Der Band gehört zu der Reihe von »Fundamentals of Medieval and Early Modern Culture«, in der sowohl zentrale als auch randständige Themen der Alltags- und Mentalitätsgeschichte dargestellt werden1. Die Themen der einzelnen Beiträge erstrecken sich dementsprechend auch in dieser Aufsatzsammlung vom Frühmittelalter bis ins 18. Jahrhundert und berücksichtigen dabei vor allem Quellen aus der jeweils zeitgenössischen Literatur und darstellenden Kunst sowie Rituale und Vorstellungen des Volksglaubens. Da der Tod ein elementarer Bestandteil der Lebenswirklichkeit ist, werden mit solchen Untersuchungen unüberschaubar viele Bereiche angesprochen. Zugleich wird deutlich, wie sehr sich seit Beginn der Moderne das Verhältnis des Menschen zu Tod und Sterben gewandelt hat. Das Wissen um diese Veränderungen hat gerade in den letzten Jahrzehnten zu einer Fülle von Publikationen geführt, die kaum zu überblicken ist.

In einer ausführlichen Einleitung versucht der Herausgeber Albrecht Classen (»Death and the Culture of Death. Universal Cultural-Historial Observations, with an Emphasis on the Middle Ages«, S. 1–57) einen Überblick über diese sehr disparaten Forschungen zu geben, die von Gespenstergeschichten über Alterskultur, Leichenpredigten und Grabkultur bis zu Jenseitsvorstellungen reichen. Neben gelungenen Passagen über die hochmittelalterliche Literatur, dem eigentlichen Forschungsgebiet des Autors, geraten andere Bereiche dagegen zu kurz und bleiben nur beiläufig. So z. B., wenn zum Thema »Allerseelen« nur der deutsche und der englische Wikipedia-Artikel zitiert werden, nicht aber die 2004 erschienene grundlegende Studie von Jürgen Bärsch2 (S. 54), oder wenn über das Gebet für die Verstorbenen fälschlich gesagt wird, es sei »carried by the hope for the resurrection of the dead at the Day of Judgement« (S. 54), wo es doch nach theologischer Vorstellung nicht um die für alle erwartete Auferstehung, sondern um das individuelle Seelenheil geht.

Zwei Beiträge stellen die angelsächsische und nordische Geschichte in den Vordergrund und untersuchen Elemente von Heldentod und Heldenverehrung (John M. Hill, »Heroic Poetry: Achievement and Heroic Death in Old English Literature«, S. 59–74) bzw. die rituelle Ausgestaltung mündlicher oder schriftlicher Testamente (Mary Louise Fellows, »Death and Ritual: The Role of Wills in Late Anglo-Saxon England«, S. 75–94) und ihre Bedeutung für den Zusammenhalt der Gesellschaft. In gleicher Weise versuchen Katharina Baier und Werner Schäfke (»When the Dead No Longer Rest: The Religious Significance of Revenants in Sagas set in Viking Age Settlements Around the Time of Conversion«, S. 131–154) an frühen literarischen Zeugnissen die Unterscheidung zwischen friedlichem, grausamem oder sozialem Tod (Hans-Peter Hasenfratz) zu exemplifizieren, hier auf der Grundlage von Wikingersagas; eine Typisierung der Wiedergänger und die Überwindung dieses Glaubens durch christliche Riten und Vorstellungen wird verknüpft mit der dauerhaften Erinnerung an die Verstorbenen und deren Bedeutung für heldenhaftes Nachleben in der Gemeinschaft.

Mehrere kunsthistorische Beiträge zeigen die enge Verflechtung der Vorstellungen vom Tod und vom Sterben mit dem Alltag der Lebenden, wenngleich dieser Bezug oft nur über sehr diffuse religiöse oder gar kosmologische Verallgemeinerungen hergestellt werden kann. Die Fresken der Märtyrer Savinus und Cyprianus in der Kirche Saint-Savin-sur-Gartempe werden von Rosemarie Danziger (»Palimpsest in the Service of the Cult of the Saints – The False Arch in the Nave’s Vault of the Abbey Church of Saint-Savin-sur-Gartempe«, S. 95–130, mit Abb.) in eine heilsgeschichtliche Gesamtinterpretation des Kirchenbaus als eschatologischer Idee gestellt.

