Die Forschung zur Kreuzzugsbewegung in Frankreich, England und Wales befasste sich in den vergangenen 30 Jahren teilweise intensiv und systematisch mit Themen wie der Prosopografie der Teilnehmer, ihrer Motivation und den Strategien zu Werbung und Finanzierung. Im Gegensatz dazu wurde die Kreuzzugsbewegung für das römisch-deutsche Reich, gerade im Hinblick auf Trägergruppen jenseits der Könige und Kaiser, noch nicht eingehend untersucht. Diese Lücke verkleinert nun ein Sammelband, welcher 15 Aufsätze vereinigt, die auf die Tagung »Die Kreuzzugsbewegung im römisch-deutschen Reich (11.‒13. Jahrhundert)« (Gießen, 21.–23. Juni 2012) zurückgehen. Das erkenntnisleitende Interesse liegt auf den unterschiedlichen Dimensionen der Kreuzzugsbewegung im Reich, wobei »das Gesamtgeschehen für die unterschiedlichen Landschaften und Räume« (S. 8f.) betrachtet werden soll. So werden die Kreuzfahrer und ihr Herkunftsraum, die sozialen und politischen Bedingungen ihrer Teilnahme sowie die Auswirkungen ihrer Rückkehr untersucht. Auch die Entwicklung und Bedingungen der in Palästina entstandenen Orden werden in den Blick genommen – genauso wie das Vorgehen bei der Kreuzzugswerbung und die visuelle Vergegenwärtigung des Heiligen Landes im Reich, Letzteres »als Rückwirkung des Kreuzzugsgeschehens« (S. 2). Neben dieser der Forschungslage geschuldeten Begrenzung beschränkt sich der Band überwiegend auf die Kreuzzüge in den Nahen Osten – was jedoch dezidiert nicht als Abkehr vom Diskussionsstand um den Kreuzzugsbegriff verstanden werden soll (S. 9).
Alexander Berner orientiert sich in seinem Aufsatz (»Kreuzfahrer aus dem Nordwesten des Reiches 1096–1230«) am Verzeichnis Reinhold Röhrichts1 und macht für den Nordwesten des Reiches – gemeint ist die Kölner Kirchenprovinz ohne das Bistum Minden – bis 1230 mit dem regionalen politischen Klima, der persönlichen Frömmigkeit sowie familiären Traditionen drei Faktoren aus, welche die Kreuzzugsteilnahme im Nordwesten des Reiches beeinflusst haben. Diese Faktoren verwendet wesentlich differenzierter auch Stefan Tebruck (»Kreuzfahrer und Jerusalempilger aus dem sächsisch-thüringischen Raum [1100–1300]«). Er relativiert zuerst die verbreitete Einschätzung, dass es im mitteldeutschen Raum im 12. Jahrhundert eine Zurückhaltung gegenüber den Kreuzzügen in den Nahen Osten gegeben habe, um sodann einen breiten, quellennahen Einblick in die Kreuzzugsbewegung im sächsisch-thüringischen Raum zu geben. Anhand dreier Aspekte wird dabei das Phänomen Kreuzzug fassbar: die genaue Herkunft der Kreuzfahrer und die zeitliche Verteilung ihrer Beteiligung, als deren Höhepunkte die Unternehmungen Heinrichs VI. und Friedrichs II. ausgemacht werden, außerdem die urkundlich nachvollziehbaren Vorbereitungen, etwa Methoden zur Finanzierung, ferner die Auswirkungen der Heimkehr auf einzelne Personen und Regionen. In einer dritten Studie zu den Teilnehmern eines Kreuzzuges zeigt Alan V. Murray (»Das erste Jahrhundert der Kreuzzugsbewegung im Südwesten des Reiches: Kreuzfahrer aus Franken, Schwaben und dem Elsass im Zeitraum von 1097–1204«) chronologisch einen Anstieg der Kreuzzugsbereitschaft im Südwesten des Reiches und verweist auf die Situation des und die Stellung zum König als bestimmenden Faktor für die Teilnahme am Kreuzzug. Hubert Houben (»Auf dem Weg ins Heilige Land: Deutsche Pilger, Kreuzfahrer und Ordensritter in Italien«) stellt zuerst den Aufenthalt einiger – teilweise unbeachteter – Gruppen »deutscher« Kreuzfahrer in Bari mit einem Fokus auf deren Kontakte zur Nikolausbasilika vor, um dann auf die Entwicklung des Deutschen Ordens in Süditalien ab ca. 1190 einzugehen.
