachtungen zu Franken und Alemannen verknüpft. Dieser letzte Punkt werde bei Ermenrich weiter ausgebaut.
Stefano Pittaluga widmet sich auf achteinhalb Seiten den Reisemotiven in vier Komödien des 12.‒15.Jahrhunderts. Angesichts der Kürze gerät die Synthesebildung leider zu knapp; auch die Auswahl hätte noch stärker begründet werden müssen.
Piraterie im Ärmelkanal ist das Thema des Aufsatzes von Mathieu Arnoux. Er rekonstruiert den Fall eines im Mai 1316 von dem französischen königlichen Admiral, Berengar Blanc verübten Schiffsraubs, bei dem dieser ein genuesisches Schiff mit einer enormen Menge Weizen an Bord erbeutete. Die von Arnoux untersuchten Dokumente weisen auf ein Verfahren, in dem die genuesischen Kaufeute eine Entschädigung des englischen Königs fordern, die dieser wiederum an den französischen weiterreicht. Mithilfe von Briefen und genuesischen Akten kann der Autor zeigen, dass der Weizen ursprünglich aus Marokko stammte. Angesicht der in England herrschenden Hungersnot reichten Importe aus der näheren Umgebung demnach nicht aus. Die Initiative scheine als Handelsaktivität von genuesischen Kaufeuten ausgegangen zu sein, bei der das Risiko allein bei diesen gelegen habe.
Christine Gadrat-Ouerfelli geht dem Rezeptions- und Überlieferungsprozess des ersten Briefes von Johannes de Montecorvino nach, den der Franziskaner auf seiner Mission von Indien aus um 1292 verfasste. Dieser enthält Informationen zu Klima, Ressourcen, Glaubensvorstellungen und Seefahrt im Indischen Ozean. Das Schreiben ist nur in einer gekürzten italienischen Übersetzung als Insert in einem Brief an Bartholomäus de Sancto Concordio († 1347) erhalten. Durch die Untersuchung des Überlieferungskontextes kann die Autorin wahrscheinlich machen, dass Bartholomäus selbst die Übersetzung anfertigte.
Vasco Resende befasst sich mit der Verbreitung der portugiesischen Edition des Berichts von Marco Polo. Er schlussfolgert, dass der Edition im Vergleich zur spanischen kein großer Erfolg beschieden war, was er zum einen mit der niedrigen Aufage, zum anderen mit der großen Beliebtheit des »Novus Orbis regionum […]« von Johannes Huttich und Simon Grynaeus erklärt – warum Letzteres die spanische Edition nicht berührte, müsste noch diskutiert werden.
In das Reich des persischen Großkönigs Chosrau I. führt der Beitrag von Anca Dan, die zugleich die Sektion »Transmission« eröffnet. Sie analysiert die »Solutiones ad Chosroem« des Priskian von Lydien, die dieser nach der Schließung der Akademie von Athen um 531‒532 im persischen Exil verfasste. Dan geht von einem tatsächlich stattgefundenen Austausch zwischen dem König und dem Neuplatoniker Priskian aus, diskutiert minutiös die Quellen der Schrift und stellt überzeugend dar, wie zoroastrische Religion und persische Literatur die Fragen des Königs beeinfussen. Hier zeige sich eine kulturelle Differenz, durch welche Priskian den Hintergrund der Fragen nicht verstehe, die ihn aber einen Vergleich der Systeme unternehmen lasse. Zugleich handele es sich bei den »Solutiones« um eine Einführung in die neuplatonische Philosophie. Dan verweist im Zusammenhang mit der Frage nach dem Aufenthalt Priskians auf eine Passage über den Hundewahn in persischen Regionen; diese enthalte Details über den Krankheitsverlauf, die vielleicht auch aus eigener Anschauung gewonnen worden seien. Hier könnte ein Vergleich mit den entsprechenden Passagen zum Hundewahn bei Aetius von Amida weitere interessante Erkenntnisse zeitigen3 .
Jean-Patrice Boudet behandelt das ursprünglich griechische »Centiloquium« des Ps.-Ptolemäus, dessen lateinische Übersetzungen wohl auf den arabischen »Kitāb al-ṯamara« zurückgehen. Dessen Quelle, die Astronomie-Einführung des Abū Maʼšar, habe stärker auf die Übersetzungen gewirkt, da hier wie dort astrale Kausalität nur implizit ein Thema sei.
Iolanda Venturas Untersuchungsgegenstand ist das 1150‒1170 verfasste, weit verbreitete Arzneibuch »Liber de simplici medicina«. Auch wenn ihre Darstellung des Zusammenhangs von Handschriftengestaltung und Nutzerbedürfnissen überzeugt, muss doch angemerkt werden, dass der Beitrag innerhalb des Sammelbandes etwas themenfremd erscheint
Jean-Charles Ducène versucht, die im »Buch der Geografe« (nach 1260) von Ibn Saʻīd al-Maġribī als Quelle genannte »Ğuġrāfyā« näher zu bestimmen und gelangt zu dem Ergebnis, dass es sich um eine Karte aller bekannten Kontinente inklusive ihrer Ortschaften, Inseln und Klimazonen gehandelt haben muss, deren Autor aber noch nicht ausgemacht werden kann.
