Der 1622 im Zuge des Prättigauer Aufstandes von reformierten Bauern erschlagene Kapuziner Fidelis von Sigmaringen ist unter den insgesamt 55 Personen, die in den Jahren zwischen 1588 und 1767 kanonisiert wurden, der einzige deutscher Herkunft und neben dem Böhmen Johannes von Nepomuk auch der einzige Blutzeuge der Epoche. Die vorliegende Dissertation untersucht die bislang von der Forschung vernachlässigte Verehrungsgeschichte des Fidelis bis zu seiner Seligsprechung im Jahr 1729. Dabei versucht der Autor einerseits, die Höhen und Tiefen des Fideliskultes in Verbindung mit den federführenden Kräften des frühneuzeitlichen Konfessionsstaates zu bringen. Andererseits richtet der Autor sein besonderes Augenmerk auf die hinter dem Kult stehenden personellen Netzwerke, die teilweise schon zu Lebzeiten Fidelis’ entstanden sind. Dementsprechend werden die in den Akten des Mailänder, des Konstanzer und des Churer Informationsprozesses enthaltenen Zeugenaussagen mit den Netzwerken verknüpft; dabei ist jedem an der Kultgenese beteiligten Zeugen eine Nummer beigefügt, mit Hilfe derer man in einem Wunderverzeichnis im Anhang den sozialen Status, die Beziehungen und Wundererfahrung des Zeugen nachschlagen kann. Als weitere Quellengrundlage dienen der »Processus Curiensis de annis 1644 et 1645 super miraculis«, der »processus Curiensis super non cultu«, der »processus Curiensis super novis miraculis« von 1710, Korrespondenzen und besonders die literarische Kultpropaganda. Einen breiten Raum nimmt auch die Untersuchung der Entwicklung der bildlichen Darstellungen des Märtyrers ein. Da sich der Fideliskult vor allem entlang der Spanischen Straße verbreitete, bezeichnet diese auch das Untersuchungsgebiet der Studie. Den Untersuchungszeitraum gliedert der Autor in zwei Phasen: Kultphase I (1622–1672), die Aufstieg und erste Restriktionen des Märtyrerkults umfasst, und Kultphase II (1672–1729), die den steinigen Weg bis zur Seligsprechung nachzeichnet.

Der Beschreibung von Kultphase I ist eine Lebensbeschreibung des Fidelis von Sigmaringen vorgeschaltet. Größere Aufmerksamkeit verdient hier Fidelis’ Rolle als praefectus missionis in Rhetia im Zusammenhang mit dem Religionsmandat, das in der Literatur kontrovers diskutiert wird; zudem ist das Vorgehen Fidelis’ auch mit Blick auf die kanonistische Bewertung seines Todes als Martyrium relevant. Der Missionspräfekt hat ein Mandat ausgearbeitet, das in weiten Zügen zwar eine Einschärfung bereits verordneter Maßnahmen darstellte, das den reformierten Prättigauern jedoch auch den Besuch der kapuzinischen Predigt und Katechese zwingend auferlegte, was von der Innsbrucker Regierung abgelehnt wurde. Der Autor verweist allerdings auf im Konstanzer Informationsprozess erwähnte Briefe des Erzherzogs Leopold, in denen Fidelis ein »individueller Missionierungsbefehl« (S. 188) zugesprochen wird, aus denen aber, solange sie nicht aufgefunden sind, eine Erlaubnis zur Veröffentlichung des Mandats nicht abzuleiten ist. Im Folgenden ist der Autor bemüht, die Mission des Fidelis, die weitgehend erfolglos blieb, als legitim zu erweisen, auch wenn die verzweifelten Kapuziner ohne Absprache mit der Obrigkeit die gewaltsame Durchsetzung des Predigtbesuchs ankündigten. Die Veröffentlichung des Religionsmandats einschließlich der Durchsetzung des Predigtbesuchs wird schließlich dem »ehrgeizige[n] Kriegsmann« und »impulsiven Welschtiroler« (S. 201) Oberst von Baldirone zugesprochen, der durch die Predigtverweigerung einerseits seine Autorität als Gouverneur in Frage gestellt sah, andererseits von Fidelis zur Veröffentlichung bewegt werden konnte ‒ auch unter Vorlage der erwähnten erzherzoglichen Briefe.