Vier Aufsätze befassen sich mit den in Palästina entstandenen Orden. Jochen Burgtorf (»Die ersten Templerniederlassungen im Reich«) geht den ersten urkundlich gesicherten Niederlassungen des Ordens nach, differenziert nach Besitzungen (Bouzonville 1147), Niederlassungen (Metz 1203) und Verwaltungszentren (Mainz 1218), und plädiert für ein weniger schematisches und eher flexibles und situationsbedingtes Verständnis von Zuständigkeiten/Ordensprovinzen. Burgtorf zeigt darüber hinaus auf, dass ausgewählte »Templermythen« Quellenwert besitzen. Auch Karl Borchardt (»Zwischen Almosensammeln und Besitzerwerb: Die frühen Johanniter in Mitteleuropa [12–13. Jahrhundert]«) unterstreicht in seinem anregenden Aufsatz die Relevanz der oben erwähnten Differenzierung zur Beurteilung der Tätigkeiten der Johanniter in Mitteleuropa. Dabei kann er drei Phasen ausmachen: Während im 12. Jahrhundert vor allem Almosen gesammelt wurden, führte die veränderte Situation im Heiligen Land zu einem Bedarf an kontinuierlicher Unterstützung und damit zur Annahme von Gütern und Herrschaftsrechten, die eine Verwaltung notwendig machten. Ab der Mitte des 13. Jahrhunderts wurden schließlich mitunter durch Kauf »Kleinherrschaften« (S. 151) errichtet. Marie-Luise Favreau-Lilie (»Träger und Förderer des Deutschen Ordens im Deutschen Reich [13. Jahrhundert]«) analysiert die Bedeutung, die sowohl die päpstliche Privilegierung (besonders Honorius III.) als auch die Unterstützung der deutschen Könige/Kaiser (besonders Friedrichs II.) für die Entwicklung des Deutschen Ordens im römisch-deutschen Reich besaßen, macht jedoch gleichzeitig darauf aufmerksam, dass die deutschen Balleien nicht viel zur Lösung der »strukturellen Finanzprobleme« (S. 173) des Ordens beitragen konnten. Mit Austausch und Verflechtungsprozessen zwischen »Palästina und dem Reich« (S. 178) befasst sich Nikolas Jaspert (»Der Orden vom Heiligen Grab im nordalpinen Reich: Kanonikale Verflechtungen«) anhand des Ordens vom Heiligen Grab, der für sich eine singuläre Beziehung zu den vier großen Anziehungspunkten Heiliges Grab, Wahres Kreuz, Jerusalem, Heiliges Land habe beanspruchen können und dies auch zur Eigenwerbung durch Vergegenwärtigung verwendete. Weitere Verflechtungen bestanden durch die Förderer, die bis in das 13. Jahrhundert neben dem Papsttum und den Staufern vor allem Heiligland-Pilger bzw. Kreuzfahrer waren, und durch die Kanoniker, die aus dem Reich stammten bzw. ins Reich entsandt wurden.
Claudia Zey (»Die päpstlichen Legaten als Kreuzzugswerber im Reich«) geht der Frage nach, welche Qualifikationen ein kreuzzugswerbender Legat (im Reich) mitzubringen hatte, um als solcher entsandt zu werden. Dabei macht sie auf eine strukturelle Veränderung aufmerksam, die auch Auswirkungen auf die Qualifikationen hatten. Die Kreuzzugswerbung vor dem Pontifikat Innozenz' III. sei vor allem eine »Sonderaufgabe von speziellen päpstlichen Abgesandten« (S. 225), den Kardinallegaten, gewesen, die als Diplomaten mit theologischer Ausbildung – teilweise mit Erfahrung in der Bekämpfung von Häretikern – gute Beziehungen zum Herrscher hatten. Demgegenüber wurde die Kreuzzugswerbung im 13. Jahrhundert zu einer zentralen Aufgabe lokaler Würdenträger der Kirchen- und Klosterhierarchie, die nach ihrer lokalen Verankerung ausgewählt wurden. Diese Werbung richtete sich immer mehr an breitere Volksschichten und war nicht mehr so stark an die Herrscher gebunden, obwohl Herrschernähe auch von Vorteil sein konnte. Neben der Qualifikation unterschieden sich die beiden Typen von Kreuzzugswerbenden auch hinsichtlich ihres Auftrags. Im Unterschied zum 13. Jahrhundert, in dem eine enge regionale und inhaltliche Begrenzung des Auftrags vorlag, war dieser im 12. Jahrhundert für die Kardinallegaten wesentlich breiter. Während in den anderen Aufsätzen terminologisch von »Kreuzzugswerbung« die Rede ist, stellt Christoph T. Maier (»Propaganda und Diversifikation der Kreuzzüge im 13. Jahrhundert«) das »Entwicklungspotential der Kreuzzugspropagandaforschung« (S. 235) dar – allerdings erst ab dem 13. Jahrhundert. Dazu zeigt er an zwei Bespielen, nämlich einer weitergeleiteten Instruktion zur Kreuzzugspredigt und der Abschrift einer Bulle mit mittelhochdeutscher Übersetzung auf der Rückseite, wie sich die aus den Papstregistern ersichtlichen Aufträge zur Kreuzzugspredigt in ihrer praktischen Umsetzung fassen lassen, und betont darüber hinaus das Potenzial einer regionalgeschichtlichen Auseinandersetzung mit der unterschiedlichen Gewichtung der Kreuzzüge ins Baltikum bzw. ins Heilige Land innerhalb des Reiches.
