Bekanntlich war für die französische Diplomatie nach eigenem Bekunden die Eidgenossenschaft der schwierigste und mühseligste Posten, den ein Botschafter erhalten konnte. Das vorliegende Buch zeigt mit einer überwältigenden Informationsdichte, die in einer kurzen Rezension gar nicht widergespiegelt werden kann, warum das so war. Schon die völkerrechtliche Frage in den französisch-eidgenössischen Beziehungen war komplex: Seit dem Westfälischen Frieden von 1648 waren die eidgenössischen Orte und ihre Gesamtheit als souverän anerkannt, was sich in ihrem Recht, Botschafter zu entsenden manifestierte. In der Praxis aber hatten sie alle Mühe, dies gegenüber Frankreich durchzusetzen. Schon im Hofzeremoniell wurde ihnen das Tragen des Souveränitätshutes trotz aller Bemühungen verweigert. Wenn Affolter hier makrohistorisch vor allem auf den epochalen Bedeutungswandel abhebt, so wäre gerade bei Zeremoniellen eine mikrohistorische Perspektive differenzierter ausgefallen. Bei der großen Gesandtschaft von 1663 zeigt sich nämlich, dass den Eidgenossen zeremoniell doch erstaunlich weit entgegengekommen worden ist. Nicht nur wurden die Botschafter mit völlig unüblichen, zum Teil nur dem König zukommenden Ehrbezeugungen bedacht, anlässlich des Allianzeides in der Kathedrale von Notre-Dame mussten auch alle andern anwesenden Botschafter souveräner Staaten auf das Huttragen verzichten. Die mikrohistorische Methode hätte auch einen wirklichen Vergleich mit dem späteren Solothurner Zeremoniell ermöglicht. Aber es ist schon richtig: Die Eidgenossen, da sie eine eindeutige Anerkennung ihrer Souveränität über das Zeremoniell nicht erreichen konnten, verzichteten fernerhin darauf und gestalteten die Beziehung zum König nach dem Modell des Patronats.

Das Problem der Souveränität stellte sich auch bei Rechtsstreitigkeiten einzelner Orte mit der französischen Seite wegen der doppelten Loyalität von Bürgern, die zugleich in französischen Dienstverhältnissen standen. Affolter demonstriert dies mit dem Freiburger Streit um das Soldreglement, dem Stockschlaghandel in Basel und der Solothurner Affäre um La Chapelle. Während die eidgenössischen Orte sich gegen Eingriffe in ihre Autonomierechte mit Händen und Füßen wehrten, beanspruchte die französische Krone in den Einzelfällen eine sich aus der Patronage ergebende Ehrenpficht zur Protektion der in ihrem Dienstverhältnis Stehenden, was es ihr ermöglichte, sich auf einer anderen Ebenen ohne Verletzung der Souveränität durchzusetzen.

