Die Druckfassung von Philipp Steiners – gekürzter – Tübinger Dissertation ist ein gewichtiges Buch, dessen Bedeutung aus dem Untersuchungsgegenstand und -raum erwächst: Vor allem die letzten Monate Josephs II. und die kurze Regierungszeit Leopolds II. fokussierend, stehen »die Landstände« Innerösterreichs und deren Auseinandersetzungen mit dem Wiener Hof im Mittelpunkt. Dadurch finden sich zwei sonst mit wenig Aufmerksamkeit bedachte Themenfelder besetzt, die zudem ein nuancierteres Abbild bieten, als dies weite Teile der dieser Tage (erneut) die Modernisierungs- und Zentralisierungstendenzen unter Maria Theresia und Joseph II. betonende österreichischen Geschichtsforschung fokussieren1.
Die Studie umfasst neben gleich zwei ungleich langen Einleitungskapiteln (Einleitung, S. 15–37; Kapitel I: Einführung: Methodik und »Josephinismus«, S. 39–58) zudem eine äußerst umfangreiche thematische Einführung (S. 59– 153); zusammen machen diese drei Kapitel bereits ein Viertel des gesamten Textes aus. Daran schließen sich die vier Schwerpunkte der Untersuchung an, die hinsichtlich ihrer Fokussierung und des jeweiligen Umfangs ebenso als unausgewogen zu bezeichnen sind. Kapitel III – diese verwirrend anmutende Bezeichnung ist der Nichtnummerierung der Einleitung geschuldet – widmet sich der »Josephinische[n] Steuer- und Urbarialregulierung« (S. 155–249); Kapitel IV der »Rückführung des steirischen Herzogshutes nach Graz als multiple[m] ›Verfassungsfest‹« (S. 251–276); Kapitel V den »innerösterreichischen Bauernunruhen« des Jahres 1790 (S. 277–331); Kapitel VI thematisiert detailliert die »Bedrohungskommunikation um die Restauration« (S. 333–514) und ist somit als Schwerpunkt der Studie auszumachen; Kapitel VII bietet eine Zusammenstellung der Forschungsergebnisse (S. 515–689), der sich der Anhang, inklusive eines hilfreichen Orts- und Personenregisters anschließt.
Neben den vielen, zum Teil sehr ausführlich ausgefallenen Zitaten aus Wiener, Grazer, Klagenfurter und Laibacher Archiven, steht jedoch eine Reihe von Fragen im Raum, die leider nicht ausreichend geklärt beziehungsweise gar nicht angesprochen werden. Dazu zählen in der Einleitung etwa das Anführen von zwei Gründen für das nach wie vor bestehende Forschungsdesiderat der habsburgischen Landstände, wobei lediglich auf einen dieser Punkte eingegangen wird (S. 15f.); hinzu kommen eine Reihe von sich zum Teil fragwürdig ausnehmenden Neben- oder Zusatzdiskussionen in überlangen Anmerkungen, die den Lesefluss kaum erhöhen und zu der Frage führen, warum diese – offenbar wichtigen Aspekte – nicht in den Fließtext eingebunden wurden (z. B. S. 20, Anm. 23; S. 161, Anm. 691, S. 177f., Anm. 774, bzw. S. 282f., Anm. 1437). Gravierender erscheint hingegen, dass in dem entsprechend betitelten Abschnitt zu Quellen und Methodik (S. 22–28) kaum Details über das Vorgehen ersichtlich sind, ein Problem, das allerdings auch in dem umfangreichen Kapitel I zwar immer wieder unter Hinweis auf die »moderne Historische Diskursanalyse« (S. 43–48) erwähnt wird, nicht aber mit konkreten analytischen Vorgaben ausgeführt wird. Der folgende, an sich sinnvolle Abschnitt über die Bedeutung(en) des »Josephinismus« rezipiert vor allem die deutschsprachige Literatur, Derek Beales’ leicht veränderte Begrifflichkeit (»Josephism«2) hingegen findet an dieser Stelle keinen, und auch in dem überlangen propädeutischen Kapitel II lediglich punktuell (S. 140, Anm. 589; S. 143) Eingang.