Der Autor macht als Leitbild der Kultentwicklung den Märtyrerheros aus. Dieser nährt sich philosophisch vom zeitgenössischen Stoizismus und fügt sich politisch gut in die Konzepte der Selbst- und Sozialdisziplinierung ein. Andererseits werden die Reliquien eines gemarterten Leibs bei der in Kriegszeiten besonders zu Tage tretenden Hinfälligkeit der menschlichen Natur zu einem kostbaren Gut, dessen Verehrung physisch und psychisch zur Bewältigung des Alltags im Kriege beiträgt. So war der Kult des Fidelis von Sigmaringen »eine kriegsgenerierte Frucht der Volksfrömmigkeit und fand nicht zuletzt über den sozialen Spagat, den der Reformorden der Kapuziner [...] beherrschte, Eingang in die Pietas Austriaca« (S. 257). Es schließt sich eine enorme Vielzahl von Beobachtungen zur literarischen, bildlichen und musikalischen Kultpropaganda an. Auch die Rolle von »Kultaktivisten« wie des Alexius von Kirrweiler oder des gelehrten Fidelisfreundes Placidus Vigell von Mehrerau wird analysiert. Dem Abt Placidus wird auch die Autorschaft an der Konstanzer Flugblattvita von 1623 zugewiesen, die die bildliche und literarische Kultpropaganda maßgeblich beeinflusst. Das »Vorarlbergische Kriegs-Geschichtsbuch« des Mehrerauer Benediktiners Franz Ransperg zitiert einen Fidelisbrief aus dem Jahr 1620. Beim Vergleich der Transkription (S. 743–745) mit der beigefügten Abbildung 7.2.2. sind dem Rezensenten einige Fehler aufgefallen. Diese sind zwar an sich unbedeutend, dennoch sollen sie aufgeführt werden, da der Autor den Anspruch erhebt, den Brief erstmals vollständig zu »edieren« (S. 743). So fehlt unter anderem zwischen »cogunt« und »pisces« ein »ipsi«, »quam pisces« heißt »quam piscis«, »quas de« muss »quos de« gelesen werden; das von Della Scala1 gelesene »Deo« verbessert der Autor in ein sinnloses »Div.«, dabei heißt es »Deu(m)«, das folgende entsprechend »Ter Opt(imum) Max(imum)«; anstelle von »Exoraturus« muss es »Exoraturi« heißen. Es folgen zwei elegische Disticha, kein »Vierzeiler« (S. 745). In dem Passus dankt Fidelis stellvertretend für die Kapuziner für die von der Abtei Mehrerau empfangene Förderung und verspricht, mit allen Kapuzinern Vergeltung dafür zu erflehen. »Exoraturi« steht im Plural, daher versichert Fidelis hier gerade nicht nur seines Gebetes, was man mit dem Autor bei »Exoraturus« annehmen müsste, sondern aller Kapuziner, wozu auch das folgende »nostro nomine« passt. Dies mag nun ein Argument für die Echtheit des Fidelisbriefes sein, doch entbehrt dadurch die vom Autor vorgeschlagene Interpretation der Vanitasformel, mit der Fidelis ‒ »brevi vermium esca« ‒ unterzeichnet, als »Ausfluss einer höheren Wahrheitssuche« (S. 747) ihrer Grundlage.

Der »Processus Curiensis de annis 1644 et 1645 super miraculis« führte zu einiger Ernüchterung: Die Kopfreliquie des Märtyrers wird den Blicken der Gläubigen entzogen, jegliche schriftliche und bildliche Kultwerbung wird eingestellt. Gemäß den Bestimmungen Urbans VIII. konnten die Bestrebungen zu einer Seligsprechung Fidelis’ erst ab 1672 wieder aufgenommen werden (Kultphase II). Die treibende Kraft war nun der Kapuziner Lucianus Montifontanus, der mit einer beachtlichen Energie die strengen römischen Vorgaben zu erfüllen suchte und das Fidelisbild theologisch bearbeitete. Aus dem Märtyrerheros wird ein Missionar, dessen heiliges Sterben vorbildlich ist. Auf den »processus super non cultu« erging 1688 jedoch ein negativer Bescheid. Das Haupt musste jetzt sogar eingemauert werden. Der Fundamentaleinwand gegen eine Seligsprechung war in der Folge vor allem das Fehlen von Augenzeugen für das Martyrium. Wohl und Wehe des Prozesses hingen aber auch von der politischen Großwetterlage zwischen der Casa d’Austria, Frankreich und Rom ab. Diese wurde mit der Wahl Innozenz’XIII. für Habsburg so günstig, dass der Prozess 1722 wieder aufgenommen werden konnte und »im Sog des Nepomukprozesses« (S. 1008) ohne Widerstände abgeschlossen werden konnte.

1 Ferdinand Della Scala, Der heilige Fidelis von Sigmaringen. Erstlingsmartyrer des Kapuzinerordens und der Congregatio de propaganda fide, Mainz 1896.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Georg Philipp Kolb, Rezension von/compte rendu de: Matthias Emil Ilg, Constantia et Fortitudo. Der Kult des kapuzinischen Blutzeugen Fidelis von Sigmaringen zwischen »Pietas Austriaca« und »Ecclesia Triumphans«, 2 Bde. Münster (Aschendorff) 2016, 1485 S., zahlr. s/w Abb., ISBN 978-3-402-13164-0, EUR 88,00. , in: Francia-Recensio 2017/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2017.4.43394