Vertrauen als analytische Kategorie hat nicht erst heute die Geschichte der internationalen Beziehungen erreicht. Diese emotionale Kategorie ergänzt, widerspricht aber auch in manchem der realistischen Blickrichtung auf die von rationalem Eigeninteresse geleiteten Akteure, nimmt je die Gegenseite in den Blick und richtet sich auf eine bestimmte Handlung (S. 2 mit Bezug auf Russel Hardin). Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Vertrauen eine friedensstiftende Funktion erlangen kann. Doch sei Vertrauen stark an Sprache und Rhetorik gebunden, so die Herausgeber unter Bezugnahme auf Ute Frevert: »scholars need to distinguish carefully between cultural contexts, rhetoric strategies, vernacular uses of certain terms, and trust/mistrust as analytical concepts« (S. 5). Darum bemüht sich dieser Band durchweg, doch gelingt es den quellengesättigten Studien nicht immer in vollem Umfang. Häufig übersetzen die Autoren herkömmliche Begriffe, nicht zuletzt Quellenbegriffe wie „gemeinsame Sicherheit“, nur in die Sprache von Vertrauen/trust – wobei trust freilich etwas anderes bedeutet als confidence (Zuversicht, Zutrauen). Das liegt auch daran, dass in einschlägigen, rationalisierten diplomatischen Aufzeichnungen der Begriff relativ selten vorkommt und dann immer gemäß den gerade genannten Kriterien auch eine taktische Bedeutung hatte; wenn er in Memoiren etc. rückblickend verwandt wurde, muss er also eigentlich post factum ebenso als nachträgliche Rationalisierung gelesen werden.
Der Band ist aus einer Tagung von 2011 hervorgegangen, von vielen Autoren liegen mittlerweile einschlägige Monografien vor. Es stellt sich also bisweilen ein Déjà-vu-Erlebnis ein, wenn man die sehr viel expliziteren Bücher bereits zur Kenntnis genommen hat. Den Kern dieses Bandes bildet sinnvollerweise das lange Ende der Ost-West-Konfrontation alten Stils seit Ende der 1960er Jahre. Arvid Schors zeigt, wie sich in den Rüstungsbegrenzungsverhandlungen des SALT-Prozesses (Strategic Arms Limitation Talks) ein Ost-West-Expertenkreis herausbildete und erstmals Maßstäbe entwickelte, die beiden Seiten gerecht wurden, da sie die wechselseitigen Sicherheitsbedürfnisse ernst nahmen. Ähnliches zeigt Michael Cotey Morgan für den Weg zur Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Sarah B. Snyder macht deutlich, dass bei aller rhetorischer Konfrontation gegenüber der Sowjetunion Ronald Reagan eine vergleichsweise stille Menschenrechtspolitik betrieb (im Gegensatz zu Jimmy Carters öffentlichen Positionierungen); angesichts der Reaktion Moskaus darauf signalisierten beide Seiten Verlässlichkeit oder eben: Vertrauen.
Den inhaltlichen Höhepunkt stellt der Essay von Nicholas J. Wheeler, Joshua Baker und Laura Considine dar. Sie erläutern differenziert die Rüstungsgespräche, die zum INF-Vertrag (Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty) führten, in ihren Wegen und Umwegen und damit auch die situative Kombination von Vertrauen und Misstrauen. Schon bei Schors war die zentrale Rolle der gegenseitigen Verifikation von Rüstungsbegrenzung angeklungen. In diesem Aufsatz nun wird deutlich, dass diese Verifikation nicht allein Misstrauen entsprang. Indem sie die andere Seite einbezog, wurde dem Gegenüber dessen gleichsam positive Entwicklung durch Kenntnisnahme vor Ort bestätigt. Die Verifikation unterstrich und bekräftigte das langsam wachsende Vertrauen beider Seiten aufeinander. Die Erörterung materieller Rüstungsfragen wurde erleichtert, ja erst möglich gemacht durch die wachsende Überzeugung, auch die andere Seite denke ähnlich. Der capacity der Verwundbarkeit entsprach mehr und mehr auch deren authenticity (S.133). In diesem Zusammenhang griff Reagan auch das russische Sprichwort auf, das dem Band den Titel gab: »Trust, but Verify«.
