Der von Steffen Kailitz herausgegebene Sammelband beinhaltet Fallanalysen und vergleichende Studien zum Überleben und Scheitern von Demokratien in der Zwischenkriegszeit. Der erste Teil geht der Entstehung und Entwicklung demokratischer Regime nach, im zweiten Teil wird das Phänomen der »überlebenden Demokratien« und im dritten Teil das der »gescheiterten Demokratien« besprochen.

Die meisten Beiträge widmen sich dem europäischen Kontinent, wobei diese Eingrenzung nicht weiter begründet wird. Erklärtes Ziel des Herausgebers ist es, Rückschlüsse auf die heutige Krise der Demokratie zu ziehen. Die Ergebnisse des Bandes unmittelbar in einen Zusammenhang mit der heutigen politischen Situation in Europa und Nordamerika zu stellen, wirkt dabei verkürzt. In seinem eigenen Beitrag geht Kailitz der Frage nach, welche politischen Regime der Zwischenkriegszeit als Demokratien angesehen werden können und welche nicht. Problematisch erscheint, die Zwischenkriegszeit mit Kriterien zu analysieren, die dem Verständnis nach 1945 entstammen, ohne dabei den historischen Kontext und die semantische Offenheit des Demokratiebegriffs zu berücksichtigen.

Uwe Backes widmet sich der liberalen Hegemonie vor 1914. Er zeigt, dass die Herausbildung einer starken parlamentarischen Kontrolle in Ländern wie Frankreich oder Großbritannien allein nicht die Krisenresistenz der Demokratie erklärt. Die Berücksichtigung politischer Partizipationsbedürfnisse war ebenso entscheidend. Jens Hacke weist in seinem Beitrag zu Recht darauf hin, dass im zeitgenössischen Verständnis unter Demokratie eine Vielfalt an Regierungs- und Staatsformen begriffen wurde. Ab Mitte der 1920er Jahre setzte eine breite Reflexion zum Programm und Selbstverständnis des Liberalismus ein.

Das Verhältnis zwischen traditionellen Ordnungskonzepten, Faschismus und Autoritarismus ist Gegenstand des Beitrags von Arnd Bauerkämper. Mit Blick auf Deutschland, Italien und Rumänien grenzt dieser die autoritären Regime von faschistischen Mobilisierungsdiktaturen ab. Erstere agierten offen antidemokratisch und mit Unterstützung der traditionellen Eliten wie Adel oder Kirche. Letztere griffen das demokratische Partizipationsversprechen auf, um eine Beteiligung des Volkes vorzutäuschen.

Christoph Gusy analysiert in seinem Beitrag die Verfassungen von Deutschland, Österreich, Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn. Die in Deutschland vielfach ausgemachten konstitutionellen Schwächen waren auch in anderen Ländern vorhanden, ohne dass sie hier zwingend den Sturz der Demokratien bewirkten. Allein das Vorhandensein einer langen demokratischen Tradition begünstigte das Überstehen der multiplen Krisen nach 1918. Jørgen Møller und Svend-Erik Skaaning nehmen Bulgarien, Finnland, Italien, Litauen, Portugal, Rumänien, Spanien und Jugoslawien als Grenzfälle zwischen Demokratie und Diktatur in den Blick. Für die Auswertung sozialwissenschaftlicher Datensätze greifen die Autoren auf ein Minimalkriterium zurück (Vorhandensein von Formen politischen Wettstreits) und können diese in der Forschung umstrittenen Fälle so klarer den demokratischen und nicht-demokratischen Regimen zuordnen. Ekkart Zimmermann arbeitet die politischen Folgen der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre heraus. Er stellt fest, dass sich der Anteil der Wechselwähler erhöhte, was Antisystemparteien stärkte und den Regierungen die Möglichkeit entzog, angemessen auf die Krise zu reagieren. Die Weltwirtschaftskrise rückt auch Dirk Berg-Schlosser in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Auf der Basis quantitativer und qualitativer Auswertungsverfahren zeigt er, wie in einer Reihe europäischer Staaten die Wucht der Krise sowohl durch die Beschaffenheit der Institutionen, ihre Krisenresistenz und Durchlässigkeit, als auch durch die Handlungen, die die Akteure zum Auffangen der Krisenauswirkungen ergriffen, abgefedert oder im Gegenteil noch verschärft wurde.

