Das neue, rund 300 Seiten umfassende Buch von Jacques-Olivier Boudon, dem besten Experten des napoleonischen Empires in Frankreich, bietet einen konzisen Überblick für ein wichtiges Thema: die Polizei und die Gendarmerie. Nach dem 18. Brumaire machte es Napoleon sich zur Aufgabe, wieder Ruhe und Ordnung herzustellen und gleichzeitig die Gesellschaft zu kontrollieren. Hat sich die Forschung bisher vor allem auf die Polizeiarbeit bei den zahlreichen Verschwörungen und Komplotten konzentriert und den machtbewussten Polizeiminister Fouché immer wieder fokussiert, so verfolgt Boudon einen weiter gehenden Ansatz. Er intendiert, eine Überblicksgeschichte der Polizei mit zahlreichen Facetten zu bieten: Es werden also nicht nur der Aufbau und das Funktionieren der Institutionen, sondern auch die Akteure bis hinunter zum kleinen Gendarmen thematisiert. Ihre alltägliche Arbeit, die selten tödlichen Auseinandersetzungen mit den Delinquenten, vor allem aber der Kampf um die öffentliche Ordnung. Das sind die zentralen Themen des Buches: Verbrechensbekämpfung sowie öffentliche Sicherheit in ihren europäischen Dimensionen.

Napoleon übernahm die bereits während der Revolution und des Direktoriums geschaffenen Strukturen der Gendarmerie (1791) und der Polizei (1796/1798), versuchte diese aber im Laufe seiner Herrschaft durch mehr Hierarchie und Personalwechsel zu optimieren. Vor allem in den Reihen der Gendarmerie kam es nach 1800 zu politischen Säuberungen, viele Republikaner wurden entlassen. 1801 gab es annähernd 15 700 Gendarmen, auf dem Höhepunkt der Machtausdehnung des Empires waren es 30 600 Mann in 130 Departements, d. h. pro Departement durchschnittlich 235. Jeder Kanton sollte über eine Brigade verfügen, die aus einem Unteroffizier und je fünf Männern bestand, wobei ein Fünftel aller Kantone überhaupt keine Gendarmen zugewiesen bekamen.

Dass man so unmöglich die Landstraßen sichern und dauerhaft erfolgreich gegen die weit verbreitete Straßenräuberei von Hamburg bis nach Rom vorgehen konnte, liegt auf der Hand. Außerdem mussten die Gendarmen Passpflicht, Märkte und Messen kontrollieren. Eine ihre Hauptaufgaben bestand darin, Deserteure zu verfolgen, wobei es hierbei nicht selten zu den folgenschwersten Konflikten mit der Bevölkerung kam. Widerstand und Tumulte bei Verhaftungen von Deserteuren waren Legion. Zwischen den Jahren VII und XIII entzogen sich 28% der Einberufenen dem Wehrdienst, danach fiel zwischen 1806–1810 ihre Zahl auf 13%, wobei ein starkes Nord-Süd-Gefälle zu beobachten ist: nördlich der Linie zwischen Nantes und Besançon desertierten weniger. Darüber hinaus galt es, eidverweigerende Priester zu verfolgen. Alles in allem war die Gendarmerie militärisch organisiert, sie war auch für die Überführung der Kriegsgefangenen und für Ruhe und Sicherheit innerhalb der Armee zuständig.