Auch Kapitel III weist ähnliche Facetten auf, wie etwa die nicht unproblematische Gleichsetzung von »Reform« mit »Modernisierung« und »Fortschritt« (S. 159, vgl. S. 58) oder die auffällige Abwesenheit von P.G. M. Dicksons Forschungen3 zu dem ausführlich behandelten Karl von Zinzendorf (S. 162–176), der die nicht minder breite Rezeption Roman Rozdolskis gegenüber steht4. Sehr positiv sind die vielen Quellenzitate zu erwähnen, deren Analyse jedoch aufgrund des kaum ausgeführten analytisch-methodischen Instrumentariums in den beiden Einleitungskapiteln jedoch weitgehend oberflächlich verbleibt, wobei der Autor oft zu wenig glücklichen Bezeichnungen greift: der ständische Widerspruch angesichts der kaiserlichen Ordnungsvorstellungen sei zwar »semantisch imposant« (S. 193f., Zitat auf S. 194), eine tiefer gehende diskursive Analyse erfolgt jedoch nicht. Das folgende, weitaus knappere Kapitel IV basiert auf einer nur unmerklich kürzeren Publikation, die der Autor in Kooperation mit Dennis Schmidt verfasst hat (S. 251, Anm. 1.; S. 273)5, was wiederum Fragen nach der Urheberschaft dieses Abschnitts der Studie nahelegt. Das folgende, ausgesprochen umfangreiche Kapitel V zu den innerösterreichischen Bauernunruhen des Jahres 1790 wiederum ist sehr spannend, wenn auch die Konzeption mit ihrem ausdrücklichen Verweis auf die Inspiration der Französischen Revolution (S. 277) mit deren lediglich kursorischer Erwähnung (S. 282, Anm. 1; S. 434, 284–286), der Absenz französischer Forschungsliteratur (passim) sowie der Schlussfolgerung, dass diese »keine Rolle« gespielt hatte (S. 532), auffällig kontrastiert6. Das ähnlich überlange Kapitel VI stellt wohl den Kern der Untersuchung dar, das zwar den drei innerösterreichischen Herzogtümern Steiermark, Kärnten und Krain ähnlich viel Platz einräumt, deren Behandlung erfolgt aber in weitgehend voneinander abgekoppelten Bahnen. Angesichts des territorialen Rahmens hätte sich sicherlich eine stärker interregional vergleichende denn aneinander gereihte Analyse, die mehr thematischen denn chronologischen Aspekten und Landesgrenzen folgt, wohl als nicht minder gewinnbringend erwiesen, wie der Verfasser unter Verweis auf die Ergebnisse Sašo Jeršes (S. 520f.) bestätigt.
Diese Ergebnisse finden sich in dem diese ähnlich ungleich detailliert zusammenführenden Kapitel VII vereint. Nach rund 500 Seiten Lektüre werden – endlich – einige der methodisch-terminologischen Schlüsselbegriffe erwähnt (S. 523–525), die Rückschlüsse auf die dichte Beschreibung der »Bedrohungskommunikation« erlauben. Diese erfolgt aber leider weiterhin anlassbezogen, was den weiteren Gebrauch des zugrunde liegenden Modells gewiss nicht einfacher gestaltet (S. 531). Entgegen der Auskunft des Verfassers, dass die Druckfassung seiner Dissertation »gekürzt« und »überarbeitet« (S. 5) wurde, stehen die vielen überlangen Sätze (etwa auf S. 25), weitgehend definitionsfreier Jargon, insbesondere in den methodischen Abschnitten, und die zwar ausdrücklich ausgewiesenen, aber nirgendwo ersichtlichen Hervorhebungen in den Zitaten (S. 173, Anm. 751), die auf nicht allzu große editorische Sorgfalt hinweisen. Fraglich ist zudem der Repräsentativitätsanspruch, der den Landständen zugemessen wird; dieser erscheint angesichts der entstehenden »bürgerlichen Öffentlichkeit« zumindest fragwürdig.
All diesen Aspekten ungeachtet sei jedoch auch betont, worin nun die Bedeutung der Studie liegt, und zwar in dem Zugriff auf die Landesarchive in Graz und Klagenfurt bzw. das Archiv der Republik Slowenien in Laibach, der einer Reihe struktureller Zugriffsprobleme gerade für auswärtige Forschende unterliegt: Der berechtigten Forderung Gernot Obersteiners den reichen steirischen Beständen mehr Aufmerksamkeit zu schenken7, ist jedenfalls das unverrückbare Fotografieverbot in Graz entgegenzuhalten, das Steiner durch die großzügige Reisemittelausstattung des Tübinger Sonderforschungsbereichs zu überkommen vermochte (S. 31–37). Es steht zu hoffen, dass dieser Forschungsleistung noch viele weitere ähnliche Studien folgen mögen, die den Blick aus den Peripherien auf das so stark beforschte Wiener Zentrum richten.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Stephan Sander-Faes, Rezension von/compte rendu de: Philip Steiner, Die Landstände in Steiermark, Kärnten und Krain und die josephinischen Reformen. Bedrohungskommunikation angesichts konkurrierender Ordnungsvorstellungen (1789–1792), Münster (Aschendorff) 2017, 608 S., 9 Abb., ISBN 978-3-402-13221-0, EUR 59,00., in: Francia-Recensio 2017/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2017.4.43385