Das Nordportal des Freiburger Münsters, das sog. Schöpfungsportal, wird von Nurit Golan (»The North Portal of the Freiburg im Breisgau Minster: Cosmological Imagery as Funerary Art«, S. 155–192, mit Abb.) wegen der unmittelbar benachbarten, im 18. Jahrhundert zerstörten mittelalterlichen Andreaskapelle samt Friedhof vor dem Hintergrund des allgemeinen Todesbewusstseins als Repräsentation des kosmologischen Weltbildes der gebildeten Stadtbürgerschaft interpretiert – eine fortschrittliche, selbstbewusste Laienbildung beim Besuch der Grabstätten! Dominique DeLuca (»Bonum est mortis meditari: Meanings and Functions of the Medieval Double Macabre Portrait«, S. 239–262, mit Abb.) erläutert anhand von Doppelportraits, auf denen einerseits junge, gesunde Paare und andererseits alte, ausgezehrte oder schon skeletthafte Männer und Frauen konfrontiert werden, die Vorstellung von Vergänglichkeit, was zugleich als Element einer Ars moriendi angesehen werden kann. Christina Welch (»Late Medieval Carved Cadaver Memorials in England and Wales«, S. 373–440, ohne Abb.!) stellt die in England und Wales erhaltenen Transi-Grabmale zusammen und setzt sich kritisch mit den Beschreibungen Erwin Panofskys auseinander.

Rechtliche Implikationen des Sterbens werden anhand spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Akten von Patricia Turning (»›And Thus She Will Perish‹: Gender, Jurisdiction, and the Execution of Women in Late Medieval France«, S. 311–337) und Elizabeth Chesney Zegura (»Maternal Death and Patriarchal Succession in Renaissance France«, S. 457–489) untersucht. Die Fälle von Frauen aus Toulouse, denen im 15. Jahrhundert Ehebruch, Gattenmord und andere Verbrechen vorgeworfen wurden, sind im ersten Beitrag die Grundlage für eine Darstellung der (selteneren) Gerichtsverfahren gegen Frauen, einschließlich Strafen und Hinrichtungen; diskutiert wird auch die Frage männlicher Machtausübung.

Der zweite Beitrag beschäftigt sich mit den speziellen Aspekten von Frauensterblichkeit (Kindsbetttod, Selbstmord nach Vergewaltigung, Mord durch männliche Gewalt) und berücksichtigt sowohl historische als auch literarische Quellen wie etwa Rabelais’ »Gargantua« oder das »Heptameron« der Margarete von Navarra. Angesichts von starrem kirchlichem Codex, Religionskriegen und der Idee der Familienehre ist es nicht erstaunlich, wenn den Frauen eine zur Gänze schwächere Rolle zugewiesen wurde, sie aber die sich daraus ergebende geringere Lebenserwartung im 15. und 16. Jahrhundert klaglos akzeptierten.

Einige der zahlreichen Implikationen des »Schwarzen Todes« im 14. Jahrhundert werden von Jean E. Jost (»The Effects of the Black Death: The Plague in Fourteenth-Century Religion, Literature, and Art«, S. 193–238, mit Abb.) aufgegriffen und als nahezu totaler Wandel der Lebensformen und Kulturäußerungen dargestellt. Die Betonung emotionaler Elemente, die Konzentration auf die Literatur und auf die durch ihre direkte Wirksamkeit noch eindrucksvollere darstellende Kunst (Totentanz) berücksichtigen leider nicht die schon seit karolingischer Zeit in zahlreichen Quellen nachweisbaren Ideen der Sorge um das Seelenheil, die mit Totenmemoria, Gebetsgedenken und Seelstiftungen ebenso als eine durch Tod und Todesvorstellungen bestimmte »Kultur« betrachtet werden müssen.

Dieser Ansatz wird dankenswerterweise aufgenommen von Scott L. Taylor (»Pro Defunctis Exorare: The Community of the Living and the Dead in Jean Gerson’s Sermones de Omnibus Sanctis and de Mortuis«, S. 297–309), der aus den Werken des dem Früh- und Hochmittelalter noch näher stehenden Jean Gerson die bestimmende Rolle der Kirche eruiert, die sich als Gesamtheit (congregatio perfecta) dazu verpflichtet sieht, der Seele des Sterbenden durch Gebet zu baldigem Eintritt ins Paradies zu verhelfen. Der Autor setzt sich damit deutlich von den Interpretationen von Philippe Ariès und Jacques Le Goff ab.

