»The major problem was how to make Frederick comprehensible to readers, including many professional medievalists, who know little about the history or geography of twelfth-century Germany and Italy« (S. VIII). John B. Freed – emeritierter Professor für Geschichte an der Illinois State University in den USA – stellt sich dieser Herausforderung mit einem monumentalen Buch über den Staufer, das in souveräner Kenntnis der Ereignisse die politische Geschichte des Reichs in ganzer Breite thematisiert. Die Darstellung wird gerahmt von willkommenen Hinweisen auf die Barbarossa-Rezeption und wirkmächtige Verzerrungen durch die nationalpatriotische Geschichtsschreibung seit dem 19.Jahrhundert (S.XVII–XXXIV und S. 518–537). Die knappe Bündelung der Ergebnisse (S. 514–517) plädiert – gegenüber dem älteren Lob auf Barbarossas Zentralisierungsbemühungen – für einen Vergleich mit der Hausmachtspolitik Rudolfs von Habsburg; Barbarossa »furthered the decentralization of authority that characterizied the Holy Roman Empire« (S. 517) und »was a typical German prince of his era, whose primary concerns were the preservation of his honor and the enrichment and continuation of his dynasty« (S. 516): »Rarely has a historical figure been more misinterpreted and his public persona more shaped by legends and momentary political needs« (S. 537).
Abgesehen von einem systematisch angelegten Abschnitt »Itinerant kingship« (S. 89–110), der die Funktionsweise von Herrschaft ohne Bürokratie illustriert, ist das Buch in 16 streng chronologische Kapitel aufgebaut und wird über weite Strecken von Otto von Freising, Rahewin und dem sog. Ansbert regiert. Vollends ab den Würzburger Eiden 1165 dominiert das knappe Referat der schieren Ereignisfülle zum Nachteil deutender Problematisierung; so genügen für die Belagerung von Alessandria 1175 eine halbe Seite und für die Schlacht von Legnano 1176 wenige Zeilen, während für 1158–1162 noch die Gefangennahme einzelner Ritter vermerkt wird.
Aufmerksam verfolgt Freed, darin seinen Forschungsinteressen verpflichtet1 , persönliche Bindungen sowie die Besitz- und Territorialverhältnisse, dabei immer sensibel für die Bedeutung freundschaftlicher oder verwandtschaftlicher Bindungen und der daraus resultierenden Erwartungen (z. B. zu Barbarossas Bruder Konrad, S. 173–178, oder zu seiner Schwester, S. 185). Öfter ist die Erwähnung einer Person Anlass, urkundlichen Belegen für ihre Präsenz am Hof nachzugehen, sodass Barbarossas Politik in vielen Facetten deutlicher als bislang als Verwandtenpolitik erkennbar und damit eingelöst wird, was Karl Leyser skizzierte2 . Ebenso konsequente Beachtung finden die Beziehungen zu den westeuropäischen Monarchen und zu Byzanz.
Die oft ausführlichen und sorgfältig abwägenden Anmerkungen liefern sozusagen die Literaturhinweise nach, die man in den einschlägigen »Regesta Imperii« schmerzlich vermisst. Das erleichtert – nicht nur –- dem englischsprachigen Publikum die Orientierung im Gang der Forschung. Der Rezensent freut sich über die Übereinstimmung in der Bewertung des honor imperii für die Eskalation der Konflikte mit Mailand und Alexander III. – und hätte gerne auch Freeds Meinung zu seinen Deutungsvorschlägen zu Besançon 1157, Roncaglia 1158, Karlskanonisation 1165, Chiavenna 1176, Venedig 1177 oder dem Mainzer Hoftag 1184 erfahren3 , aber gerade zu diesen Hauptereignissen fällt der Literaturkommentar recht selektiv aus.
Wenigstens auf einige von Freeds vielen anregenden Deutungen sei hingewiesen: Barbarossas Geburt wahrscheinlich in Hagenau (S. 10,15); Wiener Krone angefertigt für Konrad III. (S. 58f.); Verbindung zwischen Barbarossas Vater und den Cappenberger Grafen als Ursache späterer Förderung der Prämonstratenser (S. 21); Beziehungen zu Otto von Cappenberg und Bischof Hartmann von Brixen als den Repräsentanten der neuen religiösen Orden der Prämonstratenser und der Augustinerchorherren wichtig für Barbarossas Frömmigkeit (S. 35–38); Erhebung Wichmanns zum Erzbischof als Hulderweis gegenüber Konrad von Wettin (S. 71); Kreuzzugsprojekt 1165 ein Versuch zu gesichtswahrender Beilegung des Schisma (S. 322), ähnlich Barbarossas Anspruch auf Einberufung eines Konzils noch 1177 (S. 386); Barbarossas zweigleisige Verhandlungsstrategie gegenüber Alexander 1177 als »a medieval version of the ›good cop/bad cop‹ routine« (S. 405). In der Einschätzung der Zeremonie vor San Marco 1177 schwankt Freed zwischen Barbarossas »public personal humiliation« (S.XXI, 408) und der gewiss zutreffenderen Annahme, sie habe den Kaiser nicht demütigen sollen, sondern »the pope and emperor’s mutual recognition of each other’s authority« demonstriert (S. 410).
