Eine bildschöne kleine illuminierte Handschrift wird hier in einer reich ausgestatteten Ausgabe vorgelegt: eine in Los Angeles (J. Paul Getty Museum, ms. 68) verwahrte, knapp über postkartengroße, 46 Folia umfassende Abschrift zweier Texte des Humanisten und nachmaligen Papstes Pius II. mit elf ikonografisch wie stilistisch herausragenden Miniaturen. Der Codex, »ein wichtiges Zeugnis für die Literatur- und Kulturgeschichte der Zeit […] zwischen Italien und Frankreich […], ein historisch besonders gut zu verortendes Beispiel für die Rezeption italienischer humanistischer Literatur in Frankreich« (S. 148), ist fast zu schön ist, um wahr – und bislang noch so gut wie unerforscht – zu sein, und erfährt in dieser Berliner Dissertation eine sorgfältige Analyse mit schlüssiger Einordnung in Textüberlieferung und Stilgeschichte.

Inhalt ist Enea Silvio Piccolominis »De curialium miseriis«, eine drastische Schilderung der Leiden des Hoflebens, sowie die »Historia de duobus amantibus«, ein Briefroman mit der Liebesgeschichte zwischen einem deutschen Höfling und einer verheirateten italienischen Frau. Die Texte entstanden 1444 und waren unter anderem wegen ihres als vorbildhaft angesehenen Lateins weit verbreitet; die Getty-Handschrift ist die einzige umfassend illuminierte Abschrift beider Texte, deren erster fünf und der zweite sechs von zwölf vorgesehenen Miniaturen erhalten hat.

In der Untersuchung wird zunächst Charles de France aus Bourges, jüngerer Sohn König Karls VII., als Auftraggeber ermittelt und die unmittelbare Textvorlage in einer ebenfalls aus dessen Sammlung stammenden Abschrift identifiziert (Paris, BnF lat. 6716). Dann werden zuerst die Texte und dann die Bilder vorgestellt und untersucht: Es handelt sich um einen Zyklus, der ad hoc geschaffen wurde, um einen bereits in der Sammlung vorhandenen, dem Auftraggeber offenbar wichtigen Text zu illustrieren und zu gliedern. Die Person des nun Piccolomini-Meister genannten Malers steht im Folgenden im Mittelpunkt, wobei die anderen höfischen Illustrationszyklen zum Vergleich herangezogen werden, vor allem René d’Anjous »Cuer d’Amours espris« von 1475, dessen Haupthandschrift (Wien, ÖNB fr. 24399) ähnlich illustriert ist, ebenfalls unvollendet blieb und von Barthélemy d’Eyck ausgemalt wurde, dessen Werk dem Piccolomini-Meister offenbar bekannt war. In der Haager Abschrift der »Epistre Othéa« Christines de Pizan (Den Haag, KB 74 G 27) und ihrem deutlich umfangreicheren, aber qualitativ unterschiedlichen Bildprogramm identifiziert der Verfasser in einzelnen Miniaturen die Hand des Piccolomini-Meisters, ebenso in drei Miniaturen eines Stundenbuchs mit Gebrauch und Kalendar für Rouen (Privatbesitz). Die Lokalisierung nach Bourges, um 1460–1470, d. h. in die bislang wenig bekannte Zeitspanne zwischen den Brüdern Limburg und Jean Colombe, stützt sich auf die Identifikation von Charles de France als Auftraggeber. Dieser, seine Büchersammlung und seine humanistische Bildung stehen im nächsten Teil im Mittelpunkt, bevor Funktion und Rezeption der beiden Texte beleuchtet werden: der erste im Rahmen der Tradition hof- und gesellschaftskritischer Traktate als umgekehrter Fürstenspiegel, der antikische Liebesroman mit ausgeprägt moralisierender Botschaft, beide in erster Linie geschliffene humanistische Sprachkunstwerke.

Am Schluss der Arbeit stehen ein Katalog von 28 Handschriften aus der Sammlung des Charles de France und 14 Abschriften eines oder beider Piccolominitexte sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis. Die Miniaturseiten der Handschrift sind durchweg in Farbtafeln abgebildet, weitere 16 Farbtafeln zeigen dem Piccolomini-Meister zugeschriebene und andere Miniaturen, 124 kleinere Schwarzweißbilder sind Vergleichshandschriften gewidmet und bilden etwa ein Viertel der im Katalog beschriebenen Codices ab.

Eigentlich bleiben keine Wünsche offen, allenfalls einer im Zusammenhang mit den Abbildungen: die Miniaturen der Handschrift wurden durchweg ohne entsprechenden Hinweis um rund ein Drittel vergrößert, der Bildausschnitt auf dem Schutzumschlag sogar um gut das Dreifache. Ein deutlicheres Eingehen auf das virtuos beherrschte Kleinstformat und ein Hinweis darauf, dass es auch innerhalb der anderen Bücher von Charles de France und den überwiegend eher kleinformatigen Piccolomini-Abschriften eine Extremposition einnimmt, wäre vorstellbar gewesen. Die Arbeitsweise des Malers entspricht damit der anderen Bedeutung des Wortes »miniaturhaft«, und die besondere Preziosität der Ausführung, die problemlos eine vielfache Vergrößerung verträgt, zeugt nicht nur von der raffinierten Bibliophilie des humanistisch gebildeten Auftraggebers, sondern stützt auch die Ausführungen des Verfassers über die stark persönliche Prägung gerade dieses Büchleins.

Zum Schluss ein Ruf aus der Wüste. Dieses Buch hat sichtlich kein erfahrenes Lektorat gesehen, was schon die angelsächsische, bindestrichfreie und zudem missverständlich umbrochene Titelansetzung verrät (»Die bebilderte Enea Silvio Piccolomini / Handschrift des Charles de France«). Nun handelt es sich zwar um einen belgischen Verlag und eine englischsprachige Reihe, aber es ist nicht neu, dass selbst renommierteste Wissenschaftsverlage hier sparen. Gerade Dissertationen werden oft so gedruckt, wie sie die Autorinnen und Autoren liefern – d. h. ohne ein weiteres Augenpaar, wenn sie es sich nicht auf eigene Kosten geleistet haben. Diesem Teufelskreis aus Gleichgültigkeit und abnehmender Lesersensibilität muss gerade von geisteswissenschaftlicher Seite entschieden Einhalt geboten werden. Autor- wie Leserschaft erweist diese Praktik einen Bärendienst, denn noch gibt es Menschen, bei denen uneinheitlich transkribierte Namen (»Eurialus«/»Euryalus«), Verschreiber (»un manuscrits«) und Rechtschreibfehler (»etwas längt ab«) dazu führen, dass sie einen Text nicht mehr ernst nehmen oder auch nur lesen mögen, auch wenn er inhaltlich tadelfrei ist und noch so schöne Bilder hat.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Christine Jakobi-Mirwald, Rezension von/compte rendu de: Robert Schindler, Die bebilderte Enea Silvio Piccolomini Handschrift des Charles de France. Ein Beitrag zur Buchmalerei in Bourges und zum Humanismus in Frankreich, Turnhout (Brepols) 2016, 280 S., 138 s/w, 29 farb. Abb. (Ars Nova. Studies in Late Medieval and Renaissance Northern Painting and Illumination, 17), ISBN 978-2-503-54612-4, EUR 125,00., in: Francia-Recensio 2018/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45567