Mit den geografschen Interessen französischer Humanisten beschäftigt sich Nathalie Bouloux, die die Lektürenotizen des Amtsträgers Simon de Plumetot (* 1371) zur Geografe des antiken Gallien untersucht (Caesar, Ptolemäus). Demnach habe das Erkenntnisinteresse Simons eher dem der italienischen Gelehrten geglichen, denen an einer Rekonstruktion des antiken Raums gelegen war, während die französischen Vertreter die Texte zur vertieften Refexion über den Raum ihrer Zeit nutzten.
Der Konstruktion der angelsächsischen Heptarchie sind die Ausführungen von Alfred Hiatt gewidmet. Durch die Zusammenstellung von entsprechenden Darstellungen der angeblich sieben Reiche angelsächsischer Kleinkönige (5.‒9. Jahrhundert) in Quellen des 13. bis späten 16.Jahrhunderts kommt er zu dem Schluss, dass die Frühphase der Historischen Geografe im 16.Jahrhundert noch stark von ihren mittelalterlichen Vorlagen geprägt war.
Angelo Cattaneo beschäftigt sich mit dem Prozess des Vergessens und Wiederentdeckens des Fra Mauro als Autor der nach ihm benannten Weltkarte. Schon kurz nach seinem Tod (1459/1464) habe das Wegschließen seiner Dokumente durch die Kamaldulenser, bei denen er Konverse gewesen war, für sein Vergessen gesorgt. Erst der Kamaldulenser und Professor für Nautik und Geografe, Abondio Collina (1691‒1753) sprach ihm die Karte wieder zu.
Emmanuelle Vagnon unterzieht die Handschrift Bibliothèque nationale de France, ms. français 2794 einer genaueren Untersuchung. Die Sammlung nautischer Unterweisungen mit 220 farbigen Karten könne zur Ausbildungslektüre des jungen französischen Königs Franz I. gehört haben und Zeugnis für ein erneuertes Interesse an der Seefahrt sein; möglicherweise habe es sich um ein Geschenk des königlichen Beraters Artus de Gouffer gehandelt.
Die Ausführungen P. D. A. Harveys zu spiegelverkehrten Karten stellen eine willkommene Ergänzung zu Marcia Kupfers Artikel dar. Der Historiker geht davon aus, dass diesen Karten oftmals die vom Zentrum der Erde her gedachte »Wurmperspektive« zugrunde lag. In seiner Besprechung von fünf Karten und Plänen aus dem 16. und 17.Jahrhundert kommt er jedoch auch zu anderen Ursachen der ungewohnten Darstellung, etwa dass eine Karte auf Basis einer Aufistung der Orte ohne Angabe von Himmelsrichtungen erstellt worden sein könne.
Georges Tolias beschließt den Band mit einer Einordnung der »Parallela geographiae veteris et novae« des Jesuiten Philippe Briet (1601‒1668). Aufgrund ihrer Struktur mit streng defnierten Rubriken und dem systematischen Rückgriff auf Karten und Diagramme sei deren Erscheinen als Wendepunkt im geografschen Editionswesen zu betrachten.
Der Band besticht durch seine hochwertige Anlage inklusive zahlreicher farbiger Abbildungen und sein überwiegend sorgfältiges Lektorat. Nur wenige Beiträge weichen von den allgemein eingehaltenen ca. 20 Textseiten Umfang ab und verzichten auf die im Übrigen gelieferten Quellenübersetzungen. Die Artikel sind in französischer (22), englischer (8), italienischer (5) und deutscher (1) Sprache verfasst und werden am Ende des Bandes durch englischsprachige Abstracts in der Regel zufriedenstellend zusammengefasst. Im Falle der Beiträge von Emmanuelle Vagnon und von Shoichi Sato treffen die Abstracts ihre Argumentationen nur bedingt. Bei Christine Deluz wurde der Aufsatztitel nur unvollständig übersetzt. Paul Fermons Abstract nimmt im Unterschied zu den anderen, knapp gehaltenen beinahe eine Seite ein.
Ein Abbildungsverzeichnis, ein Index codicum, ein Index nominum, der die Namen antiker, mittelalterlicher und moderner Autoren in ihrer französischen Form enthält, und ein Inhaltsverzeichnis erschließen den Band; ein Ortsregister fehlt leider. Der Großteil der Beiträge zeichnet sich durch eine quellennahe Argumentationsführung, eine klare Thesenentwicklung und eine umfassende Verarbeitung mehrsprachiger Forschungsliteratur aus; vielfach wird bislang unpubliziertes Quellenmaterial verwertet und im Anhang ediert. Insgesamt vereinigt die Festschrift ein faszinierendes Spektrum der von Patrick Gautier Dalchés Forschungen angestoßenen Themenfelder.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Anne Greule, Rezension von/compte rendu de: Nathalie Bouloux, Anca Dan, Georges Tolias (dir.), Orbis Disciplinae. Hommages en l’honneur de Patrick Gautier Dalché, Turnhout (Brepols) 2017, 841 p., 46 ill. en n/b, 82 ill. en coul., ISBN 978-2-503-56705-1, EUR 127,36., in: Francia-Recensio 2017/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2017.4.43270