Durch die Schuld des Rezensenten hat sich die Anzeige des Sammelbands zu Johannes Quidort von Paris leider sehr verzögert. Dass sich der Titel aber jetzt nicht mehr im Verkaufsportal des Verlags als lieferbar identifzieren lässt, beweist den allgemeinen Bedarf nach einer derartigen Zusammenfassung der Kenntnisse und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung zu dem bekannten Pariser Dominikanertheologen an der Wende zum 14.Jahrhundert. Die Präsentation der gemeinsamen Bemühungen der zwölf Verfasser bietet einen aktuellen Bericht über den berühmten dominikanischen Autor einer nachhaltig wirksamen politischen Refexion. Entstanden seit etwa 2010 aus einer ganzen Serie von Präsentationen auf den bekannten internationalen Konferenzen im britischen Leeds, werden hier von einigen internationalen Experten und von jüngeren noch um Aufmerksamkeit werbenden Autoren in einem großen Bogen Aspekte seiner Lebensleistung vorgestellt, sodass fast ein »Handbuch« zu Jean Quidort entstanden ist, wo man sich gezielt gediegener Information zum Stand unseres Wissens und unterschiedlicher Forschungsdiskurse versichern kann. Dass es bis zur Publikation so langer Jahre der Vorbereitung bedurfte, lag vor allem an dem Desaster, das Erdbeben und Verwüstung 2013 über Christchurch (Neuseeland) und damit auch über die Heimatuniversität des Herausgebers gebracht hat. Damit wird jetzt auch der an mittelalterlicher Geschichte Interessierte an die Fragilität historischer Erkenntnis gemahnt. Das vorliegende Buch verlebendigt den französischen Dominikaner jedenfalls facettenreich.

Dass die Übersicht über die Lebensumstände Quidorts, die Chris Jones einleitend zusammengestellt hat (»John of Paris: Through a Glass, Darkly?«, S. 1–31) nicht schlechthin überzeugend geraten konnte, deutet bereits die gewählte Überschrift an. Der in der fraglichen Zeit auch in Paris häufg anzutreffende Vorname »Johannes« lässt eine eindeutige Identifkation einer jeweilig als »Johannes von Paris« gemeinten Person immer als schwierig erscheinen, ja zu allerletzt wird jede Identifkation damit unsicher. Schon der alte Streit um die ungefähre Datierung des Lebensbeginns des späteren Theologen zeigt das überdeutlich: Sie schwankt zwischen ca. 1250 und ca. 1270, also um mehr als eine halbe Generation, da jeder Ansatz (auch der hier vorgeschlagene mehrheitlich in der Forschung – und auch vom Rezensenten vertretene) von zahlreichen zusätzlichen Annahmen abhängig bleibt, die einen in sich plausiblen Lebenslauf konstruierbar machen. Diese Problematik bleibt auch bei den weiteren Überlegungen bestehen, da abgesehen von den dramatischen Umständen am Lebensende des Gelehrten und den meisten (nicht bei allen!) der ihm zugeschriebenen Schriften, die relativ sicher zuzuordnen sind, kaum je eine eindeutige Identifkation möglich erscheint. Dabei ist noch gar nicht von der Möglichkeit die Rede gewesen, dass unser Johannes an einer Autorengruppe mitgewirkt hat, deren Erzeugnis im Mittelalter dann meist anonym belassen wurde (darunter wäre wohl m. E. die ihm hier mehrfach zugedachte Streitschrift [mit den Anfangsworten Rex pacifcus Salomon] einzureihen, für deren alleinige Autorschaft Quidort wohl doch nicht infrage kommt; vgl. auch hier S. 322, Anm. 39ff.). Weitere Probleme schafft die mit zeitlichem Abstand wachsende Tendenz auch der mittelalterlichen Zeitgenossen (wovon auch moderne Forschung nicht immer ganz frei ist), alle möglichen unklaren Autorzuschreibungen einfach einem bekannten Namen zuzuschlagen. Unsicher bleibt zusätzlich auch die Physiognomie unseres gelehrten Autors