Von den zahlreichen, meist fragmentarisch erhaltenen römischen Kalendern (1. Jh. v. Chr.–5. Jh. n. Chr.), die überwiegend auf Stein-und Bronzetafeln erhalten sind (vgl. etwa die Marmortafeln der Fasti fratrum Arvalium von 36/21 v. Chr.), sind die ältesten in Buchform (libellus oder codex) vorliegenden Exemplare der des Furius Dionisius Filocalus (kurz nach der Mitte des 4. Jahrhunderts) und der knapp 100 Jahre jüngere des Polemius Silvius.

Der Kalender des Filocalus war ein illustrierter Pergamentcodex von 41 Seiten, dessen Rekonstruktion sich Konrad Weidemann († 2010) zur Aufgabe gestellt hatte. Seine Vorarbeiten wurden von seiner Ehefrau sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz zum Abschluss gebracht, die die 41 Folioseiten als ganzseitige Umzeichnungen, nach den fotografischen Abbildungen von Josef Strzygowski (Die Calenderbilder des Chronographen vom Jahre 354 [Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts, 1], Berlin 1888) und Michele Renee Salzmann (On Roman Time. The Codex-Calendar of 354 and the Rhythms of Urban Life in the Late Antiquity, Berkeley 1990) dem vorliegenden Band auf 41 Tafeln nach Seite 290 angefügt haben. Die entsprechenden Rekonstruktionen und Teilrekonstruktionen waren durch die komplexe Überlieferungslage des Kalenders erforderlich, die zwar auf eine karolingische Kopie, den Luxemburger Codex, zurückgeht, der aber seit Langem nicht mehr erhalten ist und der zudem auch nicht direkt auf das Original zurückgeht. So muss der Luxemburgensis durch eine Vielzahl mehr oder weniger verlässlicher Kopien ersetzt werden; die künstlerische Gestaltung der Blätter geht auf die unterschiedlichen Kopien in der Wiener Handschrift ÖNB 3416 von 1500/1510 und in der Vatikanischen Handschrift Barb. lat. 2154 von 1620/1629 durch Peiresc zurück, nach denen auch die Widmungsseite, die Kaiserseiten, Herrscherbilder oder die Personifikationen der Städte Rom, Alexandria, Konstantinopel und Trier verglichen werden müssen.

Die Überlieferung des Kalenders des Polemius Silvius beruht allein auf der Brüsseler Handschrift Bibl. Royale no 10615–10729 des 12. Jahrhunderts, die einen Brief des Polemius Silvius an Bischof Eucherius von Lyon (ca. 435–449) vom Jahr 449 wiedergibt, zusammen mit der Sendung eines Monatskalendariums (12 Seiten mit Fasten und 7 Planetentafeln) und einer Reihe von Beilagen. Solche Beilagen mit historischen, kulturellen und praktischen Informationen (dazu weiter unten) waren zwischen den einzelnen Monatsseiten eingefügt; Theodor Mommsen hat die entsprechenden, nur zum Teil erhaltenen Texte im ersten Band der »Chronica Minora« (MGH. Auctores Antiquissimi, Bd. 9, Berlin 1892) unter dem Titel »Polemii Silvii laterculus« herausgegeben.

Das eigentliche Interesse des vorliegenden Bandes gilt freilich den Fasten, also Fest- und Feiertagsverzeichnissen der Kalender. Als erstes wichtiges Ergebnis konnte aufgrund der astronomischen Datierungen des Kalendariums des Filocalus erschlossen werden, dass es sich bei diesem ursprünglich um den diokletianischen Staatskalender von 298 gehandelt hat, der danach nur noch um wenige, die konstantinische Dynastie betreffenden Feiertage ergänzt wurde. Filocalus hat demnach einen zwölfseitigen staatlichen Terminkalender komplett übernommen und um einige Blätter bereichert: die Widmungsseite, die er selbst (Furius Dionisius Filocalus titulavit) an einen Valentinus richtet, vier Städtebilder (Rom, Alexandria, Konstantinopel, Trier), die Blätter Salvis Augustis und Natales Caesarum (unvollständige Aufstellung der Kaiserfeste von Augustus bis zu Constantius II.), sowie die Herrscherbilder von Constantius II. und dem Caesar Julian, wonach der Kalender in die Jahre 356/360 zu datieren wäre. Filocalus scheint dabei selbst Hand angelegt zu haben, zumal er sich auch sonst in einigen, noch erhaltenen Inschriften nennt, die ihn als cultor atque amator in Verbindung mit Papst Damasus (366–384) bringen. Wenn man ihn dementsprechend als Christen erkennen möchte, so lässt sich das allerdings an seinem Kalender kaum verifizieren, der die traditionellen heidnischen Feste Roms anführt und die heidnischen Bezüge der Monatsdarstellungen deutlich werden lässt. Zu diesen Terminen/Fasti, die sich bereits im Kalender von 298 vorfanden und von Filocalus aufgenommen wurden, gehören neben den Terminen für die Senatssitzungen mit den entsprechenden Wagenrennen oder Theaterspielen (ludi), den Natales (Jahresgedenktage) der Kaiser und den Triumphen, etwa – um nur wenige Beispiele zu nennen – die Festtermine für Iovis Stator, den Natalis Herculis, Lupercalia, Feralia, Isidis navigium, Iunonalia, für Iovis Cultor, Natalis Dei Quirini, Vestalia, Serapia, Iovis Liberator, Isia, Natalis Solis invicti. Allein dem orientalischen Magna-Mater-Kult waren 13 Festtage gewidmet, 11 dem Isiskult.

