Die militärische Besetzung des Rheinlands durch französische Revolutionstruppen seit 1792/94 und die sukzessive Integration in den französischen Staat von 1798 bis 1814 markieren eine Epoche des tiefgreifenden Wandels in der Region. Kaum ein Bereich des öffentlichen und privaten Lebens blieb davon unberührt, nicht zuletzt wurde in dieser Zeit die politische Landkarte völlig neu gezeichnet. Und so ist vor dem Hintergrund des seit geraumer Zeit in der Geschichtswissenschaft prominenten »spatial turn« das Thema der in Mannheim bei Erich Pelzer entstandenen Dissertation von Nikos Wallburger mehr als einleuchtend. Es geht um die Begründung und Durchsetzung einer neuen Raumordnung im Rheinland in der französischen Zeit am Beispiel des Département du Mont-Tonnerre (Donnersberg), einem der vier 1798 ohne Rücksicht auf die bisherigen Territorialgrenzen gegründeten linksrheinischen Verwaltungsbezirke.

Der Autor verfolgt keinen systematischen Ansatz, der die verschiedenen raumkonstituierenden und -strukturierenden Praktiken der französischen und deutschen Akteure, also das „doing territory“ in seiner Gesamtheit in den Blick nehmen würde. Vielmehr beschränkt sich Wallburger auf den in diesem Zusammenhang zweifelsohne wichtigen Straßenbau. Eine umfassende Geschichte der Verkehrswege, ihrer Konzeption, Planung und Umsetzung sucht der Leser aber vergeblich. Die Akten zum betreffenden Thema dienen als Grundlage für eine historische Diskursanalyse, die die Motive und Strategien der Akteure mit Blick auf Straßenbau und Raumordnung klären soll. Vor dem Hintergrund des »spatial turn« und dessen Prämisse, dass Räume immer das Ergebnis von gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen sind, in denen die unterschiedlichen Akteure vielfach divergierende und konkurrierende Raumkonzepte verfolgen, scheint dies ein interessanter Ansatz. Allerdings leidet die Studie an einer gewissen Übertheoretisierung und argumentativen Redundanz. Einleitung und Kapitel 2 zum theoretisch-methodischen Vorgehen umfassen fast 70 der etwa 320 Seiten und auch die übrigen Kapitel und Unterkapitel werden zumeist mit methodischen Erörterungen unterfüttert, die vieles wiederholen, was der Leser bereits kennt . Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass Darstellung und Analyse der behandelten Aspekte häufig nur sehr knapp und exemplarisch ausgeführt werden, so dass die Angaben zum »Versuchsaufbau« überproportionales Gewicht erlangen

Das etwa 70 Seiten umfassende Kapitel 3 liefert trotz einleitender methodischer Bemerkungen und diskursanalytischer Begrifflichkeit einen recht konventionellen Überblick zur politischen Organisation in den vier linksrheinischen Departements und insbesondere im Donnersberg-Departement. Das knappere Kapitel 4 diskutiert die »Konstitution der gesellschaftlichen räumlichen Ordnung des Département du Mont-Tonnerre« anhand des Straßenbaus. Eine genauere inhaltliche oder systematische Abgrenzung zu Kapitel 5, das schlicht mit »Der Straßenbau im Département du Mont-Tonnerre« betitelt ist und »den Hauptteil der diskursanalytischen Untersuchung der vorliegenden Arbeit dar[stellt]« (S. 185), ist nicht ersichtlich. Kapitel 6 beschreibt schließlich Kontinuitäten und Diskontinuitäten über das Ende der französischen Herrschaft hinaus.

Gerade die Kapitel 5 und 6, in denen einzelne Personen exemplarisch vorgestellt und Konflikte um konkrete Bauprojekte und Straßenführungen behandelt werden, zeigen, dass die von Wallburger untersuchten Akten und Sachverhalte spannende Einsichten in den Prozess der Raumbildung im französischen Deutschland vermitteln. Dieser folgte, wie das Beispiel des Straßenbaus zeigt, nicht ausschließlich einer zentralstaatlich geplanten und organisierten Logik, sondern bedingte auch die Mitwirkung der entsprechenden Behörden und Verantwortlichen vor Ort sowie regionalen und lokalen Unternehmern, die ihre Raumvorstellungen in den Prozess einbrachten. Genauer in den Blick genommen werden insbesondere der Präfekt Jeanbon St. André und der ingénieur en chef Eustache St. Far (Kap. 4.4), der entrepreneur und associé Pierre François Paravey (Kap. 5.4) sowie der Kaufmann und entrepreneur Jakob Kaetzer (Kap. 5.5), also sowohl politische bzw. staatliche Akteure als auch solche aus dem regionalen und lokalen Wirtschaftsbürgertum, die geschäftlich am Straßenbau beteiligt waren. Als wichtigstes Bauprojekt wird die route impériale von Paris und Mainz eingehender behandelt (Kap. 5.6). Gerade im Zusammenhang dieses Infrastrukturprojekts ergaben sich zahlreiche Konflikte zwischen den unterschiedlichen, in den Straßenbau involvierten bzw. von diesem betroffenen Hierarchieebenen und Akteuren. Interessant erscheint etwa das Engagement der Kommunen, an die Straße »angeschlossen« zu werden und auf diese Weise längerfristig von der neuen Raumordnung zu profitieren. Die diesbezüglichen Konflikte, Verhandlungen und Aushandlungsprozesse werden in diesem wie in anderen Fällen leider nicht ausführlicher dargestellt, so dass die präsentierten Schlussfolgerungen und Ergebnisse letztlich sehr abstrakt bleiben.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Andreas Rutz, Rezension von/compte rendu de: Nikos Wallburger, Raumordnung und Raumbegründung in politischen Umbruchszeiten. Das Département du Mont-Tonnerre unter französischer Verwaltung (1792–1815), Frankfurt a. M. (Peter Lang Edition) 2015, 361 S. (Konsulat und Kaiserreich. Studien und Quellen zum Napoleonischen Zeitalter, 3), ISBN 978-3-631-66893-1, EUR 64,95., in: Francia-Recensio 2017/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2017.4.43388