trotz oder auch wegen der ihm zu Lebzeiten zugedachten Beinamen, da es etwa nicht deutlich wird, ob der früh auf ihn bezogene Name dormiens [»Quidort«] nicht als ein früher Eigenname der Familie gedeutet werden muss (so die Überlegung von Richard Scholz 1903). Wenn Thomas Kaeppeli (1957) vorgeschlagen hat, den als praedicator monoculus bezeichneten Autor einer Sammlung von Sermones in einer Pariser Handschrift mit unserem »Johannes von Paris« zu identifzieren, so ist das, obwohl plausibel und ungemein anregend, doch keineswegs gegen jeden Zweifel erhaben. Gleichwohl wird diese Identifkation hier etwa (S. 2 ohne Hinweis auf Kaeppeli) voll übernommen, bis sie dann S. 9, Anm. 46 endlich auf ihn zurückgeführt wird. Nun ist gerne zuzugeben, dass diese Gleichsetzung angesichts der weiteren auf unseren Autor bezogenen Beinamen wie »Joh. surdus« oder das schon betrachtete »Joh. dormiens« recht passend scheinen will und uns vielleicht die äußere Gestalt des streitbaren Dominikaners dramatisch sichtbar macht. Beweisbar freilich im positivistischen Sinn ist es wohl nicht. Als einigermaßen sichtbares Kriterium für eine Auswahl der der Person zugedachten Zuschreibungen bleiben letzten Endes nur die Verbindungen zwischen seinen Texten, die allerdings in seinem Falle wegen der von ihm als Autor geübten »Mosaiktechnik« doch erleichtert werden, da er sich nicht scheute, auf frühere Ausarbeitungen später zurückzugreifen und sie in neuen Zusammenhängen wörtlich oder leicht abgewandelt zu benutzen. Vielleicht hätte dieses Kriterium im »dunklen Spiegel« doch etwas deutlicher konturiert werden können. Man hätte es auch nicht unbedingt erwartet, dass der Herausgeber hier auch noch (S. 18–25) eine knappe, aber präzise zielführende Zusammenfassung der Argumentationen der einzelnen Beiträge liefert, während im Buch die sonst gewohnten biografschen Kurzabrisse zu den Beiträgern am Ende des Bandes ohne Angabe von Gründen fehlen. (Das wird insbesondere die jüngeren Autoren nicht unbedingt erfreuen, die sich so dem Publikum nicht vorstellen können: die Kurzmitteilung in der Kopfanmerkung jedes Beitrags entschädigt dafür nur unzureichend. Immerhin macht sie die dramatische Unterbeschäftigung des humanwissenschaftlichen Nachwuchses in Großbritannien mehrfach sichtbar, indem die Angabe »independent scholar« eine Heimatuniversität verstohlen vertreten muss).

Wenn hier auch nicht auf sämtliche Beiträge in der Ausführlichkeit hingewiesen werden kann, die jeder einzelne Aufsatz verdiente, seien sie doch der Reihe nach genannt: Zunächst (in: »Part I. Power and Authority«) gibt Joseph Canning (der sich schon mehrfach zur politischen Theorie Quidorts geäußert hat) auch hier eine geraffte Einführung (»Ecclesiastical Authority and Jurisdiction in the Thought of John of Paris«, S. 35–48), die auf wesentliche Voraussetzungen (Thomas von Aquin, Aegidius Romanus und den Konfikt Philipps des Schönen mit Bonifaz VIII.) eingeht. Bettina Koch (»Against Empire? John of Paris’s Defence of Territorial Secular Power Considered in the Context of Dante’s and Marsilius of Padua’s Political Theories«, S. 49–74) vergleicht noch einmal den Ansatz der zentralen Schrift Quidorts mit zwei deutlich späteren Texten – im Falle Dantes ist es nicht einmal sicher, dass Quidorts Text ihm wirklich bekannt geworden ist; bei Marsilius von Padua mag das wahrscheinlich sein, wenngleich es nicht nachweisbar ist – um damit eine Tendenz in der Gesamtentwicklung der politischen Theorien der Zeit zu fxieren, die sich von der Vorstellung einer Universalmonarchie mehr oder minder weit entfernen.

