Mit der zu besprechenden Monografie legt Éric Rieth, einer der großen Namen des kleinen Faches »Schiffsarchäologie«, abermals ein Überblickswerk vor. Neben der Publikation mehrerer einzelner Schiffsfunde in Artikeln und Monografien, der Herausgabe von Tagungs- und Sammelbänden, sind gerade seine für die etwas breitere Leserschaft konzipierten Gesamtdarstellungen von großer Bedeutung. Dabei beschränkt er sich nicht auf eine bestimmte Fundregion oder Zeitstellung, sondern lediglich auf das Thema »Wasserverkehr«. Besonders seine 1998 erschienene Publikation »Des Bateaux et des Fleuves. Archéologie de la batellerie du Néolithique aux Temps modernes en France« (Paris 1998) sucht ihresgleichen in Europa.

Der vorliegende Band ist vorrangig für eine französische Leserschaft bestimmt. Es stellt sich nach wie vor das Problem, dass nur wenig direkter Austausch zwischen den französischsprachigen Kolleginnen und Kollegen auf der einen Seite und den englischsprachigen, hier sind die skandinavischen und deutschen Kollegen hinzuzurechnen, auf der anderen Seite stattfindet. Zwar sind die Spezialistinnen und Spezialisten, wie es sicherlich allgemeinüblich ist, international gut untereinander vernetzt, außerhalb dieses Kreises werden die jeweiligen Ergebnisse aber nach wie vor zu wenig wahrgenommen, sodass sich Parallelstrukturen gebildet haben. Vereinzelt wird bewusst versucht, durch gemeinsame Projekte die Trennung zu überwinden, dies erfolgt jedoch nur schleppend und ist vom Engagement einzelner abhängig. Rieths Publikation ist hier ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung, in dem der französischen Community klar strukturiert und gut bebildert der Forschungstand der europäischen Nachbarn präsentiert und dem französischen Fundmaterial gegenübergestellt wird.

Der von Rieth im ersten Kapitel gesteckte Rahmen des Buches bewegt sich in den 1000 Jahren zwischen dem 5. und 15.Jahrhundert und entlang der europäischen Küstenlinie. Zu Beginn wird der Leser in die Forschungsgeschichte und die unterschiedlichen Ansätze der französischen und skandinavischen Untersuchung von Schiffskonstruktionen eingeführt. Anschließend werden eine Reihe aktueller Schiffsfunde sowie Schrift- und andere Quellen präsentiert. In den beiden folgenden Kapiteln werden die Faktoren, welche die Gestalt eines Schiffes beeinflussen, dargelegt. Anschließend wird ein Einblick in den Quellenbestand und -umgang gegeben. Zuvorderst stehen hier die archäologischen Funde, die aus kompletten Schiffen, in unterschiedlich guten Erhaltungsbedingungen, oder zweitverwendeten Schiffsteilen bestehen können. Neben den verschiedenen Datierungsmöglichkeiten wird auch erklärt, wie man von einem Schiffsüberrest zu einer wissenschaftlich belastbaren Rekonstruktion kommt. Schrift-, Bild- und ethnologische Quellen wie auch experimentelle Archäologie ermöglichen es, den Schiffbau besser nachvollziehen zu können, und runden den Abschnitt ab.

Das vierte Kapitel ist der Vorstellung skandinavischer Schiffsbautechnik gewidmet, die gerne mit den sogenannten »Wikingerschiffen« gleichgesetzt wird. Dank einer großen Anzahl von Funden und einer guten Vergleichbarkeit der Konstruktionen lassen sich typische Bauformen von untypischen trennen und unterschiedliche Entwicklungsstränge herausarbeiten. Das fünfte Kapitel bildet den logischen Schritt aus Skandinavien heraus und stellt konstruktiv vergleichbare Funde aus dem restlichen atlantischen Europa vor. Länderweise werden westeuropäische archäologische, schriftliche wie auch bildliche Quellen präsentiert. Während im nordeuropäischen Raum aus den Vollen geschöpft werden kann und möglichst vollständige und umfangreich besprochene Funde präsentiert werden, muss Rieth in Frankreich, Spanien und auf den Britischen Inseln auf zum Teil recht schlecht erhaltene Fahrzeuge zurückgreifen. Hier liegt aber ein Mehrwert wiederum für die nordeuropäische Forschung, da u. a. nur wenig bekannte Objekte wie z. B. das baskische Boot von Urbieta vorgestellt werden. Am besser bekannten Newport-Schiff, ein in Wales gesunkenes ebenfalls baskisches Fahrzeug, zeigt sich, dass Rieth auch aktuelle Forschungen aufzugreifen und in seine Argumentationen einzuflechten weiß.

