Das Werk von Dirk Friedrich bietet eine Gelegenheit, die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs im iberischen Kontext und besonders in Portugal besser kennen zu lernen. Friedrich ist ein junger Historiker, der sich in die Kultur und Geschichte Portugals als Gegenstand seines historiografischen Interesses vertieft hat. Seine Dissertation, die er 2015 an der Julius-Maxilimians-Universität Würzburg verteidigt hat, ist dem autoritären Regime des portugiesischen Estado Novo gewidmet1. Es ist diese Vertrautheit mit der portugiesischen Geschichte, die den Autor zu einem Werk veranlasst, das die Motive, Ereignisse und Folgen der portugiesischen Teilnahme am Ersten Weltkrieg synthetisch und streng analysiert. Ante omnia muss darauf hingewiesen werden, dass dieses Thema sowohl in der deutschen als auch in der portugiesischen Geschichtsschreibung selbst nur geringes historiografisches Interesse gefunden hat2. Angesichts dieses Mangels an Forschung in der portugiesischen und des verallgemeinerten Schweigens in der deutschen Geschichtsschreibung hat das Werk von Dirk Friedrich einen besonderen Stellenwert. Es bringt der deutschen Forschung eine gänzlich unbekannte Facette des Ersten Weltkriegs näher und führt damit neues Material in die historiografische Debatte ein.
Die Arbeit von Friedrich ist in fünf Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt ist einer ausführlichen Beschreibung des politischen Rahmens der Ersten Portugiesischen Republik gewidmet, die 1910 ausgerufen worden war. Besondere Aufmerksamkeit schenkt Friedrich den intensiven geschäftlichen und diplomatischen Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich, an dem sich Portugal während einer langen Phase seiner Geschichte orientierte – das gilt auch für die politische Diskussion über die Zweckmäßigkeit einer Teilnahme am Ersten Weltkrieg. Der zweite Abschnitt behandelt kurz und bündig die Entsendung eines Kontingents nach Angola und Mosambik, um nach dem Einmarsch deutscher Truppen unter der Leitung des deutschen Kolonialoffiziers Paul Emil von Lettow-Vorbeck im August 1914 diese Gebiete zu verteidigen.
Im Anschluss befasst sich Friedrich eingehend mit dem klaren Bekenntnis der Republik Portugal zu den alliierten Mächten nach der Kriegserklärung des Deutschen Reichs 1916 sowie mit der Bildung des Corpo de Artilharia Pesada Independente (CAPI) und des Corpo Expedicionário Português (CEP), den wichtigsten portugiesischen Einheiten auf den Schlachtfeldern von Nordfrankreich und Flandern. Die Arbeit zeichnet die wesentlichen militärischen Handlungen der portugiesischen Armee nach und bietet eine globale Bilanz ihres Beitrags zum Ausgang des Kriegs besonders in seiner letzten Phase.
Im vierten Abschnitt behandelt Friedrich aus verschiedenen Perspektiven die Nachkriegsjahre und die politische Situation Portugals nach dem Weltkrieg bis zum Sturz der Republik 1926 und dem schrittweisen Aufstieg António de Oliveira Salazars, der 1932 Premierminister wurde. Schließlich bietet das Buch einen langen Anhang mit Materialien, Statistiken, einer nützlichen Chronologie und Hinweisen auf Dokumente, die im Internet verfügbar sind, die es Leserinnen und Lesern ermöglichen, ihr Wissen über die Teilnahme Portugals am Ersten Weltkrieg zu erweitern.
»Portugal und der Erste Weltkrieg« ist eine Synthese, die dennoch alle wesentlichen Faktoren enthält, um den Eintritt eines kleinen Landes im Rand Europas in einen großen internationalen Konflikt zu verstehen; eines Landes, das sich in einer Umbruchphase befand, mit einem neuen politischen Regime, einer Republik, in einer Situation relativer diplomatischer Normalität, und das auf ausgedehnte Kolonialgebiete auf dem afrikanischen Kontinent hoffte.
Dirk Friedrich leistet wichtige Dokumentationsarbeit, die eine diversifizierte Bibliografie und zahlreiche Quellen aus dem Arquivo do Ministério dos Negócios Estrangeiros (Lissabon) enthält. Er betont die dort verfolgten Strategien wie auch die Widersprüche, die mit dem Eintritt Portugals in den Ersten Weltkrieg entstanden. Friedrich arbeitet heraus, dass die Entscheidung über die Teilnahme am Krieg sowohl von der Angst des Partido Democrático von Afonso Costa geleitet war, die irredentistische Ansprüche des benachbarten Spanien fürchteten (S. 23), als auch in der Verteidigung der afrikanischen Kolonien und einem nationalistischen Konsens begründet war. Eines Konsenses, der das republikanische Regime konsolidieren und die geteilte portugiesische Gesellschaft mit dem neuen politischen System zusammenschweißen und verbinden sollte.
Trotzdem war Portugal nach Ansicht des Autors weit davon entfernt, seine Ziele zu erreichen. Das Land musste ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten trotzen. Diese hatten die Unfähigkeit zur Schaffung einer Kampfkraft zur Folge, die über das Niveau von Hilfstruppen hinausging. Dies verschlimmerte die politische Situation und verstärkte die Unzufriedenheit des Militärs, das sich zu einem Einsatz genötigt sah, den es mit Blick auf das Niveau der Bewaffnung und die mangelhafte Vorbereitung als demütigend empfand. Darunter litt der ohnehin schwache politische Konsens; die Gesellschaft wurde weiter polarisiert – insbesondere die ländliche Bevölkerung blieb in der Mehrheit monarchisch; das trug – kurz gesagt – zur Erosion des republikanischen Regimes bei; so provozierte der Kriegseintritt auch die kurzen autoritären Erfahrungen mit der Regierung Pimenta de Castro (Januar bis Mai 1915) und dem Dezembrismo von Sidónio Pais (Dezember 1917 bis Dezember 1918).