In sechs weiteren Beiträgen werden Todesvorstellungen anhand literarischer Zeugnisse analysiert. Dabei kommen nahezu umfassend alle Stände und Schichten der Gesellschaft in den Blick:

Daniel F. Pigg, »Imagining the Mass of Death in Chaucer’s Pardoner’s Tale: A Critique of Medieval Eucharistic Practices«, S. 263–276; Albrecht Classen, »Death, Sinfulness, the Devil, and the Clerical Author: The Late Medieval German Didactic Debate Poem Des Teufels Netz and the World of Craftsmanship«, S. 277–296; Sharon Diane King, »›Je viens …/d’estrange contrée‹: Medieval French Comedy Envisions the Afterlife«, S. 339–355; Connie L. Scarborough, »Gallows Humor in the Tragicomedia de Calisto y Melibea«, S. 357–372; Thomas Willard, »Images of Mortality in Early English Drama«, S. 411–431; Cyril L. Caspar, »New Perspectives of the Early Modern Afterlife: The Last Pilgrimage in the Poetry of John Donne and Sir Walter Raleigh«, S. 433–456.

Die Darstellungen berühren u. a. die Werke von Caesarius von Heisterbach, Dante Alighieri, Meister Eckhart, Giovanni Boccaccio, Rogier van der Weyden, Hieronymus Bosch, Sebastian Brant, Erasmus von Rotterdam, Johannes Calvin, Christopher Marlowe und William Shakespeare.

Mit der im 18. und 19. Jahrhundert verbreiteten Furcht vor dem Scheintod beschäftigt sich Václav Grubhoffer (»Fear of Seeming Death in Eighteenth-Century Europe«, S. 491–517, mit Abb.). Veränderte Glaubenserfahrung und Fortschritte der Medizin stellen in dieser Zeit die rein biologischen Aspekte des Todes in den Vordergrund. Zeitgenössische, medizinisch gebildete Autoren (Christian Friedrich Garmann, »De miraculis mortuorum«; Josph Habermann, »De salubri sepultura«) werden ebenso herangezogen wie literarische Beispiele (Edgar Allen Poe), in denen die Grausamkeit dieser Vorstellungen beherrschendes Stilmittel ist. Gleichzeitig entstehen aber bereits Vereinigungen, die sich der Lebensrettung verpflichtet sehen (Seenotrettung, Wiederbelebung Ertrunkener). Zu diesen vom Autor als »paradox of Enlightenment-era« bezeichneten Erscheinungen gehören auch die Bestimmungen zur Anlage von Friedhöfen durch Kaiserin Maria Theresia und Joseph II. von Österreich. Hier zeichnen sich bereits die Anfänge des heute vollständig der Medizin überlassenen Sterbens ab.

Der Band wird abgeschlossen durch Kurzbiogramme der Beitragenden, den Bildnachweisen und einem schmalen Index. Die Abbildungen in einzelnen Beiträgen sind leider nur Schwarz-Weiß-Drucke von teils sehr schlechter Qualität – angesichts des nicht geringen Preises für das Buch bleibt das unverständlich! Eine generelle Beurteilung der Aufsatzsammlung ist kaum möglich, da die einzelnen Untersuchungen sich nicht zu einem kohärenten Ganzen fügen und unterschiedliche Arbeitsweisen der vielen beteiligten Disziplinen eine wissenschaftliche Bewertung erschweren. Gleichwohl liegt hier ein Kompendium vieler interessanter bekannter aber auch neuer Aspekte vor, das einen lebendigen Einblick in einen im persönlichen und öffentlichen Denken gern vernachlässigten Themenbereich bietet.

1 Einen Überblik über die Reihe gewährt die Webseite: http://aclassen.faculty.arizona.edu/content/fundamentals-medieval-and-early-modern-culture (03.03.2018).
2 Jürgen Bärsch, Allerseelen. Studien zu Liturgie und Brauchtum eines Totengedenktages in der abendländischen Kirche, Münster 2004 (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen, 90).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Franz Neiske, Rezension von/compte rendu de: Albrecht Classen (ed.), Death in the Middle Ages and Early Modern Times. The Material and Spiritual Conditions of the Culture of Death, Berlin, Boston, MA (De Gruyter) 2016, VI–545 p., 50 fig. (Fundamentals of Medieval and Early Modern Culture, 16), ISBN 978-3-11-044230-4, EUR 129,95., in: Francia-Recensio 2018/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45544