Der sich gediegen präsentierende Sammelband im Folioformat und Leineneinband mit Silberprägung vereint mehrheitlich die Beiträge eines gleichnamigen Workshops, der 2009 in Leipzig stattfand. Hervorgegangen ist diese Tagung aus dem seit 2001 laufenden Datenbankprojekt »Italia Regia«, das – ursprünglich konzipiert von François Bougard (Paris) – unter Leitung eines Gremiums von sechs renommierten Diplomatikern und Diplomatikerinnen aus Italien (Giulia Barone – Rom, Flavia De Rubeis und Stefano Gasparri – Venedig, Antonella Ghignoli – Florenz), Frankreich (François Bougard) und Deutschland (W. Huschner) in Leipzig angesiedelt ist. Das ehrgeizige Unternehmen hat sich vorgenommen, die Herrscherurkunden des 7. bis 11. Jahrhunderts für Empfänger im Regnum Italiae in Form von erweiterten Regesten – in Anlehnung an Paul Kehrs »Italia Pontificia« nach dem Empfängerprinzip – systematisch zu erfassen und unter neuen Fragestellungen, die vor allem die äußeren Merkmale in den Fokus rücken, zu untersuchen. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Herrscherurkunden nicht nur Rechtsdokumente, sondern hochkomplexe Medien darstellen, die vielfältige »Botschaften« transportieren, sollen die Beziehungen der beteiligten Eliten untereinander im Spiegel dieser Urkunden ausgelotet und textuell wie auch grafisch vermittelt werden.
Nach einem dreisprachigen kurzen Vorwort, für das F. Bougard, A. Ghignoli und W. Huschner firmieren (S. 9f.), und einer knappen, von W. Huschner verfassten Einleitung (S. 11f.), folgen 13 Beiträge, von denen sieben von italienischen und vier von deutschen Autoren stammen. Hinzu kommen zwei Aufsätze aus der Feder von F. Bougard. In inhaltlicher Hinsicht wird dem Leser ein bunter Strauß unterschiedlicher Themen präsentiert, in dem größere Übersichtsartikel neben Einzeluntersuchungen in weitgehend chronologischer Ordnung aufeinander folgen.
Den Reigen eröffnet F. Bougard mit grundsätzlichen Überlegungen zu seinem Spezialgebiet, den Gerichtsurkunden, wobei sein Blick nicht auf die Toskana beschränkt bleibt: »Diplomes et notices de plaid: dialogue et convergence« (S. 15–22). Die früh verstorbene Leipziger Schülerin Huschners, Karina Viehmann, die noch an der Redaktion des Bandes mitgewirkt hat, erschließt uns in ihrem weit ausgreifenden, mit mehreren instruktiven Karten ausgestatteten Beitrag die gesamte herrscherurkundliche Überlieferung in der Toskana in der Übergangsphase vom fränkisch-karolingischen zum ottonischen Regnum Italiae: »Die Herrscherurkunden für die Toskana im nachkarolingischen Regnum Italiae (888–926)« (S. 23–36). Den zahlreichen Herrscherurkunden für das bedeutende, im Grenzgebiet zum päpstlichen Einflussgebiet in der südlichen Toskana liegende Kloster San Salvatore am Monte Amiata widmet sich Sebastian Roebert, wobei er ausführlich auf die Fälschungsproblematik mehrerer Urkunden eingeht: »Herrscherurkunden des 9. und 10. Jahrhunderts für das Kloster San Salvatore al Monte Amiata: Eine Bestandsaufnahme« (S. 37–53). Giulia Barone informiert in ihrem kurzen Beitrag über die Rolle der aus Burgund stammenden Kaiserin Adelheid († 999), der Gemahlin Ottos d. Gr., bei der Privilegierung mehrerer Klöster durch Kaiser und Papst unter dem Aspekt der »libertas ecclesiae«: »La documentazione imperiale e papale a favore dei monasteri toscani nel X secolo: il ruolo di Adelaide di Borgogna« (S. 55–58).
Antonella Ghignoli zeigt, dass das Privileg Ottos des Großen für S. Salvatore a Sesto (südlich von Lucca), das in der Diplomata-Edition der MGH dem Kloster S. Ponziano in Lucca zugeschrieben wurde (diese Zuordnung hatten schon Paul Kehr und Friedrich Schneider bezweifelt), wahrscheinlich von einem Empfängerschreiber verfasst und geschrieben wurde: »Italia Regia – Etruria – Lucca. Un nuovo diploma per l’abbazia di S. Salvatore a Sesto: D O. I. 270« (S. 59–76). Mit der Person des Bischofs Ubert von Parma (960–980), der 966 Erzkanzler Ottos des Großen wurde und diesem bei der Reorganisation der Toskana beistand, befasst sich Paolo Tomei, »Coordinamento e dispersione. L’arcicancelliere Uberto di Parma e la riorganizzazione ottoniana della marca di Tuscia« (S. 77–85). Dass man im späteren Mittelalter mit gefälschten ottonischen Urkunden in der juristischen Auseinandersetzung um strittige kommunale Rechte sich Vorteile verschaffen wollte, zeigt Andrea Antonio Verardi am Beispiel einer Pisaner Familie: »I nobili di Ripafratta e tre diplomi di Ottone III. Diplomi imperiali e strategie di legittimazione nobiliare nel tardo medioevo« (S. 87–112, mit Neuedition von D O. III. 382). Nicolangelo D’Acunto geht in seinem kurzen Überblick den Beziehungen der Markgrafen der Toskana mit den salischen Herrschern nach: »I rapporti tra i marchesi di Toscana e i sovrani salici nel riflesso di diplomi e placiti (1027–1100)« (S. 113–118).