»Parl II. Dominican and Theologian« spürt den biografschen Rahmenbedingungen des scholastischen Gelehrten nach. Chris Jones (»Historical Understanding and the Nature of Temporal Power in the Thought of John of Paris«, S. 77–118) sucht in Schultexten und zentralen Traktaten Quidorts die hermeneutischen Prinzipien seiner Argumentation auf. Anna Milne-Tavendale (»John of Paris and the Apocalypse: The Boundaries of Dominican Scholastic Identity«, S. 119–149) versucht die eschatologisch-apokalyptische Einstellung des Pariser Dominikanermilieus zu fxieren, aus dem Quidort stammt. Andrew A. K. Theng (»Why did John of Paris write De potestate regia et papali? A Reconsideration«, S. 151–191) vergleicht erneut zentrale Aussagen Quidorts mit seinen zeitgenössischen Diskussionspartnern, um u. a. auch die mehrfach zuvor schon im Band aufgerufene These von Janet Coleman zu überprüfen, nach der der Traktat aus verschiedenen früheren polemisch universitären Diskussionsansätzen zusammengestellt worden sei. Die Differenzen mit Autoren der Augustinereremitenschule (vor allem mit Aegidius Romanus und Jakob von Viterbo) werden besonders herausgegriffen, während (erstaunlich genug) die kleine kuriale (in Rom entstandene) Schrift des Heinrich von Cremona ganz fehlt, die von Quidort mit so viel Aufmerksamkeit und Häme bedacht worden ist, wohl weil er sie als quasi offziöse Stellungnahme der päpstlichen Kurie Bonifaz’ VIII. einschätzte. Stärker in rein theologisch-scholastische Traditionszusammenhänge blickt dann Holly Hamilton-Bleakly aus San Diego (»John of Paris, Henry of Ghent, and the Will as a Rational Appetite«, S. 193– 221), die, angeleitet durch die Aufmerksamkeit moderner Philosophen auf Akrasie und schwachen Willen, aus den Positionen der Sentenzenvorlesung Quidorts auf die intensiven Debatten der Theologen des 13.Jahrhunderts um das Verhältnis von Willen und Vernunft im Rahmen einer aristotelischen Philosophie und Theologie vor allem am Beispiel von Quidorts Ordensbruder (und Lehrer?) Thomas von Aquin († 1274) zurückblickt, den er mehrfach gegen den zeitgenössischen Nichtordensmann Heinrich von Gent († 1292) in selbständiger Weise verteidigt hat.

Man wird nicht behaupten wollen, dass der dann folgende »Part III. Concepts and Ideas« von dem auf das zeitgenössische Pariser Milieu hin orientierten zweiten Teil sehr weit entfernt ist. Hier widmet sich zuerst Gerson Moreno-Riaño (»John of Paris, Private Property, and the Study of Medieval Political Thought«, S. 225–237) erneut der Rolle, die das Konzept eines bürgerlichen Eigentums in der Theorie Quidorts (insbes. in »De potestate regia et papali«) spielte. Takashi Shogimen (»John of Paris and the Idea of Peace in the Late Thirteenth and Early Fourteenth Centuries«, S. 239–261) geht dann der Frage nach, welche Rolle der (hier nicht weiter differenzierte) Friedensgedanke bei Quidort gespielt hat, der bekanntlich später Marsilius von Paduas »Defensor pacis« strukturiert hat. Karl Ubl (»Debating the Emergence of an Idea: John of Paris and Conciliarism«, S. 263–306) unternimmt es, die Genese der politischen Theorie Quidorts zur Rolle der Gemeinde bei der Kirchenregierung nicht allein im Kontrast der unterschiedlichen Zeitstufen von seinem Sentenzenkommentar und »De potestate« zu beobachten, sondern zugleich auch eine kluge Deutung des Wandels der generellen Anschauung Quidorts vorzustellen, die das bisher vorherrschende Verständnis deutlich erweitert, das von Brian Tierney so nachhaltig geprägt wurde, wenn dieser vor allem hier kanonistische Traditionen wirksam gesehen hatte. Viel deutlicher erscheint der Neuansatz nun aus dem inneren Zusammenhang der Bonifaz-Krise abgeleitet. Was immer das »erste« Motiv dieser »konziliaren« Vorstellung gewesen sein mag, ohne jeden Zweifel hat die daraus entwickelte Vorstellung samt ihren sorgfältig zusammengestellten Begründungen die Rezeption von Quidorts politischer Konzeption zur Zeit des Großen Abendländischen Schismas und der Reformkonzilien des 15.Jahrhunderts ungemein befügelt. Allein die handschriftliche Rezeption des Haupttextes kann das heute noch belegen. Es ist schade, dass sich für den Band niemand hat fnden lassen, der der komplexen Frage der verschiedenen Redaktionen des Traktats und ihrer Handschriften gesondert näher hätte nachgehen wollen, wenngleich mehrfach von verschiedener Seite auf diese Forschungslücke hingewiesen wird!

