Der von Jesús Ángel Solórzano Telechea, Beatriz Arízaga Bolumburu und Michel Bochaca herausgegebene Band setzt die Veröffentlichungsreihe der jährlich in Nájera veranstalteten internationalen mediävistisch-stadthistorischen Tagungen fort. Sein Thema der Hafengesellschaften im europäischen Atlantikraum knüpft an zwei der früheren Publikationen an, die sich ebenfalls mit Seestädten beschäftigten: »Ciudades y villas portuarias del Atlántico en la Edad Media« (2005) und »Gentes de mar en la ciudad atlántica medieval« (2012). Das Buch steht im Zusammenhang mit einem mehrjährigen Forschungsprojekt. Auf Grußworte einer Vertreterin der Region La Rioja und des Bürgermeisters der Stadt Nájera folgen eine Einführung von J. Á. Solórzano Telechea und vierzehn, zwei Sektionen zugeordnete Artikel. Die erste Sektion beschäftigt sich mit der maritimen Gesellschaft bzw. Gemeinschaft im engeren Sinn (la comunidad marítima): mit Seeleuten, Fischern und Kaufleuten. Der zweite Teil (la comunidad portuaria) wendet sich Hafengesellschaften/-gemeinschaften in einem weiteren Sinn zu, insbesondere »Unternehmern«, Händlern und Fremden.

Der geografische Rahmen ist sehr weit gespannt: West- und Südwestfrankreich (Verbreitungsgebiet der »Rôles d’Oléron«, Bordeaux, Libourne, Bayonne); Aberdeen; Danzig; La Coruña; die Algarve und andere Teile Portugals wie Lissabon; Kastilien; das Baskenland; Andalusien; Flandern mit Brügge; Beziehungen zwischen verschiedenen Gebieten (wie von Kastilien und Irland oder dem Baskenland und flämischen Hafenstädten). In seiner Einleitung stellt J. Á. Solórzano Telechea zunächst einige wichtige grundsätzliche Überlegungen an. Reine Hafengesellschaften kämen nur selten vor, deshalb sei es sinnvoll, auf die titelgebenden Begriffe der beiden Sektionen, comunidad marítima und comunidad portuaria, zurückzugreifen. Das erste der beiden Stichworte erlaubt es, die verschiedenen Kategorien eng mit dem Meer verbundener Berufs- und Personengruppen zu erfassen: alle Typen von Seeleuten vom Kapitän bis zu Lotsen, Matrosen und Schiffsjungen; Reeder, Schiffseigner, Kaufleute, Fischer, Transporteure, aber auch Piraten. Im Unterschied dazu erfasst der Bereich der comunidad portuaria Gewerbe und Tätigkeiten, die teilweise nur über die Häfen mit dem Meer verbunden sind, wie Schiffbau/Werften und die dort arbeitenden Handwerker; Hafenverwaltung; Bauarbeiter, die an der Erhaltung der Hafeninfrastruktur beteiligt sind; Zulieferer; Zuwanderer, fremde Fachkräfte usw.

Michel Bochaca und Pierre Prétou wenden sich mit den »Rôles d’Oléron«, einer der bekanntesten und außerordentlich weit verbreiteten mittelalterlichen Seerechtssammlungen, einem sehr wichtigen Themenfeld zu. Sie stützten sich dabei auf Analysen von in Bordeaux, Bayonne und Libourne überlieferten Handschriften und Kopien (14.–15. Jh.) und betonen den starken Praxisbezug der Regelungen, die zunächst aus der Praxis entstanden und erst später verschriftlicht worden seien. David Ditchburn stellt an den Anfang seiner Ausführungen den Schiffbruch eines spanischen Schiffes in Aberdeen (1466). Er misst spanischen Schiffen eine bedeutende Vermittlerrolle bei. Angesichts des Rückgangs des schottischen Woll- und Lederexports habe sich der vor Ort verfügbare Lachs als gefragtes Exportprodukt und Retter von Aberdeens Wirtschaft und Handel erwiesen. Der sehr interessante Artikel von Roman Czaja und Anna Marynowska setzt sich für Danzig mit Fremden und deren Definition auseinander. Die Verfasser stellen die These auf, in Abhängigkeit von der politischen Konjunktur und lokalen Interessen habe es im Umgang mit ihnen erhebliche Schwankungen gegeben. Sie illustrieren dies am Beispiel von Engländern und der gelungenen Integration und dem Aufstieg von Niederländern (15. Jh.).

Amparo Rubio Martínez untersucht am Beispiel von La Coruña Fragen der stadttopografischen Entwicklung und der Auswirkungen von Lenkungsversuchen und Maßnahmen gegen eine Entvölkerung der Altstadt und die Abwanderung in den neuen Stadtteil der Pescadería. Gonçalo Melo da Silva widmet sich Handwerker-Bruderschaften an der Algarve, die zeitweise eine starke königliche Förderung und Kontrolle erfuhren, da sie im Sinne von portugiesischen Expansionsplänen als nützlich galten. Im Zuge dieser Entwicklung kam es zur Oligarchisierung von Ämtern. Javier Añibarro Rodríguez präsentiert anhand der in der Regel mehrere Monate dauernden Fischzüge der Fischer von San Vicente de la Barquera (1489–1517) eine aufschlussreiche Fallstudie zu kastilisch-irischen Beziehungen. Dabei unterstreicht er besonders die mit der langen Abwesenheit eines erheblichen Teils der erwerbsfähigen männlichen Bevölkerung und den zahlreichen Schiffbrüchen verbundenen Probleme sowie die Bedeutung des Weiterverhandelns von auswärtigen Luxusgütern durch kastilische Schiffe und die durch Irlandkontakte herbeigeführte Übernahme neuer Techniken.