Den zweiten Teil beginnt Thomas Raithel mit seinem Beitrag zur parlamentarischen Demokratie in Frankreich zwischen 1918 und 1940. Raithel zeigt, dass es trotz des hohen Stellenwerts des Parlaments in den 1930er Jahren zu Initiativen kam, die Funktion und Macht des Präsidenten zu stärken. Darin, so der Autor, drückten sich der Wille zur Überwindung des Immobilismus der Dritten Republik und eine wachsende Sehnsucht nach einer starken Persönlichkeit an der Spitze des Staats aus. Peter Brandt beschäftigt sich mit Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland und zeigt die Robustheit und Langlebigkeit der nordeuropäischen Demokratie. Diese ging auf die Herausbildung eines neuen Volksbegriffs zurück, auf den sich sowohl sozialistische wie konservative Parteien beriefen, womit sich auch die »nordische Demokratie« als Grundkonsens etablieren konnte. Estland und Finnland werden im Folgenden von Alan Siaroff verglichen, der die von Robert Dahl erarbeiteten Kriterien einer funktionierenden Demokratie aufgreift. Siaroff kommt zu dem Schluss, dass das Vorhandensein politischen Wettstreits, wie es in Finnland noch vor der Ausweitung des Wahlrechts der Fall war, die entscheidende Voraussetzung für das Bekenntnis der Eliten zum Parlament war.

Mit Blick auf Italien zeigt Günther Heydemann, wie die Unfähigkeit der Regierung, seit dem vorherigen Jahrhundert überkommene strukturelle Probleme zu lösen, die faschistische Machtübernahme begünstigte. Heidi Hein-Kircher greift die Zweite Republik Polens auf, deren Gründung weder zu einer innenpolitischen Konsolidierung noch zu einer kollektiven Verständigung über die staatlichen Außengrenzen führte. In der Folge bildeten sich Diskurse der »Versicherheitlichung« heraus, die einer Diskreditierung des parlamentarischen Systems Vorschub leisteten und so Józef Piłsudski zentrale Parolen für den Mai-Putsch 1926 lieferten. Ursula Büttner wendet sich der Zerstörung der Weimarer Republik zu, die sie als »überforderte Demokratie« bezeichnet. Die Gründe dafür seien in der verdrängten Niederlage des Ersten Weltkriegs und einer nach 1918 völligen Überfrachtung des Staats zu suchen, der für sämtliche Nachkriegsübel verantwortlich gemacht wurde. Österreichs Erste Republik ist Gegenstand des Beitrags von Everhard Holtmann, der die Ergebnisoffenheit des österreichischen Staatsbildungsprozesses nach 1918 betont und sich gezielt auf die Faktoren konzentriert, die die Bildung der Demokratie zunächst begünstigt hatten. Als Gründe für das Scheitern der griechischen Demokratie nennt Nathalie Patricia Soursos die unüberwindbare Polarisierung des Parlaments, die die Errichtung des autoritären Metaxas-Regimes ab 1935 als Versprechen von Stabilität erscheinen ließ. Mit Blick auf Spanien macht Sören Brinkmann auf den rücksichtslosen Reformeifer der Linksrepublikaner aufmerksam. Davon profitierten konservative Parteien wie der katholische Confederación Española de Derechas Autónomas (CEDA), welcher mit seiner Politik das Aufkommen eines Anti-Republikanismus begünstigte, der besonders in der Armee Fuß fassen konnte.

Insgesamt bietet der Sammelband einen spannenden Einblick in die Anwendung von transformationstheoretischen Ansätzen, welche mit Blick auf die Zwischenkriegszeit einen hohen Erkenntnisgewinn versprechen. Durch den vergleichenden Ansatz bilden viele der Beiträge zuvor unbeachtete Voraussetzungen und Konstellationen in der Entwicklung politischer Regime ab, die in der Forschung bisher wenig Beachtung gefunden haben.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Axel Dröber, Rezension von/compte rendu de: Steffen Kailitz (Hg.), Nach dem »Großen Krieg«. Vom Triumph zum Desaster der Demokratie 1918/19 bis 1939, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2017, 441 S., 25 Tab., 7 Abb. (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, 62), ISBN 978-3-525-36974-6, EUR 75,00., in: Francia-Recensio 2018/1, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45584