Für den Kalender mit Beilagen des Polemius Silvius steht zwar das Jahr 449 als Endredaktion durch den Eintrag der Ostertage und den Brief an Eucherius fest, aber die einzelnen der mit dem Brief versandten Texte werden von Margarete Weidemann anderen Daten zugeordnet: Für die Fasti selbst konnte die Zeit um 389/405–425/26 erschlossen und mit Reformen durch Kaiser Honorius verbunden werden. Für die elf Beilagen, von denen vier nicht überliefert sind und von denen drei weitere Listen zu bestehenden Tierarten, zu Tierstimmen und zu Gewichten und Maßen überliefern, ist die erste mit der Kaiserliste von Caesar bis Valentinian III. durch die Konsuln des Jahres 448 datiert, ebenso wie Beilage 7, eine Kurzform römischer Geschichte nach Hieronymus (bis etwa 330). Älter noch ist die im Jahr 449 völlig überholte, ursprünglich 413–418 redigierte Beilage über die römischen Provinzen oder Beilage 5 zur Topografie von Rom, die gar auf das frühe 4. Jahrhundert zurückgeht. Es handelt sich also weniger um eine aktuelle Sammlung als um teilweise beträchtlich veraltete Archivalien, die dem Eucherius als dem Autor der »Instructiones libri duo« zugedacht waren. Silvius selbst ist in der Vita des Hilarius von Arles (verfasst ca. 480) als praelatus auctor eiusdem temporis genannt (Vita Hilarii, 14, 17) und hat in der Chronica Gallica von 452 einen Eintrag zum Jahr 438 erhalten, wonach er nach Ableistung seines (wohl 15-jährigen) Hofdienstes im Kaiserpalast aliqua de religione verfasst habe. Diese Notizen wie auch die Beziehung zum Bischof von Lyon haben Polemius Silvius meist als Gallier erscheinen lassen, was sich aber an den Fasten kaum verifizieren lässt.

Diese Fasten von 389/405–425/426 lassen nun tatsächlich erhebliche Veränderungen aufscheinen, die von Margarete Weidemann anschaulich herausgearbeitet und kommentiert werden. Am auffälligsten ist zweifellos die generelle Kürzung der Anzahl der Feiertage, die von 219 Einträgen bei Filocalus, also von 356/360, etwa 50 Jahre später auf 76 geschrumpft wurden. Verantwortlich dafür waren wohl Kostengründe wie auch die Furcht vor Problemen mit den bei den Festen versammelten Menschenmassen. Die meisten Kürzungen betrafen politisch motivierte Feiertage zu Ehren der Kaiser und des Reichs, die von 116 auf 43 verringert wurden; dennoch blieben – oder kamen neu hinzu – 22 Feiertage, die dem Kaiserkult gewidmet waren, das heißt doppelt soviel wie die christlichen Feiertage. Die Zahl sozial motivierter Feiertage fiel von 51 auf 21, wobei etwa die staatlich geförderten Gladiatorenkämpfe ganz gestrichen wurden. Am stärksten betroffen von Streichungen sind die religiös motivierten Feiertage, von 52 auf 13. Von den 24 Feiertagen für die beiden Erlösungskulte der Isis und der Magna-Mater (mit dem Attiskult) und den 27 traditionellen Fasti mit religiös-heidnischem Anlass blieben im Kalender des Polemius Silvius gerade einmal vier Feste übrig (Carmentalia, Lupercalia, Quinquatria und Natalis Musarum), was von den elf christlichen Festen nicht ausgeglichen wurde. Zu diesen gehören die von einem Gesetz von 400/405 vorgeschriebenen Feste (Cod. Theod. II,8,24) Epiphanien, Geburtsfest Christi und die beweglichen Ostertage (im Kalender 24.–27. März, was nur zum Jahr 449 passt und folglich nachgetragen worden war), die Natales der Märtyrer Vincentius, der Macchabäer, Laurentius, Hippolyt, Stephanus sowie die Depositio von Peter und Paul; Margarete Weidemann möchte auch die drei Tage mit Ludi/ Circenses für die Gefallenen von Adiabene (Feldzug des Constantius II. 359 oder von Julian 363) dieser Kategorie zurechnen.

Insgesamt präsentiert der Band eine bisher für die Geistesgeschichte der Schlüsselperiode des 4./5. Jahrhunderts nicht ausreichend benutzte Quelle, die von Margarete Weidemann mit sachkundigen Kommentaren versehen wurde. Trotz eines komplexen Überlieferungsbefundes sollten die beiden Kalender des Filocalus und des Polemius Silvius nun für ein breiteres Publikum zugänglich werden.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Martin Heinzelmann, Rezension von/compte rendu de: Konrad Weidemann, Margarete Weidemann, Römische Staatskalender aus der Spätantike. Die von Furius Dionisius Filocalus und Polemius Silvius überlieferten römischen Staatskalender und deren historische Einordnung, Mainz (Verlag des Römisch-Germanischen Zentralmuseums) 2016, XII–289 S., zahlr. s/w Abb. (Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums, 130), ISBN 978-3-88467-257-0, EUR 48,00., in: Francia-Recensio 2018/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45572