Jesuiten und Jesuitengeschichte galten und gelten wohl in mancher Hinsicht immer noch als wenig neutrales Element der Historiographie. Im Zeitalter der Katholischen Erneuerung, des renouveau catholique, stand der Jesuit als quasi archetypisches Beispiel wiedererlangter oder zumal doch angestrebter zentralkirchlicher Autorität, wurde der Jesuitenorden als verlängerter Arm, mitunter sogar als Zentralinstrument päpstlicher Politik und Beeinflussung verstanden. Über die Jahrhunderte hinweg, bis hinein ins Zeitalter republikanischer Laizität und Bismarckscher Kirchenpolitik blieb dieses Feindbild eines suspekten erzkatholischen Kämpfers erhalten, war der Orden in vielen Ländern dauerhaft oder erneut verboten; Restsedimente dieses Denkens finden sich bis hinein in die grundlegende Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts, als ein Paradebeispiel hierfür kann etwa Golo Manns Wallensteinbiographie von 1971 gelten.
In der angelsächsischen Welt verband sich diese Phobie mit realen Konfliktsituationen: während man im anglikanischen England scheinbar allüberall staatsbedrohende, zu jedem Verbrechen bereite Jesuiten in der Tradition des unglücklichen Gunpowder Plots von 1605 witterte, dominierte in den USA die protestantische Gründerangst, dass mittels des Ordens der katholische Einfluss im Lande generell und damit eine schrittweise Abhängigkeit von den Begehrlichkeiten des «Vatikans» befördert werde; Reste davon finden sich ebenfalls bis ins 20. Jahrhundert, am deutlichsten im Umfeld der Präsidentschaftskampagne Al Smiths 1928.
Auf der völlig entgegengesetzten Peripherie der Wahrnehmungslandschaft waren es aber auch US-amerikanische Forscher, welche mit als erste den immensen Wert des jesuitischen Kulturschaffens erkannten, besonders im Hinblick auf Architektur und Musik Mittel- und Südamerikas. Diese Tradition setzt(e) sich mit anderen Inhalten fort in zu den Arbeiten Robert Bireleys und mündet in das heutige Boston College – Institute for Advanced Jesuit Studies.
Vor dem Hintergrund dieses geistesgeschichtlichen Rezeptionspanoramas erscheint es besonders reizvoll, mit dem hier anzuzeigenden Titel ein Werk vorzustellen, welches eine angelsächsische Autorin einer überaus signifikanten, bislang aber wenig beachteten Region jesuitischen Schaffens widmet, nämlich den Ordensniederlassungen im Großherzogtum Toskana zwischen 1532 und 1621. Als unmittelbarem Nachbarn des Kirchenstaates und – neben Venedig – größtem und bedeutenden der einst zahlreichen nord- und mittelitalienischen Stadt- und Kleinstaaten kam der Toskana eine besondere Rolle innerhalb der sowohl geo-, wie auch kirchen- und kulturpolitisch enorm wichtigen hier behandelten Epoche zu.
Die Autorin wählt als Weg ihrer Darstellung völlig zurecht jenen, zunächst einmal die politischen, religiösen und vor allem lokalen Besonderheiten des 16. Jahrhunderts, also des hier auch so genannten »third Medici regime«, eindringlich vorzustellen und dabei den oben genannten Komponenten, vor allem der Beziehung zum Hl. Stuhl, einen besonderen Stellenwert einzuräumen. Dieses Gegenüber gipfelte 1569 in der Erhebung des 1530 bereits durch Karl V. als Herzogtum von kaiserlichen Gnaden und Autorität etablierten Gebietes zum granducato seitens des Papstes – einem politischen wie titularischen Novum. Sowohl der frischgebackene Großherzog wie auch der um Straffung der Kirchendisziplin und -einheit bemühte Nachfolger Petri befanden sich so in einem gegenseitigen Abhängigkeitsamalgam, das die Berufung der Jesuiten als Mittel- und Mittlerinstanz nahezu beschwor.
Diese Wechselwirkungen, aber auch die vorausgehenden und begleitenden politischen wie hierarchisch-kirchlichen Faktoren, in all ihrer Signifikanz und Folgewirksamkeit aufzuzeigen, ist die erhebliche, ja gewaltige Leistung des vorliegenden Bandes. Aufgrund der geschilderten ganz besonderen Ausgangslage konnten Vorarbeiten sowohl zum frühneuzeitlichen zentralen Fürstenstaat wie auch zum renouveau catholique nur bedingt als Vorgängermodelle herangezogen werden; das vielfache und in seiner Fülle den hier zur Verfügung stehenden Platz bei weitem sprengende Ergebnis musste von daher zwangsläufig entweder enttäuschend oder aber hochgradig spezifisch ausfallen. Eindeutig ist letzteres zu konstatieren: der Autorin ist es überzeugend gelungen, fokusartig das weite Feld soziokultureller wie religiös-politischer Beziehungsgeflechte zu beleuchten, ein Spektrum, welches neben den erwähnten Aspekten auch Dinge wie Bibliotheks- und Unterrichtswesen, aber auch Biografik und Prosopografik fundiert mit einschließt. Der umfängliche wissenschaftliche Apparat lässt die geleistete Arbeit deutlich werden, eine durchgehend angenehme Sprache und gut nachvollziehbare Argumentation unterstützen das Anliegen einer sichtlich engagierten Autorin.
Das ausgewogene Endergebnis einer tatsächlich für beide, besser: alle drei beteiligten Seiten zufriedenstellenden Bilanz hebt sich – wie aus dem Vorstehenden schon erkennbar – selbstredend deutlichst von den eingangs skizzierten Geisteslandschaften ab und reiht sich vielmehr in die Tradition von Robert Bireley, Johannes Maier und Michael Müller (um hier nur einige seriöse Vertreter der Jesuitenhistoriografie anzuführen) ein.
Bei aller Spezifität des untersuchten Gegenstandes mag der uneingeschränkt empfehlenswerte Band daher als allgemeines Modell zumal in dieser Hinsicht gelten. Eine weite Verbreitung, welcher der horrende Preis allerdings entgegenstehen dürfte, sei ihm gewünscht.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Josef Johannes Schmid, Rezension von/compte rendu de: Kathleen M. Comerford, Jesuit Foundations and Medici Power, 1532–1621, Leiden (Brill Academic Publishers) 2017, XVI–316 p., 4 fig., 11 tabl. (Jesuit Studies. Modernity Through the Prism of Jesuit Studies, 7), ISBN 978-90-04-28451-7, EUR 142,00., in: Francia-Recensio 2018/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45711