Über das Wasser in der mittelalterlichen Kultur sind in den beiden letzten Jahrzehnten schon etliche Sammel- bzw. Tagungsbände erschienen. Hervorgehoben seien die vorzüglich illustrierten Bände der Frontinus-Gesellschaft zur Wasserversorgung in Mittelalter und Renaissance sowie speziell in mittelalterlichen Burgen (seit 1991), dazu Paolo Squatritis »Working with Water in Medieval Europe« (2000), zwei Bände der »Settimane di studio« (»L’acqua nei secoli altomedievali«, 2008), ein Göttinger Band »Wasser – Kultur – Ökologie« (ebenfalls 2008), sowie zwei weitere Sammelbände von 2015 aus Göttingen und München (vgl. Einleitung, S. 2, Anm. 3–8). Gibt es dazu noch Neues? 2015 im schweizerischen Bern fand die große Tagung des Mediävistenverbandes über das Wasser statt. Deren 47 Beiträge von insgesamt 52 Autoren mit einem noch stärker interdisziplinären Ansatz sind hier zumindest nach ihrer Thematik anzuzeigen.
Die Herausgeberin und die zwei Herausgeber sind alle Berner Professoren, eine Klassische Philologin (Gerlinde Huber-Rebenich), ein Historiker (Christian Rohr) und ein Germanist (Michael Stolz). Die thematische Breite, die sie der Tagung vermittelt haben, ergibt sich aus den sechs Hauptabteilungen des Bandes. Zunächst sind das »Wahrnehmungen von Flüssen, Meeren und Mündungen« (S. 51–189) mit einem deutlichen Schwerpunkt auf den Mündungsgebieten, dem Unterlauf des Po, dem Rhône- und Donaudelta und, allgemeiner, den Mündungsgebieten als »aquatisch-terrestrische Kontaktzonen«. Die besprochenen Schriftquellen reichen von den klassischen Quellen der Landesgeschichte bis zu den arabischen Kosmografen und chinesischen Zeugnissen zur Flussadministration am Gelben Fluss. Konstantinopel ist mit Berichten über den Extremwinter 763–764 vertreten, der Rhein von Kaub bis Köln mit einer Reihe von markanten Bauten.
Der zweite Hauptabschnitt (»Wassernutzung«, S. 193–318) beginnt mit Überblicken über Schifffahrt und Austausch auf dem Garda- und dem Bodensee. Es folgen Beiträge über die Wasserversorgung und Wassernutzung in Zisterzienserabteien sowie die Wasserpolitik eines sizilianischen Benediktinerklosters. Ein spanischer Beitrag behandelt die Bewässerung eines Dorfes im Königreich Granada, ein ungarischer Beitrag die gesetzlichen Regelungen für die Standortwahl von Wassermühlen, ergänzt durch juristische Vorschriften für Mühlen im norddeutschen Bereich. Auch die Badekultur ist nicht vergessen, ebenso wenig wie das Wasser in der Medizin (Ortrud Riha im zweiten Beitrag des Vorspanns S. 36–56). Etwas zu früh platziert erscheinen die informativen Danziger Beiträge zur spätmittelalterlichen Schifffahrt und Seeräuberei in der südlichen Ostsee samt den sieben Reisen der in Frankreich gebauten Karavelle Pierre de Rochelle (Peter von Danzig).
Der dritte Hauptabschnitt behandelt »Wasser in Religion, Ritus und Volksglaube« (S. 321–393). Es geht u. a. um die sakramentale Kraft des Wassers, das Wasser in der Liturgie und in der Taufe. Die Exegese von Genesis 1,2 und 1,6f. hat intensiv sowohl Juden wie Christen beschäftigt, was auch aus dem einleitenden philosophiegeschichtlichen Beitrag von Ruedi Imbach (S. 17–35) eindrucksvoll hervorgeht. Der Vorwurf des vergifteten Wassers hat schließlich das Verhalten von Juden und Christen im Spätmittelalter tiefgreifend zerrüttet
Hauptabschnitt 4 (»Philologisch-literarische Annäherungen«, S. 397–498) bringt acht Beiträge von Literaturwissenschaftlern. Die besprochenen Texte reichen vom Briefcorpus des Petrus Damiani (11.Jh.) und der Seereise des hl. Brandan bis zu den hochmittelalterlichen Arthurromanen, zu Boccaccio und Christine de Pizan. Es folgen »Wassertiere in der Literatur« (Hauptteil 5, S. 501–554, u. a. Seedrache, Walfisch und die jungfräuliche Barnikelgans als klerikal geprägtes Denkmuster) sowie ein letzter Teil über »Wasser in Architektur, Kunst und Kunsthandwerk« (S. 557–626) mit Schwerpunkten auf dem Dekor von Brunnen, Kelchen, Aquamanilien und Wasserinszenierungen in den Normannenpalästen Siziliens.
Einen Schwerpunkt im ersten Hauptabschnitt möchte ich erneut hervorheben. Er entspricht einer eigenen Sektion der Tagung und gewährt gründlichen Einblick in die jeweilige landesgeschichtliche Forschung zu den Mündungsgebieten großer Flüsse wie Po, Rhône, Donau. Das Nildelta war mündlich vertreten, in der Buchfassung ist es leider entfallen. Die Rheinmündung mit Dorestad erscheint in dem einleitenden Gesamtüberblick der beiden Heidelberger Dozenten Burkhardt und Kolditz. All dies präsentiert sich auf dem neuesten bibliografischen Stand und in einer dezidiert europäischen Perspektive. Noch größer ist der Nutzen der in den Anmerkungen zitierten Ausschnitte aus schwer erreichbaren Originalquellen. Zum Rhônedelta und seiner Lagune greift Georg Jostkleigrewe vor allem auf Enquêten der königlichen Kommissare im 13.–14.Jahrhundert zurück. Besonders spannend der von Uwe Israel geschilderte Kampf Venedigs am Unterlauf des Po. Insgesamt also ein reicher, informativer Band, der sorgfältig redigiert ist und dank der ausführlichen Anmerkungen zugleich als Führer in das Dickicht zahlloser weiterer Sammelbände der letzten Jahre und Jahrzehnte dienen kann. Die Herausgeber haben sich die Mühe gemacht, alle 47 Einzelbeiträge einleitend gesondert vorzustellen. Nähere Angaben zu den Autoren finden sich auf den Seiten 627–630. Dazu kommen zwei Register.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Dietrich Lohrmann, Rezension von/compte rendu de: Gerlinde Huber-Rebenich, Christian Rohr, Michael Stolz (Hg.), Wasser in der mittelalterlichen Kultur/ Water in the Medieval Culture. Gebrauch –Wahrnehmung – Symbolik/Uses, Perceptions, and Symbolism, Berlin, Boston, MA (De Gruyter) 2017, IX–649 S., 50 Abb. (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. Beihefte, 4), ISBN 978-3-11-044286-1, EUR 119,95., in: Francia-Recensio 2017/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2017.4.43416