»Part IV. Reception and Legacy« schließt hier thematisch anscheinend glatt an. Allerdings blicken Lidia Lanza und Marco Toste (»The Bridle Maker and the Pope: The Use of Causality in John of Paris’s De potestate regia et papali and the in the Early De potestate papae Treatises«, S. 309–360) zunächst noch einmal auf die Voraussetzungen von Quidorts Arbeit zurück, wenn sie auf den wechselnden Gebrauch einer (aristotelischen) Veranschaulichung kausaler Verknüpfung (gemäß dem Schermatismus der quattuor causae) zur Erläuterung des Verhältnisses von geistlicher und weltlicher Herrschaftskompetenz in den universitären Diskussionen der Pariser Gelehrten näher eingehen. An zahlreichen Beispielen wird eingehend die Bedeutung der spezifschen kausalen Verknüpfung von weltlicher und geistlicher Herrschaftskompetenz (potestas) plastisch vorgestellt, was die damaligen Diskussionen wesentlich zu verlebendigen vermag und so Voraussetzungen wie Folgen der Debatten in den scholastischen Diskursen verdeutlicht. Martin J. Cable (»Friar Ludovic of Strassoldo, ›Author‹ of the De potestate papali in 1434«, S. 361–400) nimmt sich dagegen einen Sonderfall aus den konziliaren Disputen des 15.Jahrhunderts vor, der an sich selbst eher ein bizarres Exempel einer ganzen Serie schamloser Plagiate darstellt, von denen die fast wortgetreue Übernahme des Textes von »De potestate regia et papali« in einen unter eigenem Namen ausgebenen Traktat nur ein einzelnes Beispiel ist. Der aus dem lokalen Adel Friauls stammende franziskanische Ketzerinquisitor Ludovicus de Strassoldo hat nämlich den Text Quidorts ohne wesentliche Änderung grafsch auf zwei Dialogpartner so verteilt, dass die Kapitelüberschriften (u. dgl.) als Fragen dem einen, die Ausführungen Quidorts dann dem anderen Partner zugewiesen erscheinen und das Ganze damit gewissermaßen als ein »humanistischer Dialog« erscheint. Hier wird nun nicht nur der Autor prosopografsch sehr genau in der archivalischen Überlieferung seiner Familie und in seiner näheren Heimatregion verfolgt, auch die »literarische« Technik wird an verschiedenen Beispielen aus den Handschriften verdeutlicht. Damit wird eine (sicherlich von Quidort selbst ungewollte) Spätfolge seines Traktats anschaulich. Schließlich geht Gianluca Briguglia bei der Beschreibung der legacy Quidorts, also des von ihm überkommenen »Erbes«, wieder auf beide Teile seiner scholastischen Schriften ein und vermittelt so einigermaßen überraschend die theologisch-philosophischen und politisch-theoretischen Überlegungen am Beispiel seiner letzten Schrift »Determinatio de modo existendi corpus Christi in sacramento altaris«, die den Lehrzuchtprozess gegen ihn in Paris veranlasst hat (»Theology, Sacramental Debates, and Political Thought in John of Paris: The Case of the Eucharist«, S. 401–421). Hier werden in eindringlicher Weise die Verbindungslinien ausgezogen, die aristotelische Naturphilosophie, theologische Konstruktion des sakramentalen Geschehens und Polarität geistlicher und weltlicher potestas miteinander in Beziehung setzen. Dieser gelungene Blick führt am Ende des Autorlebens im fnalen Prozess und dem Tod an der Kurie – das bleibt gegen die Bemerkung S. 405 (»and died shortly before reaching the Curia in Bordeaux«) mit dem Beleg (ebd., Anm. 14: ad curiam appellavit et ivit, et postea ibidem obiit)festzuhalten! – das Bild des Autors willkommen noch einmal konzentriert vor Augen.

Die in Sammelbänden üblich gewordene Sitte, dass eine ausführliche Bibliografe jeweils an die einzelnen Beiträge angehängt wird, hat zwar den Vorteil, dass die – heute nicht mehr ausgedruckten, sondern nur noch elektronisch hergestellten (versendbaren) – »Sonderdruckdateien« je für sich benutzbar und beurteilbar bleiben, kann aber dem Nachteil nicht entgehen, dass zentrale Titel immer wieder in aller Ausführlichkeit mitgeteilt werden müssen. Noch mehr ist es zu bedauern, dass nicht der Versuch gemacht wurde, ein Register der »Personen« und wichtigen »Sachen« anzufügen, was eine rasche Konsultation des hier vorgelegten »Handbuchs« doch wesentlich erleichtert und zugleich die Schwerpunkte der Betrachtung zentral präsentiert hätte. Hier hätte sich etwas mehr Engagement benutzerfreundlich ausgezahlt. Insgesamt wird man gleichwohl die Sammlung als wichtige Statusbeschreibung der gegenwärtigen Bemühungen um diesen zentralen Autor an der Wende zum 14.Jahrhundert dankbar begrüßen und ihr eine intensive und weite Benutzung wünschen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Miethke Jürgen, Rezension von/compte rendu de: Chris Jones (ed.), John of Paris. Beyond Royal and Papal Power, Turnhout (Brepols) 2015, XIV–421 p. (Disputatio, 23), ISBN 978-2-503-53280-6, EUR 120,00., in: Francia-Recensio 2017/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2017.4.43419