Der Leipziger Historiker Manfred Straube gehört seit Jahrzehnten zu den besten Kennern der mitteldeutschen Wirtschaftsgeschichte. Die ihm (gemeinsam mit Manfred Unger) zum 70.Geburtstag gewidmete Festschrift »Leipzig, Mitteldeutschland und Europa«1 verdeutlicht dies ebenso wie das anlässlich des 75.Geburtstags gemeinsam mit Markus Cottin zusammengestellte Schriftenverzeichnis2. Damals war noch nicht absehbar, dass sein umfangreiches Hauptwerk »Zum überregionalen und regionalen Warenverkehr im thüringisch-sächsischen Raum, vornehmlich in der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts« doch noch zum Druck gelangen würde. Hierbei handelt es sich um die Dissertation B, mit der sich Straube 1981 an der Karl-Marx-Universität Leipzig habilitierte. Man ist überrascht, dass derlei an einer DDR-Universität möglich war: Der Verfasser legte eine quellenfundierte, empirisch geradezu überbordende Untersuchung zum Landhandel in Mitteldeutschland um 1500 vor, ohne sich durch die üblichen vorgestanzten ideologischen Phrasen in Vorwort und Schlussteil zu verstellen und die Arbeit durch plakatives Zitieren marxistisch-leninistischer »Klassiker« zu verunzieren. Der Hauptgutachter der Arbeit, Max Steinmetz, einer der führenden marxistischen Historiker der DDR, verlor darüber kein Wort, sondern ließ sich ganz auf die Arbeit und ihr quellendichtes Fundament ein, um schließlich bei mancher Einzelkritik zu einem rückhaltlos positiven Votum zu gelangen. Bereits am Anfang bemerkt Steinmetz angesichts des Umfangs der Arbeit: »Eigentlich etwas zu viel, vor allem zu viel Apparat. Handelsgeschichte ist wohl ein hartes Brot, auch für den zur Lektüre verpflichteten. Soweit mein erster Eindruck« (das Gutachten liegt dem Rezensenten vor).
37 Jahre später könnte man dieses Urteil wiederholen, zumal der Verfasser keine Veranlassung hatte, seine Habilitationsschrift grundlegend zu überarbeiten: Die Quellenlage ist unverändert, der Forschungsstand – abgesehen von Straubes eigenen Arbeiten – kaum erweitert und die vorliegende Darstellung selbst durch die strikte Rückbindung an die Quellen fast zeitlos. Vor allem aber: Diese Arbeit verdient Beachtung weit über den mitteldeutschen Raum hinaus. Die Wettiner stiegen als Markgrafen von Meißen, Landgrafen von Thüringen und Kurfürsten von Sachsen zu Hegemonen Mitteldeutschlands auf. Ihr Territorium im heutigen Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt überzogen sie mit einem Netz von Geleitsstationen, an denen je nach Umfang und Qualität der transportierten Waren ein Geleitsgeld entrichtet werden musste, das Jahr für Jahr etliche Tausend Gulden in die Staatskasse spülte. Der Taxierung dienten umfangreiche Geleitsordnungen, der Abrechnung der Einnahmen die Geleitsrechnungen. Vor allem diese Aufzeichnungen bilden die Grundlagen für die vorliegende Arbeit, deren darstellender Teil (S. 9–452) von umfangreichen Anhängen (S. 455–1038) ergänzt wird.
Die Untersuchung geht nur in der Einleitung (Kap. I) auf neuere Forschungen zur Wirtschafts- und Handelsgeschichte ein und skizziert dann die Entwicklung des Geleitswesens und seine Organisation im wettinischen Herrschaftsbereich (Kap. II). Die Landesteilung von 1485 hatte langfristige Wirkungen, denn Geleitsrechnungen sind nur für den ernestinischen Landesteil (mit Schwerpunkt Thüringen und nordwestliches Sachsen) erhalten geblieben, wohl als Bewertungsgrundlage bei den neuzeitlichen Landesteilungen. Für das albertinische Sachsen hingegen, das nach 1485 nicht mehr geteilt wurde, sind keine Geleitsrechnungen erhalten. Darüber hinaus ist das erhaltene Material disparat, so dass zumeist nur Momentaufnahmen vom Warenverkehr zu Lande in Mitteldeutschland möglich sind, aber aufgrund des dichten Netzes der Geleitsstationen sind es dann doch Schlaglichter, die sich vielfach gegenseitig erhellen und ergänzen. An den Geleitsstationen orientiert versucht Straube, die Haupthandelsrouten, aber auch manche Nebenrouten zu betrachten, und diese Umschau macht den Hauptteil der Untersuchung aus: Der Einzugsbereich von Erfurt (Kap. III), die Geleite von Eckartsberga, Freyburg und anderer Stationen für die Peter- und Pauls-Märkte in Naumburg an der Saale (Kap. IV), der Leipziger Einzugsbereich (Kap. V), dessen