So weit klingt das trust-Konzept nach einer weitgehenden Rückkehr in eine »Männer machen Geschichte«-Historiographie – seien es hier auch Expertengruppen. Doch wird bereits in diesen Beiträgen klar, dass die jeweiligen Protagonisten und Protagonistinnen gesellschaftspolitischen Einbindungen und Limitierungen unterlagen, die sich nicht zuletzt medial niederschlugen. Auch ein Hinweis auf die eigene beschränkte Handlungsfreiheit ließ sich ja als Verhandlungstaktik benutzen.
Doch geht die Bedeutung von Vertrauen sehr viel weiter. Reinhild Kreis macht für die 1980er Jahre klar, dass die US-public diplomacy, also die Darstellung gerade auch der soft power der USA, einen wichtigen Beitrag zur Vertrauensbildung leistete. Dagegen lässt sich allerdings einwenden, dass gerade die Projektion eines »friedlichen« und »antiimperialistischen« Bilds der eigenen Seite zuvor lange Zeit von den sozialistischen Staaten ebenso »vertrauensbildend« eingesetzt worden war, ohne damit im Westen durchschlagenden Erfolg zu haben – anders als etwa im Globalen Süden. Im Anschluss an den Beitrag zu INF ist auch J. Simon Rofes Darlegung der vertrauenserweckenden Politik George H. W. Bushs für die Wende von 1989 und die Zeit danach höchst aufschlussreich.
Der Band, dessen Gliederung in vier Teile wenig überzeugt, hat noch weitere inhaltlich reiche oder methodisch reflektierte Beiträge zu bieten. Groteskes Misstrauen herrschte 1969 in den sowjetisch-chinesischen Beziehungen – gerade von falschen Wahrnehmungen gestärkt, wie Sergey Radchenko aus ungedruckten Quellen beider Seiten eindrucksvoll zeigt. Ein anderes Thema ist, wie sich etwa in der DDR das Verhältnis von Vertrauen und Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der eigenen Regierung in der konfrontativen wie kooperativeren Phase der Weltpolitik entwickelte (Jens Gieseke). Oder: Trauten sich die Nationale Volksarmee (NVA) und die Armee der Volksrepublik Polen über den Weg? Jens Boysen argumentiert zutreffend, die sozialistische Solidarität habe argumentativ und ideologisch alles überwölbt – und listet dann doch einige Konfliktpunkte und -felder auf. Dieselben Ambivalenzen wie zwischen Ost und West fanden sich auch in der Kommunikation der westlichen Staaten im Zuge der sich überlappenden Tagungen des Europäischen Rates und der seit 1975 entstehenden G7 (Noël Bonhomme und Emmanuel Mourlon-Druol). Aufsätze über zwei der »Kleineren« im westlichen Militärbündnis, Dänemark und Griechenland, sowie über die an sich »misstrauische« Schweiz runden den Band ab. Hier hat man gelegentlich den Eindruck, dass die Studien innovative Deutungen der letzten Jahrzehnte des alten Ost-West-Konflikts bringen, dass aber die Terminologie des Vertrauens keine neuen Erkenntnisse vermittelt.
Deborah Welsh Larson, die als Politologin mit psychologischem Interesse schon 1997 eine Gesamtdarstellung des Kalten Kriegs unter den hier zentralen Kategorien geschrieben hat, hat das letzte Wort. Sie fasst in ihrem Schlussbeitrag die Aufsätze unter der Frage nach trust zusammen, fragt nach Wahrnehmungen und Missverständnissen (perception und misperception), benutzt dann aber auch den alten Begriff des Sicherheitsdilemmas bzw. fragt nach dessen Überwindung. »Trust is an open-ending process« (S. 281).
Der Rezensent würde sich dem anschließen: Es ist vor allem ein schillernder Begriff, der sehr unterschiedlich zu operationalisieren ist, wenn er über die Banalität hinausreichen soll, dass alle erfolgreichen Verhandlungen von Vertrauen getragen sein müssen und einen Überschuss in die Zukunft darstellen, der sich erst in vielen Rückkopplungsschleifen beweist – oder eben auch nicht beweist, nur eine Art Kriegslist im Frieden darstellte. Mit dem trust-Begriff ist jedenfalls eine neue und anregende Facette ins methodische Bewusstsein auch der internationalen Geschichte gerückt, die viel verspricht.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Jost Dülffer: Martin Klimke, Reinhild Kreis, Christian F. Ostermann (ed.), Trust, but Verify. The Politics of Uncertainty and the Transformation of the Cold War Order, 1969–1991, Stanford, CA (Stanford University Press) 2016, XII–313 p. (Cold War International History Project Series), ISBN 978-0-8047-9809-9, USD 60,00., in: Francia-Recensio 2018/1, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45586