Der Titel des Carolyn P. Collette gewidmeten Bandes verspricht mehr als der Inhalt hält. Statt auf das gesamte Mittelalter beziehen sich die Beiträge ausschließlich auf die spätmittelalterliche englische und französische Hof- bzw. Adelskultur. Dabei liegt ein deutlicher Schwerpunkt auf der Literatur und hier vornehmlich auf Chaucer. Sechs der elf Autorinnen und Autoren nehmen seine Werke als Grundlage oder leisten einen Beitrag zu ihrer Interpretation. Zwei beschäftigen sich mit der Geschichtsschreibung und zwei gehen von Handschriften aus. Lynn Staley misst den in Briefen, Chroniken und Gedichten der englischen Königin Anne von Böhmen zugeschriebenen Handlungsspielraum aus, Nadia Margolis weist eine reliquiarähnliche Struktur der von Christine de Pizan verfassten Biografie Karls V. nach, Jill C. Havens untersucht die sich wandelnde Bedeutung eines für Mary von Bohun angefertigten englischen Psalters und Jocelyn Wogan-Browne erschließt die spirituelle Botschaft einer französischsprachigen Handschrift aus dem Besitz der englischen Gräfin Elizabeth de Vere. Nur eine einzige Arbeit geht nicht von einem Text aus: In ihr rekonstruiert und untersucht Michael T. Davis die Architektur des inzwischen zerstörten Collège de Navarre in Paris.
Wie bei vielen Festschriften gibt es keine echte methodische Einheit. Zwar versuchen die Herausgeber, den Band in den Rahmen der Diskussion über die mittelalterliche Objektwahrnehmung einzuschreiben, aber für das Erkenntnisinteresse der meisten Autoren spielt dieser Zusammenhang kaum eine Rolle. Auch die theorielastige Einteilung in drei Teile, zum einen Arbeiten über Frauen und ihren Gebrauch von Dingen in der Literatur, zum anderen solche über den Gebrauch von Texten für sich als auch als »Objekte und Mechanismen zur Definition anderer Objekte« (sic!) und schließlich Beiträge über die Objektivierung des weiblichen Körpers, ist im Hinblick auf die Inhalte der zugeordneten Beiträge nicht immer nachvollziehbar.
Ihrem Ansatz nach sind die meisten Arbeiten klassische literatur- bzw. kunstwissenschaftliche Studien, die von einem Werk und seiner Intertextualität bzw. seinem Bezug zu anderen Kunstwerken ausgehen, um neue Bedeutungsebenen zu erschließen. Manche Anspielungen auf (nicht im Band enthaltene) Bilder und klassische lateinische Texte sowie die gesamte Studie Robert R. Edwards zum Abschluss des »Roman de la Rose« sind so eng auf ein literaturwissenschaftliches Fachpublikum zugeschnitten, dass es für Nichtspezialisten schwer wird, die Argumentation nachzuvollziehen. Zwar sind durchgehend Frauen Ansatzpunkt der Untersuchungen, aber der Horizont und das Erkenntnisinteresse der Autoren und Autorinnen entspricht nicht dem, was von einer fächerübergreifenden, Geschichts- und Literaturwissenschaft verbindenden Frauen- bzw. Geschlechterforschung zu erwarten wäre.
Die Chaucerstudien zeigen die doppeldeutige Hintergründigkeit der Geschichten und machen eine bewusste Positionierung dieses Autors innerhalb eines Spannungsfeldes von frauenfreundlichen und frauenfeindlichen, aber auch kirchenkritischen und kirchenfreundlichen Traditionen glaubhaft. Die Studie der Handschrift Mary of Bohuns sensibilisiert für die sich wandelnde Bedeutung eines Buchs im Laufe seiner Überlieferung und die Untersuchung des Bandes von Elisabeth de Vere belegt die Prägung des englischen Adels durch die französische Kultur. Und zählt eine Auseinandersetzung mit der Struktur von Christine de Pizans Biografie Karls V. wirklich automatisch zur Frauengeschichte? Nach vierzig Jahren Christine de Pizan-Forschung scheint eine Zuordnung zur Geschichte der Geschichtsschreibung sinnvoller, zumal ein Vergleich mit Jean de Joinvilles »Vie de saint Louis« die postulierte Einzigartigkeit des Werks erheblich relativieren würde.
Überzogene Wertungen wie diese, die auf das Bemühen zurückgehen, weibliche Leistungen bzw. Handlungsbeschränkungen hervorzuheben, schaden der Glaubwürdigkeit der Untersuchungen. Statt die Beschränkung der Königinnenrolle oder die eingeschränkte Rechtsfähigkeit von Frauen zu konstatieren, um darauf aufbauend den Frauen verbleibenden Handlungsspielraum auszuloten, wird weibliche Agency eingefordert und die Objektivierung beklagt oder umgekehrt wird dem lange nach dem Tod der Stifterin Johanna von Navarra errichteten Collège de Navarre eine persönliche, frauenspezifische Qualität zugeschrieben, die im Grunde unbeweisbar ist. Auch die von Jenny Adams postulierte Geschlechtsumwandlung der Schachfigur der Königin und der ihr damit verbleibende Transgendereffekt nach dem Tausch eines am Brettende angekommenen Bauers zu einer Dame bleibt ohne eine ausreichend explizite Textbasis eine Behauptung. Gegenargumente mit einem »trotzdem« abzutun (vgl. Anm. 15), genügt nicht. Natürlich ist es legitim, aus der Jetztzeit geborene Fragestellungen an die Vergangenheit heranzutragen, aber auch die Gender- und Transgenderforschung unterliegt einer hermeneutischen Beweispflicht, zu der der Vergleich mit ähnlichen, von Männern verfassten Werken gehört.
Ein mit der kompensatorischen bzw. Opferperspektive eng verbundenes methodisches Problem liegt in der Beschränkung des Blickfelds auf Frauen, als ob allein weibliches Verhalten rollengebunden wäre und nur weibliche Körper objektiviert würden. Dass dem nicht so ist, zeigt das von Susanna Fein aufgearbeitete Fabliau »Les quatre souhaiz de saint Martin«. Es berichtet von einer Bauersfrau, die einen ihrem Mann vom heiligen Martin gewährten Wünsche dazu nutzt, sich eine Vermehrung seines Penis zu wünschen, woraufhin dieser in einer Art Retourkutsche die Vagina seiner Frau multiplizieren lässt. Dass damit der männliche wie der weibliche Körper objektiviert werden, steht der Logik des Bandes, eine solche Reduzierung nur auf Frauen zu beziehen, entgegen. Die Ausrichtung der Interpretation dieser Geschichte auf ein besseres Verständnis von Chaucers Figur »Wife of Bath« ist daher aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive zu bedauern. Hier und in einigen anderen Studien kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Frauen- bzw. Geschlechtergeschichte lediglich als Aufhänger fungiert, der die Vermarktung der Arbeiten bzw. des Bandes erleichtern soll.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Beate Schuster, Rezension von/compte rendu de: Jenny Adams, Nancy Mason Bradbury (ed.), Medieval Women and Their Objects, Ann Arbor, MI (University of Michigan Press) 2017, X–294 p., 19 fig., ISBN 978-0-472-13014-6, USD 70,00., in: Francia-Recensio 2018/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45537