Kontrovers diskutieren kann man, dass Otto von Cappenberg Barbarossas Pate wurde, weil er repräsentativ für den Ausgleich im Wormser Konkordat stand (S. 18, 27), oder der Cappenberger Kopf eine dem Bild Sibotos IV. im Falkensteiner Codex ähnliche Memorialfunktion hat (S. 26). Und haben die älteren Deutungen, wonach die von Konrad III. verwendete Ordnungszahl secundus seinen Anspruch auf Ausübung kaiserlicher Rechte vor der Kaiserkrönung signalisiert (S. 56), der Papst im Konstanzer Vertrag »quietly« eine »feudal interpretation of the imperial coronation« (S. 119) eingebaut und mit beneficium bewusst ein zweideutiges Wort gewählt habe (S. 205), noch Bestand? Dass Barbarossas »personal pique« erst bei der Belagerung von Alessandria über politische und strategische Überlegungen triumphierte (S. 380) – und nicht schon beim ersten Italienzug oder bei der römischen Doppelwahl –, erklärt sich aus Freeds Annahme, die Italienpolitik seit 1156 sei ein Versuch »to establish his own territorial lordship in Lombardy« (S. 85, 197, 217, 516), weil Barbarossa das Herzogtum Schwaben seinem 1156 volljährig gewordenen Vetter Friedrich (von Rothenburg) übertragen musste; aber spricht der große Anteil der Reichsfürsten gerade am zweiten Italienzug tatsächlich für ein so dynastisch orientiertes Projekt? Auch lernte Barbarossa nicht erst in seinen letzten Lebensjahren, bei schlechten Nachrichten emotionale Ausbrüche zu unterdrücken (S. 515), denn diese Art politisch gebotener und höfisch kultivierter dissimulatio hielt Rahewin schon als Reaktion auf die Eroberung von Trezzo 1158 für charakteristisch.
Mit der Annahme, Barbarossa habe nach 1167 Kontakt zu den Fürsten eingebüßt (S. 349f., 378), baut Freed die bekannte Deutung wachsender Dominanz staufischer Verwandter und Ministerialen in den Zeugenlisten der Urkunden weiter aus. Das Dilemma dieser Einschätzung liegt im Schweigen des statistischen Befundes an sich – und in der fehlenden Suche nach den Motiven der Fürsten. Wie ist die fehlende Eidleistung von Reichsfürsten 1177 als »symptomatic of their withdrawl from imperial affairs during the last two decades of Frederick’s reign« (S. 413) zu vereinbaren etwa mit der Königswahl Heinrichs VI. 1169, dem fürstlichen Andrang zum Mainzer Hoftag 1184 oder der geschlossenen Haltung des Reichsepiskopats gegenüber Urban III. 1186? Und war Barbarossas Teilnahme an den Reiterspielen in Mainz ein Zeichen von »diminution in his status« (S. 449)? Wäre dann nicht auch schon seine persönliche Teilnahme an früheren Kämpfen, die mit dem Turnier evoziert wurde, ein weiterer Beleg für seinen Statusverlust? Und belegt die Teilnahme der Herzöge von Schwaben, Böhmen und Österreich sowie des Landgrafen von Thüringen am Dritten Kreuzzug tatsächlich fehlende Unterstützung »among the lay princes«, weil sie alle Verwandte Barbarossas waren (S. 473)? Ein Vergleich mit den Teilnehmern am Zweiten Kreuzzug hätte mehr Tiefenschärfe erlaubt. Dass die Jahre nach 1167 nur als »coda« (S. 348) erscheinen, ist vor allem dem weitgehenden Ausfall hofnaher erzählender Quellen geschuldet. Jedenfalls verdient die These vom Integrationsverlust des Hofs ebenso kritische Auseinandersetzung4 wie Johannes Laudages – von Freed übernommene (S. 122, 128, 573 Anm. 53) – Einschätzung der Erzählung Otto Morenas über den Ausbruch des Konflikts mit Mailand als »ätiologische Sage«5 .
Freeds Zurückweisung der älteren Verklärung des Staufers zum »Staatsmann«, sein Interesse an der Funktionsweise des mittelalterlichen Königtums und die breite Schilderung der politischen Geschichte machen sein Buch zu einem Standardwerk , wenngleich vielleicht weniger für die Verhältnisse in Italien. Handelt es sich um eine »Biografie« Barbarossas? Das Buch trägt diese Gattungsbezeichnung zwar nicht im Titel, aber beansprucht sie auf der ersten Seite (S. VIII). Kann eine politische Geschichte des Reichs während der Regierungszeit Barbarossas diesen Anspruch einlösen? Zwar ist die breite Heranziehung von Urkunden an sich begrüßenswert. Aber wie sind diese Texte angesichts zentraler methodischer Schwierigkeiten – Stichworte: Reskriptproblematik und Barbarossas Illiteralität – für eine dem biografischen Ansatz angemessene Erzählweise fruchtbar zu machen? Diese Frage bleibt offen, und sie ist nicht nebensächlich.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Knut Görich, Rezension von/compte rendu de: John B. Freed, Frederick Barbarossa. The Prince and the Myth, New Haven, London (Yale University Press) 2016, 704 p., 20 b/w ill., 4 maps, 4 genealogies, ISBN 978-0-300-12276-3, GBP 30,00., in: Francia-Recensio 2017/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2017.4.43276