Mit dem sechsten Kapitel wendet sich der Autor einer Bauform zu, die unter dem Namen »Hansekogge« Bekanntheit erlangte. Außer der Konstruktion, die knapp dargestellt wird, findet in den letzten Jahren besonders eine Diskussion um die Bezeichnung dieses Schiffstyps statt, wobei der geführte Disput noch weiterhin besteht. Neben den Vermutungen zur Herkunft der Bauform selbst stellt er ein Binnenschiff des 15.Jahrhunderts (Canche à Beutin, dép. Pas-de-Calais) den maritimen Baumustern gegenüber. Eine interessante Idee allemal, bei der aber abzuwarten bleibt, wie sie in der Fachcommunity aufgenommen wird. Das kurze Kapitel sieben widmet sich dem sogenannten »Holk«, einem Schiffstyp, der seit längerer Zeit immer wieder in Überblickswerken auftaucht, dessen genaue Definition aber kaum möglich ist und von vielen Kollegen aufgrund zu dünner Quellenlage abgelehnt wird.

Ab dem achten Kapitel wendet sich Rieth dem mediterranen Raum zu. Hier stellt er anhand ausgewählter Beispiele die Unterschiede zwischen der nordeuropäischen shell-first, also dem Schiffbau ausgehend von seiner Außenhaut, und dem mediterranen frame-first, also dem Bau ausgehend von inneren Spantengerüst, vor. Seine Ausführungen werden dabei durch Erläuterungen zu den planerischen Abläufen unterstützt. Das neunte Kapitel bildet schließlich die Synthese mit dem Versuch der Frage, nach Austausch und Zusammenführung beider Bautechniken nachzugehen, aus dem wiederum spätere Schiffsformen hervorgehen.

Während der erste Teil des Buches durchaus einer breiteren Leserschaft an die Hand gegeben werden kann, ist besonders das letzte Kapitel eher den Spezialistinnen und Spezialisten vorbehalten. Obwohl der Überblick über den Forschungsstand recht gut gelingt, wird bei der zusammenfassenden Interpretation der Blick vorrangig aus französischer Sicht auf das Material geworfen. Rieth versucht den Griff nach dem goldenen Gral der Schiffsarchäologie, nämlich dem Bestreben, durchgehende Evolutionslinien von den frühesten Schiffsformen bis in die Neuzeit zu schlagen. Ein Versuch, um den sich bereits viele Kollegen bemüht haben, indem bestimmte Schiffstypen anhand verschiedenster Quellen definiert werden, und versucht wird, zwischen diesen Übergangsformen und Ausbreitungsphasen auszumachen. Es bleibt zu fragen, ob dieser Ansatz nach wie vor der richtige ist oder ob es nicht an der Zeit wäre, andere Beschreibungsformen jenseits fester definierter Schiffstypen zu finden. Dies ist aber keine Frage, der sich Rieth alleine stellen muss, sondern eher eine ganze Generation von Wissenschaftlern betrifft. Ansätze diese starren Formen aufbrechen zu wollen, sind bei Rieth allemal erkennbar.

Mit der vorliegenden Monografie ist es gelungen, einen aktuellen Forschungsstand in prägnanter Form vorzulegen. Dazu ist dem Autor zu gratulieren. Rieth schlägt die Tür auf und fordert, stärker über den Tellerrand zu schauen. Vergleichbare Publikationen bestehen in englischer und erst recht deutscher Sprache nicht. Viele weiterführende Fragestellungen werden von ihm angestoßen und es bleibt zu hoffen, dass das Buch nicht nur in Frankreich wahrgenommen wird. Dies betrifft weniger die erste Hälfte des Buches, da die meisten Daten der englischsprachigen Literatur entnommen sind. Es bleibt aber zu befürchten, dass der Syntheseteil international kaum wahrgenommen wird, es sei denn, zusammenfassende Artikel folgen. Hier ist aber erfahrungsgemäß auf den Autor Verlass.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Lars Kröger, Rezension von/compte rendu de: Éric Rieth, Navires et construction navale au Moyen Âge. Archéologie nautique de la Baltique à la Méditerranée, Paris (Éditions A. et J. Picard) 2016, 352 p., nombr. ill. en coul. et en n/b (Espaces médiévaux), ISBN 978-2-7084-1011-4, EUR 38,00. , in: Francia-Recensio 2017/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2017.4.43431