Montesquieu hat ohne Zweifel viel dazu beigetragen, zentrale Elemente des modernen Verfassungs- und Rechtsstaates zu formulieren – und dennoch gibt es Fragen über die politische Wirkungsabsicht seines Werkes. Autoren wie David W. Carrithers, Annelien de Dijn und Lee Ward haben in letzter Zeit versucht1, Montesquieu ideengeschichtlich neu einzuordnen, indem sie ihn nicht länger als Liberalen interpretieren2, sondern als konservativen Gegner der absoluten Monarchie. Auch Andrew Scott Bibbys Arbeit ist im Rahmen dieses jüngsten wissenschaftlichen Interpretationsansatzes zu lesen.

Der Titel seiner Monographie mag zunächst verwirren. Montesquieu, ein politischer Ökonom? Gewiss, der Aufklärer räumt dem Handel einen zentralen Stellenwert in seinem Hauptwerk ein und diskutiert mit und gegen die führenden Merkantilisten und Physiokraten seiner Zeit die sich aus den neu entstandenen Märkten ergebenden Anforderungen an staatliches Handeln. Dass dies wichtige politische Fragen der Zeit sind, zeigen die Artikel der Enzyklopädie. Besonders erwähnenswert sind die kritischen Beiträge von Louis de Jaucourt und Denis Diderot zur Steuer (impôt), Salzsteuer (impôt sur le sel) und zum Zwanzigsten (vingtième). Den entscheidenden Essay zu dem Thema verfasst unter den Enzyklopädisten jedoch Jean-Jacques Rousseau, der in seiner Abhandlung über die politische Ökonomie die volonté générale zum Grundsatz der öffentlichen Wirtschaft und zur Legitimationsgrundlage administrativen Handelns macht. Der Staat habe in seiner Steuerungsfunktion sowohl die Freiheit jedes einzelnen Bürgers, wie die aller zu sichern. Gemeinwohl und individuelle Freiheit müssen für den Autor zusammengebracht werden.

Der Verweis auf Rousseau mag genügen, um anzudeuten, dass Wirtschaft, Handel und Rechtsstaat in den Kreisen der Aufklärer zusammengedacht werden. Bibbys Überlegung, über die politische Ökonomie Montesquieus »De l’esprit des lois« zu entschlüsseln, ist daher ein innovativer Ansatz. Ganz ähnlich Rousseaus interessiert sich Montesquieu wenig für wirtschaftliche Förderprogramme. Sein Fokus liegt auf den rechtlichen und institutionellen Voraussetzungen des freien Handels. So betrachtete er den Handel denn auch nicht als »natürlich«, wie etwa jene Liberalen, die die Wirtschaft zunehmend als selbständige gesellschaftliche Sphäre begreifen, die nicht den Staat untergeordnet werden dürfe. Für ihn ist es absurd zu glauben, dass die Natur selbst die Regeln für den Handel schaffe. Montesquieu besteht darauf, dass die Sicherheiten und Regeln, die der Handel für eine freie Entwicklung braucht, ohne menschliche Gesetze nicht existieren. Doch zugleich ist er auch ein scharfer Kritiker der französischen Wirtschafts- und Fiskalpolitik. Er beanstandet die enge Verbindung privater, wirtschaftlicher und politischer Ziele in der absoluten Monarchie. Und auch der Zentralismus in der Wirtschaftspolitik ist ihm ein Dorn im Auge.

Bibbys Versuch, Montesquieus Werk über die politische Ökonomie zu entschlüsseln, beruht nicht auf der irrigen Annahme, dass Montesquieu in Fragen von Wirtschaft und Handel seiner Zeit weit voraus gewesen wäre und es hier noch eine vernachlässigte Seite des Autors zu entdecken gebe. Vielmehr entdeckt er über die politische Ökonomie einen ganz eigenen Zugang zu seiner politischen Theorie. Bibby verfolgt mit seinem Buch deshalb genau zwei Ziele: Erstens möchte er dem Leser Montesquieus durchaus komplexes Verständnis der ökonomischen Debatten seiner Zeit darlegen. Und zweitens will er dessen Kritik an den zeitgenössischen ökonomischen Theorien mit den anderen Themen in »De l’esprit des lois« verbinden, um so die politische Stoßrichtung dieses Werkes zu entschlüsseln.