Das Klientel-Patronat-Modell dominierte denn auch die Beziehung zum in Solothurn residierenden Botschafter Dieser sah sich statt eines einzigen Informationszentrums einem polyarchischen System gegenüber, das überdies durch die konfessionelle Spaltung zerteilt war in überaus schwierig zu behandelnde protestantische und wohlgesinnte katholische Orte. Der Botschafter musste also ein weitgespanntes Beziehungsnetz mit Partikularen aufbauen und pfegen, seine Klienten mit öffentlichen und geheimen Pensionen zu Gegenleistungen in Form von politischen Einfussnahmen und Informationen animieren. Das geschah vorwiegend über eine ausgedehnte Korrespondenz, während persönliche Treffen mit Verbindungsleuten aus protestantischen Orten wegen drohender Strafen schier unmöglich waren und nur sporadisch an geheimen Orten stattfanden. Die noch erhaltenen ca. 4200 Briefe von über 200 aus der Eidgenossenschaft stammenden Korrespondenten, die der Botschafter d’Avaray oder sein Botschaftssekretär de La Martinière zwischen 1715 und 1726 erhielten, bilden – neben weiteren Korrespondenzen – die Hauptquelle Affolters. Die mit detektivischem Gespür betriebene Analyse der Praktiken dieser partikularen Kommunikation über das Medium des Briefs stellt eine Glanzleistung dar, die über das Thema der eidgenössisch-französischen Beziehung hinausführt und von allgemeinem Interesse ist. Das betrifft die Wahl der Übermittlungswege – ob Ordinariboten, Fischerpost oder teure Kuriere – , die Affolter anhand der Briefdatierungen und Verkehrspläne rekonstruiert, oder – da die Sendung immer Risiken der Indiskretion in sich barg – die verschiedenen Methoden, mit denen die Korrespondenten ihre Briefe gegen Übergriffe zu schützen suchten – etwa durch Deckadressen, Sendung sous couvert oder versteckt in Warentransporten, durch Anonymisierung von Absender und Empfänger oder durch Verstellen der Handschrift. Galten diese Maßnahmen dem Schutz der Personen, so dienten verschiedene Verschlüsselungstechniken, die Affolter auföst, dem Schutz der Inhalte, zumal sie arcana enthielten, auf deren Geheimhaltung besonders Bern und Zürich erpicht waren. Wechselte der Botschafter so musste das mühsam aufgebaute Beziehungsnetz dem Nachfolger zugänglich bleiben. Dafür sorgten die Botschafter durch entsprechende Archivierung, durch mündliche Informationen bei der Ablösung und durch ihre Schlussrelationen. Dabei ging es darum, die Korrespondenzpartner bezüglich ihres gesellschaftlichen und politischen Einfusses und ihrer Vertrauenswürdigkeit zu bewerten. Denn die Botschafter, zumal wenn sie neu waren, wurden auch von höchst zweifelhaften Anbietern angegangen. Affolter zeigt dies am Beispiel des Abenteurers Braconnier

Die Eidgenossen unterhielten am französischen Hof keinen festen Botschafter. Die gegenseitige diplomatische Vertretung war also ungleich. Sie suchten dieses Handicap durch parallele Kanäle zu beheben situationsgebunden durch den Rückgriff auf ihre Gardeoffziere in französischen Diensten oder auf Mitbürger, die als Botschafter fremder Staaten in Paris tätig waren. Das suchten die Ambassadeurs zu verhindern und sich allein als »canal ordinaire« zum französischen Hof zu behaupten. Dabei ging es um die Deutungshoheit über die Verhältnisse in der Eidgenossenschaft, da sich die Botschafter durch die Verbreitung abweichender Darstellungen in ihrer Aktivität beeinträchtigt sahen. Gerade d’Avaray sah sich genötigt, gegen die am französischen Hof durch eidgenössische Partikulare betriebenen Intrigen zu seiner Abberufung mit größtem Einsatz zur Wehr zu setzen.

Die Hauptaufgabe d’Avarays war die Erneuerung der Allianz mit allen Orten, mit der die durch die Sonderallianz mit den katholischen Orten von 1715 geschaffene Situation bereinigt werden sollte. Affolter bietet hier die erste genaue Untersuchung der komplexen Verhandlungen, die – als Voraussetzung zur Allianzerneuerung – zu einer Versöhnung der konfessionellen Lager und zur Restitution der nach dem zweiten Villmergerkrieg 1712 den katholischen Orten abgesprochenen Anteile an den Gemeinen Herrschaften führen sollten. Aber gerade in Bern erwiesen sie sich wegen der immer wieder ändernden Parteiungen und politischen Stimmungen als unberechenbar. Auch hier werden sehr quellennah all die Intrigen und Hindernisse, Ratsabstimmungen und Gegeninitiativen dargestellt, mit denen sich d’Avaray eben beim Verhandeln mit Republiken konfrontiert sah. Der Erfolg blieb ihm verwehrt. Erst 1777 kam es zur Allianzerneuerung.

Affolters hochinformatives Buch stellt nicht nur einen grundlegenden Beitrag zur Kenntnis der konkreten Ausgestaltung des Verhältnisses zu Frankreich dar, sondern gibt auch wertvolle Aufschlüsse zu den Verhältnissen in der Schweiz des frühen 18. Jahrhunderts.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Guy P. Marchal, Rezension von/compte rendu de: Andreas Affolter, Verhandeln mit Republiken. Die französisch-eidgenössischen Beziehungen im frühen 18.Jahrhundert, Köln, Weimar, Wien (Böhlau) 2017, 455 S. (Externa: Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 11), ISBN 978-3-412-50717-6, EUR 70,00., in: Francia-Recensio 2017/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2017.4.43373