In den Städten waren wiederum die Polizisten für die öffentliche Sicherheit verantwortlich. Auch ihr Pensum war enorm: In ihren Arbeitsbereich fielen die öffentliche Ordnung, die Reinheit der Straßen, Schlägereien, Selbstmorde, Kontrolle der Prostitution, die Arbeitsbücher der Arbeiter zu überwachen und Arbeiterproteste zu verhindern, ferner das Vagabundenwesen sowie Bettelei und Diebstähle. Eine zentrale Aufgabe der Polizei, vor allem in Paris, bestand weiterhin darin, politische Konspirationen zu verhindern, aufzudecken und zu verfolgen. Nach dem folgenreichsten Attentat auf Napoleon im Dezember 1800 wurden zunächst reflexartig die Jakobiner verdächtigt, schließlich aber eine royalistische Konspiration von katholischen Adligen aus der Bretagne aufgedeckt. In einer Reaktionswelle wurden 78 Royalisten verhaftet. Danach war die royalistische Bewegung dezimiert, sie landeten entweder im Gefängnis oder flohen ins Exil. Das Attentat wurde schließlich benutzt, um in der Öffentlichkeit Stimmung für Napoleon zu machen.

Schaut man sich die Karrierewege in den oberen Rängen von Polizei und Gendarmerie an, so wurden vor allem verdiente loyale Offiziere mit einträglichen Stellen versorgt. Netzwerke halfen und Nepotismus war an der Tagesordnung. Auf den unteren Rängen befanden sich ebenfalls zahlreiche ehemalige Soldaten. Alphabetisierung war Pflicht, weil zahllose Berichte zu schreiben waren. Diese bieten eine wunderbare Quelle für die Alltagsgeschichte, bergen aber auch zwei Probleme: zum einen ihre schier unüberschaubare Zahl und zum anderen muss der Aussagewert dieser »Beamtenlyrik« kritisch hinterfragt werden. Boudon reichert seine Darstellung immer wieder mit prosopographischem Material und Berichten seiner Akteure an.

In den annektierten Departements Westeuropas wurden Polizei und Gendarmerie genauso aufgebaut, hier galten ohnehin dieselben Gesetze wie im Interieur. Auffallend ist aber ihre größere Anzahl und die immer wieder diskutierte Frage, ob man einheimische Kräfte vor Ort einsetzen sollte, um vertrauensbildende Maßnahmen zu ergreifen, oder besser nicht, weil zu große Vertrautheit die Objektivität untergraben könnte. Insgesamt wurde die zweite Variante bevorzugt, so gab es etwa in den rheinischen Departements nur sechs Prozent einheimische Gendarmen. Für eine rasche Integration spricht, dass von 70% der verheirateten Gendarmen ein Drittel Rheinländerinnen geheiratet hat. Das Modell der napoleonischen Polizei wurde auch auf die Modellstaaten wie das Königreich Westphalen oder die Königreiche Italien und Neapel übertragen. Am wenigsten gelang die Bekämpfung des Bandenwesens in Kalabrien, weil hier auf keine Vorgängergendarmerie zurückgegriffen werden konnte. Auch im Königreich Westphalen war die Zeit zu kurz, um binnen weniger Jahre eine wirklich effektive Gendarmerie und Polizei aufzubauen.

Folgen wir Boudon, dann ist es Napoleon gelungen, in seinem großen Empire die wichtigsten Ziele zu erreichen: Ruhe und Ordnung wurden weitgehend bewahrt (abgesehen von Spanien, wo ein ständiger Kleinkrieg tobte), die politische Opposition im Keim erstickt, und auch die Bekämpfung des Bandenwesens wies Erfolge auf. Zu dieser Bilanz hat beigetragen, dass hohe Beamte lange in ihren Positionen blieben und eine zunehmende Professionalisierung stattfand. Offen bleibt am Ende dieses sehr empfehlenswerten Buches die Frage, ob das Nebeneinander von Polizei und Gendarmerie, also die Schaffung von polykratischen Strukturen und Kompetenzrangeleien zum Erfolg beitrug oder ihn eher untergrub.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Gabriele Clemens, Rezension von/compte rendu de: Jacques-Olivier Boudon, L’Empire des polices. Comment Napoléon faisait régner l’ordre, Paris (La Librairie Vuibert) 2017, 331 p., ISBN 978-2-311-10119-5, EUR 21,90., in: Francia-Recensio 2018/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45709