Arbeiten der letzten Jahre und Jahrzehnte, die sich mit Handwerk, Handwerkern und Zünften beschäftigten, haben das Mantra der älteren Forschung, Zünfte seien starre Gebilde mit wirtschaftlichem Zwangscharakter, weitgehend relativiert. Zünfte werden zudem nicht mehr nur unter wirtschaftshistorischen Fragestellungen untersucht, man hat stattdessen erkannt, dass sie aufgrund ihres korporativen, dynamisch-flexiblen und häufig auch politischen Charakters Untersuchungen unter wirtschafts-, sozial-, kultur- und politikwissenschaftlichen Gesichtspunkten erlauben1.

Diesen Forschungstendenzen folgend, präsentiert sich der von Eva Jullien und Michel Pauly herausgegebene Sammelband. Er entstand aus Beiträgen der gleichnamigen Konferenz, die 2013 in Luxemburg stattfand2. Ziel, so Eva Jullien in der Einleitung, sei es, aktuelle Forschungen abzubilden sowie den internationalen Dialog von Zunftforscherinnen und -forschern anzuregen. Entsprechend sind die 14 Beiträge sowie die Einleitung in drei Sprachen verfasst. Mit acht englischen, fünf deutschen und einem französischen Beitrag ist das Gleichgewicht allerdings eher unausgewogen. Der internationalen Rezipierbarkeit des Bandes hätte es gut getan, wenn jeder Beitrag mit einer Zusammenfassung zumindest in Englisch versehen worden wäre. Zudem ist die für das Gesamtverständnis eines Sammelbandes so wichtige Einleitung auf Deutsch verfasst – dem Wunsch nach internationaler Vernetzung der Zunftforscherinnen und -forscher hätte eine englische Einleitung eher entsprochen.

Der erste Beitrag stammt von Rudolf Holbach (»Mittelalterliche Zünfte und Handwerker im Lichte wirtschafts-, sozial- und kulturwissenschaftlicher Theorien«, S. 15–36). Er nutzt Theorien der im Titel genannten Nachbarwissenschaften (z. B. die Governance- und die Spieltheorie) und damit verbundene Neuausrichtungen in der historischen Forschung, um neue Perspektiven auf mittelalterliche Zünfte und Handwerker zu eröffnen. Dieser Aufsatz bietet entsprechend nicht nur eine hohe Anschlussfähigkeit für weitergehende Forschung, er steht im Vergleich zu den nun folgenden Beiträgen auch singulär und fungiert als konstitutiver Rahmen für den Sammelband.

Der erste von drei thematischen Komplexen soll sich mit Überlegungen zu Zunft und Öffentlichkeit beschäftigen. Arie von Steensel (S. 37–56) fragt anhand eines Vergleichs von Zünften in London, Gent und Florenz nach der Bedeutung der politischen Partizipation und plädiert dafür, dass gerade diese die Zünfte stärker geprägt hätte als wirtschaftliche Faktoren. Auch Tineke Van Gassen (S. 57–76) sieht am Beispiel der Maurer und Zimmerleute im mittelalterlichen Gent einen engen Zusammenhang zwischen sozialer Mobilität und politischen Verhältnissen. Den eine Verbindung zwischen Handwerkern und Stadtrat herstellenden zünftigen Kontrolleuren (veedores) im spätmittelalterlichen Spanien widmet sich sich Ricardo Córdoba de la Llave (S. 77-91)und weist ihre Bedeutung für die Identität und Ehre einer Zunft nach.

François Rivière (S. 93–124) leitet sodann den zweiten thematischen Block zur weiblichen Handwerksarbeit ein. Er zeigt, dass Frauen im mittelalterlichen Rouen als Meisterinnen in eigenen korporativen Strukturen organisiert waren. Muriel González Athenas (S. 125–140) kritisiert die bis dato dominante Verdrängungsthese von Frauen aus Handwerk und Zünften im 17. und 18.Jahrhundert und kann diese eindrucksvoll widerlegen. Dem frühneuzeitlichen Recht von Witwen auf Fortführung des ehelichen Betriebs im Ostseeraum widmet sich Maija Ojala (S. 140–155) und weist Witwen als eigenständige Akteurinnen nach, denen zünftige Auflagen nicht aus Geschlechtsgründen gemacht wurden, sondern aus Gründen der Arbeitskräfteregulierung. Sabine von Heusinger (S. 157–173) schließt mit ihrem Beitrag den Themenkomplex ab, weitet aber den Blick von den Frauen auf die Kernfamilie. Sie zeigt am Beispiel Straßburgs, dass Ehefrauen und Kinder im Spätmittelalter nicht grundsätzlich im ehelichen/väterlichen Gewerbe zuarbeiteten, sondern vielfach eigenständig wirtschaftlich tätig waren. Die ältere Vorstellung, dass die Kernfamilie immer dasselbe Handwerk betrieb oder derselben Zunft angehörte, scheint damit widerlegt.