Mit unterschiedlichen Rückwirkungen der Kreuzzüge beschäftigen sich fünf Aufsätze. Bernd Bastert (»enhalp dem mer – Kreuzüge ins Heilige Land. Das ›Buch von Akkon‹ im Kontext der deutschen Kreuzzugsliteratur des 12. bis 14. Jahrhunderts«) erläutert den Befund, dass die Kreuzzüge ins Heilige Land in der deutschsprachigen Literatur – zumal in der »Geschichtsdichtung« – im Gegensatz etwa zur französischen Literatur keinen großen Wiederhall erfuhren, um dann auf die Signifikanz des z. B. mit komplexeren Narrativen durchzogenen »Buchs von Akkon« für die literaturwissenschaftliche und historische Forschung hinzuweisen. Gia Toussaint (»Von Jerusalem nach Cleveland. Ein Tafelreliquiar von 1214 und seine Reliquien aus der Limburger Staurothek«) versteht das Tafelreliquiar als eine Vergegenwärtigung und Translozierung Jerusalems nach Mitteleuropa, und zwar einerseits durch den Einbau eines in Jerusalem gefertigten Kreuzreliquiars, andererseits durch die Verwendung byzantinischer Christus- und Marienreliquien. Beides rekurriere »auf die aus westlicher Sicht erfolgreichen Kreuzzüge« (S. 283). Die Rückwirkungen der Pilger und Kreuzfahrer auf die Kunst bis ins 13. Jahrhundert stellt Andrea Worm (»Visuelle Vergegenwärtigungen Jerusalems und der heiligen Stätten im Reichsgebiet. Überlegungen zu Kontexten und Übermittlungswegen«) in drei Fallstudien vor. So wurde die Heiliglandkarte im Zwiefaltener Passionale vermutlich aufgrund von Augenzeugen der Jerusalemer Topografie modifiziert. Die Darstellung des Grabes Christi (ikonografisch durch drei Löcher) findet sich im lateinischen Europa (im Gegensatz zum Heiligen Land) recht selten und meist an Orten mit persönlichen oder institutionellen Verbindungen zum Heiligen Land. Sie erfahre dabei meist eine Umformung zur Integration in die westliche Bilderwelt (Sarkophag statt Felsbank). Gemein sei ihr mit der Darstellung des Himmelfahrtsteins auf dem Ölberg die »ahistorische Überblendung von biblischem Geschehen und zeitgenössischer Gestalt der loca sancta« (S. 316). Bianca Kühnel (»Monumental Representations of the Holy Land in the Holy Roman Empire«) argumentiert, dass Karl IV. mit Prag vor allem eine Imitation Jerusalems geschaffen habe. Sie stützt sich dabei auf eine durch zahlreiche (Passions-)Reliquien und bauliche Nähen hergestellte Verbindung zwischen Jerusalem und der Allerheiligenkapelle, der Wenzelskapelle im Veitsdom und der Heiligkreuz-Kapelle auf Karlstein, die teils direkt, teils durch Vermittlung über die Sainte-Chapelle bestünden. Jürgen Bärsch (»Jerusalem im Spiegel der abendländischen Liturgie des Mittelalters. Anamnetisches Zitat – szenische Darstellung – visuell-haptische Inkorporation«) beleuchtet die Rolle Jerusalems, und zwar sowohl des historischen als auch des eschatologischen Ortes, und deren Veränderungen innerhalb der Liturgie (3./4. bis 16. Jahrhundert). Jerusalem sei als »Gedächtnisfigur« im Kirchenraum und in der szenischen Liturgie immer mehr auch ortsunabhängig als Heilsort erlebbar gewesen. Dabei werden die (mit den Kreuzzügen zusammenhängenden) Entwicklungen im 11.‒13. Jahrhundert nicht immer deutlich, da überwiegend von der »mittelalterlichen Liturgie« o. ä. die Rede ist.
Der Band schließt mit einem von Matthias Bley erstellten Orts-und Namensindex.
Nach der Lektüre bleibt jedoch die Überlegung, ob die Beschränkung auf das römisch-deutsche Reich tatsächlich für alle genannten Schwerpunkte sinnvoll ist, oder ob nicht etwa Aspekte wie die (Ritter)-Orden oder die Kreuzzugswerbung/-predigt (zumindest bis Anfang des 13. Jahrhunderts) sich für eine solche Begrenzung gar nicht bevorzugt eignen, da sie häufig überregionale und vor allem auch über die Grenzen des römisch-deutschen Reiches hinausgehende Phänomene waren. Gleichwohl ist der vorliegende Band eine Bereicherung der Forschung zur Kreuzzugsbewegung.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Nora Küppers, Rezension von/compte rendu de: Nikolas Jaspert, Stefan Tebruck (Hg.), Die Kreuzzugsbewegung im römisch-deutschen Reich (11.–13. Jahrhundert), Ostfildern (Jan Thorbecke Verlag) 2016, VIII–375 S., zahlr. farb. u. s/w Abb., ISBN 978-3-7995-0383-9, EUR 39,00. , in: Francia-Recensio 2018/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45558