Geschichte zu periodisieren ist eine der Grundvoraussetzungen für ihre Analyse und Darstellung. Eine der möglichen Vorgehensweisen ist die Orientierung an den jeweils herrschenden Dynastien, wie etwa in der Tradition der deutschen Geschichtswissenschaft die Einteilung, in Karolinger und Ottonen für das ausgehende Frühmittelalter. Problemen dieser Periodisierung widmet sich Simon Groth in seiner geringfügig überarbeiteten Würzburger Dissertationsschrift und stellt die Frage, ob an Stelle dieser, einen Bruch suggerierenden Einteilung nicht vielmehr die Konstruktion einer Kontinuität des Frankenreichs adäquater wäre, um die Periode von ca. 850 bis ca. 950 zu beschreiben; ob und ab wann man also von einem »Ostfränkischen Reich« als eigenständiger politische Entität sprechen könne. Der Fokus seiner Untersuchung liegt auf Herrschern und Herrschaftsstrukturen: Was oder wer entschied, wer Herrscher wurde? Gab es feste Abläufe, wie eine Herrschererhebung abzulaufen hatte? Wie erfassten die Herrscher den von ihnen beherrschten Raum? Und in welche Strukturen war dieser Raum gegliedert?

Thronfolgerecht, Herrschererhebung, Raumerfassung und Raumstruktur bilden damit ein Analyseraster, das im ersten Teil der Studie allein auf die seit dem 19. Jahrhundert von der Forschung erzielten Erkenntnisse angewendet wird. In dieser wissenschaftsgeschichtlichen Analyse wird so das Pendeln der Forschung zwischen den Extremen des Geblüts- und des Wahlrechts deutlich, die schließlich nicht mehr als Gegensätze, sondern als Zusammenspiel begriffen werden, bei dem nach aktueller Tendenz letztlich die Machtfrage entscheidend war. Feste Regeln existierten demnach weder hier noch bei den Abläufen der eigentlichen Herrschererhebung, für die erst im Hoch- und Spätmittelalter feste Formen ausgebildet worden seien. Eine signifikante Veränderung im Rahmen des Dynastiewechsels lasse sich damit nicht erkennen.

Dies gilt auch für die Herrschaftspraxis. Reisekönigtum, Versammlungen und Pfalzen wurden von allen Herrschern gleichermaßen genutzt, um den von ihnen beherrschten Raum zu erfassen und ihre Macht zu projizieren. Änderungen wie unter Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen blieben vorübergehender Natur und ein spezifisch karolingisches, ottonisches oder ostfränkisches Profil sei nicht festzustellen. Zu einem grundlegenden Wandel zumindest in der Struktur des beherrschten Raums komme es vielmehr erst unter Otto I. durch den Erwerb Italiens, gefolgt von einer Verlegung des Herrschaftsschwerpunkts südlich der Alpen, dem Wandel der Herzogtümer zu einem institutionalisierten Bestandteil der Herrschaftsstruktur sowie dem Erwerb des Kaisertums, was zu einer Verstetigung des Herrschaftsraums und zu einer Verfestigung der Raumstruktur geführt hätte.

Nach einem Zwischenfazit wird dasselbe Analyseraster auf die zeitgenössische Historiografie angewendet. Thronfolgerecht spielt in dieser kaum eine Rolle. Hingegen rückte mit dem späten 9. Jahrhundert zunehmend die Frage der Legitimität eines Herrschers, gebraucht als politisches Argument für oder wider diesen, in den Vordergrund. Damit einhergehend habe sich auch die Wahrnehmung die Herrschaftsfolge selbst verengt. Die karolingische Selbstverständlichkeit, nach der (nahezu) jeder Angehörige der Dynastie König wurde, sei durch die ottonische Individualsukzession abgelöst worden, in der die übrigen Familienmitglieder keinen Anspruch auf den Thron gehabt hätten. Hinsichtlich des Ablaufs der Herrschererhebungen lassen die narrativen Quellen keinen Rückschluss auf einen grundlegenden Wandel zu. Beschreibungen ritueller Akte fehlen fast vollständig. Herrschersymbole finden zwar wiederholt Erwähnung, müssen jedoch nicht gleichbedeutend mit Krönungsinsignien sein. Auch ein allgemeines, transpersonales Erhebungszeremoniell lässt sich in der Historiografie nicht erkennen.