Der letzte und größte Themenkomplex ist dem Zusammenspiel von zünftigen und unzünftigen Gewerben sowie regionalen und überregionalen Arbeitsmärkten gewidmet. Danica Brenner (S. 175‒193) weist, nach einem Überblick über bisher selten untersuche Zusammenschlüsse von Malern im deutschsprachigen Raum, für die Augsburger Malerzunft im 16.Jahrhundert eine starke Differenzierung aufgrund von Spezialisierung und verschärftem Wettbewerb infolge der Reformation nach. Auch Katalin Prajda (S. 195–220) betrachtet gewerbliche Veränderungsprozesse hin zu unternehmerischen Betriebsstrukturen innerhalb der goldverarbeitenden Handwerke in Florenz von 1378 bis 1433. Knut Schulz (S. 221–242) setzt sich anschließend mit dem transnationalen Kultur- und Techniktransfer anhand des neuen Berufsbildes der Büchsenmeister auseinander und betont die Innovationsfreude des spätmittelalterlichen Handwerks. Dass Zunfthandwerke nicht nach Gewinn und Leistung strebten und ihre Löhne nicht danach ausrichteten, widerlegt Reinhold Reith (S. 243–259) anhand einer Mainzer und einer Bamberger Quelle, die an das Gewerbe angepasste und auch individuell zwischen Meister und Geselle ausgehandelte Lohnermittlungsprozesse nachzeichnen. Eleonora Canepari (S. 261–275) beschäftigt sich indessen mit Lehrlingen und Gesellen über 30 in Rom, die nicht mehr in echten Ausbildungsverhältnissen standen, aber in abhängiger Arbeit verweilten, was im 17. und 18.Jahrhundert eher der Normalfall gewesen sein soll. Den Sammelband schließt Nicoletta Rolla (S. 277–296) mit einer Studie zum Turiner Baugewerbe im 18.Jahrhundert ab. Sie weist nach, dass die dortigen gewerblichen Korporationen nicht nur ihre Mitglieder in handwerklichen Fragen zu schützen suchten, sondern auch nach Herkunftsregionen geordnete Migrantengruppen repräsentierten

Leider kann der Sammelband nicht mit einem zusammenfassenden Schlussbeitrag punkten, der die divergenten Forschungsansätze und Themen einordnet. Dieser hätte aufgrund der breit angelegten Auswahl der Beiträge, deren Zusammenstellung in drei Themenblöcken nicht durchweg sachlogisch oder chronologisch aufeinander bezogen erfolgte, durch Ergebnisbündelung und daraus resultierende Forschungsperspektiven einen Mehrwert generieren können. Insgesamt bietet der Sammelband, der die traditionelle Epochengrenze zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit aus guten Gründen überwindet, das, was die Einleitung verspricht: einen Einblick in aktuelle Forschungskontexte, -fragen und -arbeiten auf dem Gebiet der Zunft- und Handwerksgeschichte. Hier wäre kritisch zu bemerken, dass die einzelnen Beiträge die Epochengrenze fast ausnahmslos wahren. Dies schmäler allerdings keineswegs den Verdienst der Herausgeber am lesenswerten Ergebnis. Die überwiegende Zahl der Beiträge ist sehr überzeugend und so bietet der Band eine Fülle an für die Zunftforschung wichtigen und auch darüber hinausgehend anschlussfähigen Aspekten, deren Rezeption sich lohnt.

1 Zu diesen neueren Forschungen wäre eine ganze Reihe von Werken zu nennen, exemplarisch sei gerade für die Dynamik und Flexibilität von Zünften im Mittelalter verwiesen auf: Sabine von Heusinger, Die Zunft im Mittelalter. Zur Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Straßburg, Stuttgart 2009 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte, 206).
2 Vgl. die Ankündigung der Tagung »Craftsmen and Guilds in the Medieval and Early Modern Periods«, 12.09.2013–14.09.2013 Walferdange, in: H-Soz-Kult, 26.08.2013, https://www.hsozkult.de/event/id/termine-22604.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Kristin Zech, Rezension von/compte rendu de: Eva Jullien, Michel Pauly (ed.), Craftsmen and Guilds in the Medieval and Early Modern Periods, Stuttgart (Franz Steiner Verlag) 2016, 316 p., 5 b/w ill., 5 col. ill., 20 b/w tabl. (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte, 235), ISBN 978-3-515-11235-2, EUR 54,00., in: Francia-Recensio 2017/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2017.4.43421