Die ersten drei Kapitel seines Buches beziehen sich auf den ersten Zweck. Das erste Kapitel zielt darauf ab, Autoren der politischen Ökonomie zu nennen, die Montesquieus Denken wahrscheinlich beeinfusst haben. Kapitel 2 behandelt das 20. Buch von »De l’esprit des lois«. Montesquieu skizziert hierin Grundsätze seiner politischen Ökonomie, einschließlich der »Ursachen« und »Effekte« des Handels. In Kapitel 3 rückt Bibby die sozio-moralischen Einfüsse des Handels in den Mittelpunkt, wie sie Montesquieu anhand der französischen Monarchie darlegt. Sein kritischer Blick auf die Auswirkungen spezifscher Gesetze zur Regulierung von Wirtschaft und Handel zeigen seine Bedenken hinsichtlich der sozialen Transformation der Gesellschaft und der zunehmenden Verdrängung des Adels aus seinen gesellschaftlichen Machtpositionen. Damit kommt Bibby zur eigentlichen politischen Aussage von Montesquieus Werk. Diese erläutert er in den drei letzten Kapiteln seines Buches. In Kapitel 4 entfaltet er die »Geschichte des Handels«, die Montesquieu im 21. Buch darlegt. Er schildert, wie Montesquieu in dramatischer Weise die Errichtung einer Weltwirtschaft und ihren Niedergang in der Antike beschreibt und erinnert an die wechselvolle Geschichte von Handel und Christentum vom frühen Mittelalter bis zur Neuzeit, wie sie Montesquieu erzählt. In Kapitel 5 baut Bibby die sozio-moralische Perspektive auf den Handels und seine Rechtfertigung bzw. Verurteilung durch die Religionen aus. Schließlich untersucht er in Kapitel 6 die Sicht Montesquieus auf das Eigentumsrecht, die bisher wenig Aufmerksamkeit in der Forschung gefunden hat. Vor allem in diesem Kapitel wird Montesquieu als konservativer Verteidiger der sozialen Ordnung des Ancien Regimes und Kritiker des Absolutismus dargestellt.

Bibbys Buch ist eine beeindruckende Studie. Sie bietet detaillierte biografsche Details, beleuchtet wichtige intellektuelle Kontexte und bietet weitreichende Einblicke in Montesquieus politische Ökonomie, auch wenn wichtige Teile, etwa seine Kritik an der französischen Finanz- und Fiskalpolitik, weitgehend ausgeblendet werden. Montesquieu ist für Andrew Scott Bibby ein politischer Ökonom, nicht weil er die destruktiven und schöpferischen Kräfte des Handels erörtert, sondern weil er die komplexen Zusammenhänge von Gesellschaft, Moral, Religion und Handel darlegt.

1 David W. Carrithers, Democratic and Aristocratic Republics: Ancient and Modern, in: id., David Wallace Michael A. Moscher, Paul A. Rahe, (Hg.), Montesquieu’s Science of Politics. Essays on the Spirit of Laws, Lanham u. a. 2001, S. 109–158; ders., Montesquieu and the Liberal Philosophy of Jurisprudence, in: ibid., S. 291–334;, Annelien de Dijn, French Political Thought from Montesquieu to Tocqueville. Liberty in a Levelled Society? Cambridge 2008 (Ideas in Context); dies., Was Montesquieu a Liberal Republican?, in: The Review of Politics 76 (2014), S. 21–41; Lee Ward, Montesquieu on Federalism and Anglo-Gothic Constitutionalism, in: Publius: The Journal of Federalism 37/4 (2007), S. 1–27
2 Erst im 20.Jahrhundert wurde Montesquieu überhaupt als Liberaler wahrgenommen. Zu den einfussreichsten Interpreten gehörten Émile Faguet, Thomas Pangle, Raymond Aron, Jesaja Berlin, Judith Shklar, Albert Hirschman, Pierre Manent und Bernard Manin. Montesquieu wurde von ihnen als Begründer einer »freien Verfassung« verstanden, der mit dem System der Gewaltenteilung die Grundlagen des modernen Konstitutionalismus gelegt hatte.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Skadi Siiri Krause, Rezension von/compte rendu de: Andrew Scott Bibby, Montesquieu’s Political Economy, Basingstoke, Hampshire (Palgrave Macmillan) 2016, XIV–229 p. (Recovering Political Philosophy), ISBN 978-1-137-47646-3, USD 110,00., in: Francia-Recensio 2017/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2017.4.43374