Der Beitrag von Ana María Rivera Medina zu baskisch-flämischen Beziehungen (15.–16. Jh.) bildet insbesondere durch Hinweise zu Kreditvergabe und der Rolle von Familienstrukturen einen sehr passenden Auftakt zum comunidades portuarias gewidmeten Buchabschnitt. Jan Dumolyn und Ward Leloup sprechen einen sehr vertiefenswerten Themenbereich an, der in der bisherigen Forschung häufig zu wenig beachtet wird: den Niedergang kleiner Hafenstädte, die letztlich der Konkurrenz großer Handelsmetropolen wie Brügge und Antwerpen nicht standhalten konnten. Ana Luísa Sérvulo Miranda beschreibt Hafenaktivitäten in der Spätzeit des islamischen Lissabon als Grenz- und Übergangsraum mittelmeerischer Kulturen (besonders 11.–12. Jh.). Bemerkenswert ist hier der Rückgriff auf Ergebnisse der Stadtarchäologie.

Raúl González Arévalo untersucht am Beispiel von Sevilla, Cádiz und Jerez de la Frontera die Integration von Italienern in andalusischen Hafengesellschaften im 13.–15. Jahrhundert. Sein Beitrag zeigt zugleich, wie nützlich der Begriff der »Hafengesellschaften« sein kann: Jerez de la Frontera war zwar keine Küstenstadt, aber doch ganz entscheidend vom Atlantik- und Weinhandel geprägt und über den Fluss daran beteiligt. Die Verhaltensweisen der Italiener waren in Abhängigkeit von ihrer Herkunftsstadt stark unterschiedlich. Im Gegensatz zu Personen aus Florenz und Venedig waren Genuesen wesentlich stärker an einer dauerhaften Niederlassung und Integration in die örtliche Gesellschaft interessiert. Der unmittelbar anschließende Aufsatz von Juan Manuel Bello León zu »Nichtbürgern« in Sevilla und Umgebung stellt eine sehr willkommene Ergänzung der Thematik dar. Bezüglich Fremder betont der Autor die große Bedeutung von kurzzeitigen Aufenthalten und die Auswirkungen von Militäraktionen (z. B. gegen Nordafrika) und Konflikten (mit Aragón, Portugal) bzw. die Rolle als Durchgangsstation für Amerikareisen. Für den Seetransport spielten auswärtige Schiffe und Seeleute (beispielsweise aus Kantabrien, dem Baskenland etc.) eine wichtige Rolle.

Die sehr interessante Studie von Enrique José Ruiz Pilares betont ebenfalls die besondere Funktion der Genuesen in und für Jerez de la Frontera (z. B. bei Befrachtungen und Exporten mit Seetransport durch genuesische Schiffe). Bezüglich der städtischen Wirtschafts- und Sozialstruktur besonders erwähnenswert sind Beispiele zur Kreditvergabe durch Handwerker. Mário Paulo Martins Viana präsentiert Ergebnisse zu technischen Aspekten des Seehandels und der Anwendung von Maßen und Gewichten im 14. und 15. Jahrhundert. Er vergleicht die Verhältnisse in Portugal mit Frankreich, England und Flandern und geht auf Fragen der Terminologie wie den Gebrauch von Ausdrücken wie tonel und tonelada bzw. auf die Funktion von Masse- und Volumeneinheiten zur Bestimmung der Schiffskapazitäten und Tonnagen ein.

Roberto J. González Zalacaín beschließt den Band mit einem sehr gelungenen Artikel zu Konflikten, Gewalt und Mechanismen der Konfliktlösung im spätmittelalterlichen Andalusien. Er spricht u. a. Rechtsprechungskonflikte zwischen Städten, internationale Handelsbeziehungen (einschließlich königlicher Förderung einheimischer Schiffe), Schiedsrichter, die Einsetzung spezieller Richter für Seerechts-Streitigkeiten und durch Piraterie entstehende Auseinandersetzungen an.

Innerhalb der Gesamtthematik der Publikation bilden die Beiträge zu Andalusien, die sich gegenseitig ergänzen und bereichern, einen Schwerpunkt, der sich für eine zusammenhängende Lektüre empfiehlt. Insgesamt gesehen stellt das Buch somit eine hochinteressante und sehr gelungene Fortsetzung der beiden früheren Seestädten und Hafengesellschaften gewidmeten Bände dar, der auch bestens zur Vertiefung, Aktualisierung und Ergänzung dieser Studien genutzt werden kann.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Gisela Naegle, Rezension von/compte rendu de: Jesús Ángel Solórzano Telechea, Beatriz Arízaga Bolumburu, Michel Bochaca (ed.), Las sociedades portuarias de la Europa Atlántica en la Edad Media, Logroño (Instituto de Estudios Riojanos) 2016, 400 p. (Ciencias Históricas, 35), ISBN 978-84-9960-100-7, EUR 10,00., in: Francia-Recensio 2018/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45569