Bedeutung mit Hinweis auf die Großen Märkte an Neujahr, Ostern und Michaelis (man beachte die Korrespondenz mit dem Naumburger Markttermin) genügend unterstrichen ist, dann die Geleite an der via imperii um Altenburg, Zwickau und im Vogtland (Kap. VI), neben der via regia (Hohe Straße) eine der beiden großen Fernhandelsrouten, die durch Sachsen führten. Gegenüber der maschinenschriftlichen Fassung der Habilitationsschrift wird die Druckfassung noch ergänzt um ein weiteres Kapitel über den Warenverkehr auf der Elbe zwischen Pirna und Wittenberg, dem einzigen schiffbaren Fluss in Sachsen. Eine ausführliche Zusammenfassung beschließt die Untersuchung, deren empirische Basis z. T. in den umfangreichen Anhängen präsentiert wird, darunter umfangreiche Listen der handeltreibenden Kaufleute, die in Geleitsaufzeichnungen namentlich erscheinen, tabellarische Zusammenstellungen der Geleitseinnahmen der Ämter und Editionen mehrerer Geleitsordnungen mit umfassenden Erläuterungen. Ergänzendes Material bietet übrigens der gleichzeitig publizierte Band »Wirtschaftliche Frequenzen der Leipziger Großen Märkte/Messen. Statistische Zeugnisse aus den Leipziger Stadtrechnungen 1471/72 bis 1814/15«3.
Wer sich intensiver mit diesem inhaltlich geradezu überbordenden Buch über Geleitswesen und Warenverkehr beschäftigt, wird schnell feststellen, dass die Geleitsrechnungen nicht nur lückenhaft erhalten sind, sondern auch von sehr unterschiedlicher Aussagekraft. Für manche Geleitsstationen gelingt es Straube, den Warenverkehr sehr differenziert mit einer breiten Palette transportierter Waren darzustellen, z. T. auch mit Nachweis der Kaufleute, z. T. sogar der Fuhrmänner. Für andere Geleite sind hingegen nur quantitative Angaben über die eingenommenen Geleitsgelder möglich, aber die Quellenlage ist so, wie sie ist. Neben Quantitäten und Art der Waren, die Gegenstand des Fern- und Nahhandels waren, geraten durch diese Arbeit auch die Handelswege selbst und die damit verbundene Infrastruktur (Gasthöfe, Ausspannstationen) in den Blick, worüber weitere Forschungen wünschenswert wären. Gleiches gilt für die gewerblichen Produktionszentren, die aufgrund der Warenströme besser zu erschließen sind. Durch Bergbau und Metallproduktion gehörte Sachsen um 1500 zu den wirtschaftlich produktivsten und innovativsten Regionen im Reich.
Die vorliegende Arbeit muss schon deshalb überregional rezipiert werden, weil sich außerhalb des wettinischen Herrschaftsbereichs kaum serielle Quellen finden lassen dürften, die derart aussagekräftig sind wie die thüringisch-sächsischen Geleitsrechnungen. In mancher Hinsicht vergleichbar sind etwa die von Lothar Schwetlik ausgewerteten Gottorfer Zollrechnungen4 oder die von Karl E. Demandt z. T. edierten Zollabrechnungen5. Man darf bei der Lektüre der vorliegenden Arbeit nicht vergessen, dass die Handelswaren, die den wettinischen Herrschaftsbereich durchliefen, immer nur punktuell oder streckenweise aufscheinen, doch dürfte es in den Nachbarterritorien kaum ähnliche Quellen geben, die es erlauben würden, den Fernhandelsverkehr gleicherweise detailliert in alle Himmelsrichtungen weiter zu verfolgen. Den wettinischen Herrschaftsbereich querten bedeutende europäische Handelsverbindungen von Süden nach Norden und von Westen nach Osten. Die Handelszentren Erfurt und Leipzig liegen im Durchgangsgebiet zwischen dem oberdeutschen und hansischen Handel, aber auch zwischen dem rheinisch-westfälischen und dem ostmitteleuropäischen Handel. Das Buch Manfred Straubes verdeutlicht, dass auch globale Perspektiven der Handelsgeschichte um regionale Empirie nicht herumkommen. Die Bedeutung des wettinischen Territoriums in Mitteldeutschland für die deutsche und europäische Handels- und Wirtschaftsgeschichte wird durch dieses Buch nachdrücklich verdeutlicht
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Enno Bünz, Rezension von/compte rendu de: Manfred Straube, Geleitswesen und Warenverkehr im thüringisch-sächsischen Raum zu Beginn der Frühen Neuzeit, Köln, Weimar, Wien (Böhlau) 2014, 1095 S., 2 Kt. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe, 42), ISBN 978-3-412-22343-4, EUR 129,00., in: Francia-Recensio 2017/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2017.4.43386