In der Tat ist eine der Hauptthesen des Buchs, dass der übereilte Eintritt Portugals in den Ersten Weltkrieg die Unzufriedenheit der Bevölkerung steigerte, die Sehnsucht nach dem starken Mann förderte und autoritären Reaktionen den Weg ebnete, was schließlich zum Staatsstreich der Armee im Mai 1926 führte (S. 111–112). Auf diese Weise stellt Friedrich im interpretativen Teil seines Buchs eine Verbindung zwischen der Teilnahme am Krieg und der Erosion des republikanischen Regimes her.
Zu den herausragenden Teilen der Arbeit zählt die Verwendung einer umfassenden und aktuellen Bibliografie; eine gute Beschreibung der portugiesischen militärischen Handlungen und des politischen Panoramas, das die Republik in den Krieg führte; sowie eine lobenswerte Fähigkeit zur Synthese, ohne dabei Details zu übergehen. Trotz der Klarheit und Präzision in Friedrichs Darstellung sind einige Mängel in der Arbeit offensichtlich. In erster Linie ist es zu bedauern, dass der Autor sich auf die Verwendung politischer und diplomatischer Quellen konzentriert, weshalb in der Analyse bestimmte soziale und kulturelle Faktoren fehlen. Heuristisch und methodisch ist das Buch daher eher klassisch. Dementsprechend mangelt es an einer vertieften Darstellung der ideologischen Spaltung der Gesellschaft und der öffentlichen Debatte zwischen Interventionisten und Befürwortern der Neutralität, zwischen Anhängern der Alliierten und Sympathisanten der Mittelmächte. Desgleichen wird kaum nach den Positionen der portugiesischen Intellektuellen zum Krieg gefragt. Diese Perspektive hat seit der These von der europäischen »culture der guerre« von Stéphane Audoin-Rouzeau und Annette Becker zahlreiche historiographische Debatten ausgelöst und fragt grosso modo nach den kulturellen Darstellungen des Kriegs und nach der Mobilisierung der Intellektuellen3.
Auch erscheinen die Verweise auf Internetquellen als unangemessen, sie schwächen den Eindruck von der Genauigkeit der Arbeit. Schließlich wäre es interessant gewesen, in der Studie eine vergleichende Perspektive zwischen Portugal und Spanien zu integrieren, die völlig fehlt. Denn das Königreich Spanien, dessen militärische, ökonomische und demografische Stärke unzweifelhaft größer war, und dessen imperialistischer Stolz nach dem Verlust der letzten Kolonien 1898 verletzt war, hatte sich dennoch dafür entschieden im Weltkrieg neutral zu bleiben – trotz der Sympathien für die Alliierten, wie sie etwa bei dem liberalen Grafen von Romanones, Álvaro de Figueroa y Torres-Sotomayor anzutreffen waren, der 1915 bis 1917 spanischer Ministerpräsident war.
Eine Untersuchung der sozialen und politischen Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen Portugal und Spanien vor dem Ersten Weltkrieg wäre eine bereichernde, innovative und klärende Übung gewesen und hätte dazu beigetragen, die Einzigartigkeit des portugiesischen Falles aus dessen eigenen politischen Verhältnissen und in einem breiteren Kontext zu verstehen. Daraus hätte man die Dualität zwischen einem starken Land wie Spanien mit einer mächtigen Armee, das nicht in den Krieg eintreten wollte, und einem unzureichend vorbereiteten Land wie Portugal, das sich für eine Intervention entschied, entwickeln können. Dies hätte eine der zentralen Thesen des Texts gestützt, die die kleine Dimension Portugals zum Ausmaß des Ersten Weltkriegs in Bezug setzt, und hätte ein besseres Verständnis des Verhältnisses zum Weltkrieg auf der Iberischen Halbinsel ermöglicht. Dafür hätte sich der Autor auf die Studien über den spanischen Fall von Historikern wie Gerald H. Meaker, Francisco José Romero Salvadó oder Maximiliano Fuentes Codera stützen können.
Insgesamt ist »Portugal und der Erste Weltkrieg« wegen seiner Genauigkeit und seiner Synthesekraft ein empfehlenswertes Werk – gerade auch vor dem Hintergrund des 100. Jahrestags des Konflikts und mit einer Perspektive auf den Weltkrieg, die in der deutschen Geschichtsschreibung wenig entwickelt ist. Dirk Friedrichs Buch folgt grundsätzlich einer politischen, militärischen und diplomatischen Perspektive. Obwohl sein Buch keinen umfassenden Zugang zu den Ergebnissen der hier erwähnten Werke der portugiesischen Forschung eröffnet, hat es den fundamentalen Wert, sich eines Themas anzunehmen, das in der Geschichtsschreibung außerhalb der Iberischen Halbinsel noch nicht bearbeitet wurde.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Alejandro Acosta López: Dirk Friedrich, Portugal und der Erste Weltkrieg. Ein kleines Land im Großen Krieg, Bonn (minifanal) 2017, 185 S., ISBN 978-3-95421-119-7, EUR 16,90., in: Francia-Recensio 2018/1, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45580