In der Wahrnehmung des Raums durch die verschiedenen Autoren lässt sich wiederum ein Bruch feststellen. Mit dem Fortsetzer der Chronik Reginos, Adalhard, verschwindet, sicher auch einem Wechsel der Erzählperspektive geschuldet, der zuvor die Darstellung prägende fränkische Bezugsrahmen und wird nunmehr durch die Orientierung an einzelnen Herrschern ersetzt und damit verengt. Diese Entwicklung gehe mit einem Bedeutungswandel des regnum-Begriffs einher. Zwar verraten die von den Historiografen verwendeten Herrschertitulaturen keine spezielle Segregation des ostfränkischen Raums; doch verändere sich der Bezug des regnum-Begriffs von einem personalen, innerhalb der fränkischen Welt existierenden Herrschaftsraum hin zu einem transpersonalen, unabhängig von einzelnen Herrschern existierenden, der sich an sich verstetigenden Reichen orientierte. Auf diese Verstetigung ließen auch die nunmehr fehlenden Beschreibungen der Grenzen der jeweiligen Herrschaftsräume schließen. Durch ihre Entwicklung hin zu zusehends festen politischen Einheiten scheine eine nähere Beschreibung nicht mehr notwendig gewesen zu sein.

Abgeschlossen wird die Studie durch einen Essay zur Frage nach dem Beginn des Ostfränkischen Reichs. Die Ursprünge der Entwicklung dieses Reichs sind demzufolge zwischen den Herrschaften Ludwigs des Deutschen und Ottos des Großen zu verorten. Erst letztere markiere jedoch den entscheidenden Fortschritt hin zu Konstanz und Dauer. Durch Dukatstruktur und Individualsukzession sei in dieser Zeit erstmals eine Stabilisierung des Herrschaftsraums nach außen und innen gelungen, während sich zugleich die Grundlagen der herrscherlichen Legitimität wandelten und die Entwicklung einer eigenen Tradition eingesetzt habe.

Groths Studie ist, auch wenn man seinen Darlegungen gelegentlich widersprechen mag, ein starkes Plädoyer für die Wahrnehmung des von der Mitte des 9. bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts reichenden Zeitraums als einer eigenständigen Periode, die sich nicht am dynastischen Wechsel, sondern am Wandel der Herrschaftspraktiken orientiert. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Groth fordert jedoch eine Sensibilisierung im Umgang mit den von der Forschung verwendeten Begrifflichkeiten, die nicht nur die Darstellung dieses Zeitraums prägen, sondern auch die diesen Darstellungen zugrunde liegenden Analysen beeinflussen. Was genau bedeutet »karolingisch«, was »ottonisch«? Verstecken sich hinter diesen wie auch hinter anderen gerne verwendeten Termini nicht moderne Vorstellungen, die zu Verzerrungen der Untersuchungsergebnisse führen können? Insbesondere der erste Teil der Studie liefert hier wertvolle Überlegungen.

Anzumerken ist der enge Rahmen der Studie. Die Beschränkung auf die ostfränkische Geschichte geht, trotz des gewaltigen Literaturverzeichnisses mit wohl 2300 Titeln, einher mit einer weitgehenden Beschränkung auf die Ergebnisse der deutschen Geschichtswissenschaft. Fremdsprachige Untersuchungen sind auf die jüngste Forschung begrenzt und ihre Auswahl und Auswertung an der deutschen Perspektive der Fragestellung orientiert. Somit fehlen Vergleiche mit den Lösungsansätzen anderer Forschungstraditionen wie etwa der französischen, in der gerne das Jahr 888 als Zäsur angesetzt wird, obwohl die karolingische Dynastie sich dort noch fast 100 Jahre länger auf dem Thron halten konnte. Unabhängig davon ist auch in anderer Hinsicht die Orientierung am Rahmen der deutschen historiografischen Tradition spürbar, die sich für die Zeit nach der Absetzung Karls des Dicken auf Arnulf und dessen Nachfolger konzentriert. Der größere Bezugsrahmen der fränkischen Welt wirkte jedoch, wie Groth auch feststellt, noch eine Weile weiter fort. Angesichts dessen wäre es wünschenswert gewesen, den Blick auch auf die Quellen noch nicht an dieser Stelle zu verengen, sondern insbesondere die Schriften Flodoards von Reims stärker zu berücksichtigen. Bedingt durch das enge Untersuchungsraster findet auch die Frage nach der Entwicklung von Identität zu wenig Raum. Diese Anmerkungen sollen jedoch nicht das positive Bild trüben, sondern Anregungen dafür geben, wo weitere Forschungen ansetzen können.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Horst Lößlein, Rezension von/compte rendu de: Simon Groth, in regnum successit. ›Karolinger‹ und ›Ottonen‹ oder das ›Ostfränkische Reich‹?, Frankfurt a. M. (Vittorio Klostermann) 2017, XIV–696 S. (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main, 304. Rechtsräume, 1), ISBN 978-3-465-04309-6, EUR 119,00., in: Francia-Recensio 2018/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45554