Die Verhandlungen der beteiligten Parteien im Vorfeld der Ausstellung einer Herrscherurkunde am Beispiel Konrads II. hat Wolfgang Huschner analysiert: »Empfänger – Vermittler – Schreiber. Die inhaltliche und grafische Entstehung der Diplome Konrads II. (1024–1039) für Destinatäre in der Toskana« (S. 119–134). Den speziellen Schutzbriefen seines Nachfolgers Heinrich III. für italische Empfänger widmet sich Claudia Hentze in ihrem mit zahlreichen statistischen Tabellen und zwei Karten ausgestatteten Überblicksartikel: »Königsschutz und Immunität. Die Muntbriefe Kaiser Heinrichs III. – eine Bestandsaufnahme« (S. 135–148). Silio P. P. Scalfati behandelt in seinem auf Deutsch verfassten Beitrag die Entwicklung des Formulars der nichtherrscherlichen »Privaturkunden« im Raum Pisa vom Beginn des 8. bis zum Auftauchen des Notariatsinstruments zu Beginn des 13. Jahrhunderts, womit er das Generalthema sowohl in inhaltlicher wie zeitlicher Perspektive weit hinter sich lässt: »Diplomatische Anmerkungen zu den mittelalterlichen Urkunden der Pisaner Archive« (S. 149–163). Den umfangreichsten Aufsatz steuert F. Bougard bei, der nach einer Einführung in Gattung und Geschichte der Gerichtsurkunden und ihrer Erforschung (S. 165–178) eine nützliche Liste der Placita für toskanische Empfänger in Regestenform vorlegt, wobei man unter den aufgeführten Regestenwerken neben Hübner die aktuelleren Regesta Imperii I, 3, 1–31 vermisst (S. 179–210). Im letzten Beitrag stellen Antonella Ghignoli und Umberto Parrini den Internetauftritt des Projekts vor, der von Informatikern der Scuola Normale Superiore in Pisa betreut wird: »Il sistema informatico del progetto ›Italia Regia‹. Risultati per la Toscana« (S. 211–220).
Im Editionsteil werden vier im Original erhaltene Herrscherurkunden, die in den älteren Editionen nur auf abschriftlicher Basis gedruckt wurden, neu ediert, und zwar D Kar. 52 (Sebastian Roebert, »Diplom Karlmanns für das Kloster S. Peter und Andreas Novalesa«, S. 225–229), D Wi. 1 (ders. und Karina Viehmann †, »Diplom Widos für Bischof Zenobius von Fiesole«, S. 231–234), D O. II. 277 (Antonella Ghignoli, »Il diploma di Ottone II per Pietro, vescovo di Fiesole«, S. 235–241), D Ko. II. 78 (dies., »Il diploma di Corrado II per Iacopo, vescovo di Fiesole«, S. 243–249).
Es folgen eine Bibliografie zum Editionsteil, ein Siglenverzeichnis, ein Urkundenregister und eine detaillierte Übersicht über die zahlreichen Abbildungen und Karten. Vier Farbtafeln der zuvor edierten Urkunden als Beilage im hinteren Einband, auf die W. Huschner in seiner Einleitung hinweist (ihre Aufnahme in das Inhaltsverzeichnis oder ein Hinweis in der Neuedition der vier Urkunden wäre hilfreich gewesen), beschließen den ertragreichen ersten Band der Reihe »Italia Regia«, der weitere folgen sollen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Herbert Zielinski, Rezension von/compte rendu de: Antonella Ghignoli, Wolfgang Huschner, Marie Ulrike Jaros (Hg.), Europäische Herrscher und die Toskana im Spiegel der urkundlichen Überlieferung (800–1100)/I sovrani europei e la Toscana nel riflesso della tradizione documentaria (800–1100), Leipzig (Eudora-Verlag) 2016, 270 S., 4 Beilagen, 81 Abb., 17 Tab., 8 Kt., 6 Diagr. (Italia Regia – Fonti e ricerche per la storia medievale, 1), ISBN 978-3-938533-33-8, EUR 89,00., in: Francia-Recensio 2018/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45550